die Tochter eines Pfarrers und da ihr Vater lange
Zeit einer Diasporagemeinde vorgestanden, so war sie
von Jugend auf mit dem Wesen des Katholizismus
hekannt geworden. Ihre Studien hatie sie in einem
Seminar absolviert, in welchem evangelische und
katholische Schülerinnen unterrichtet wurden, und der
Umgang mit den letzteren hatte sie veranlaßt, fleißig
sirchengeschichte zu studieren und sich die Unter—
scheidungslehren einzuprägen. Vor allem aber war sie,
wie bereits früher erwähnt worden, bewandert in der
heiligen Schrift und so hinlänglich ausgerüstet und
befähigt, ihren Zöglingen auf die vielfachen Fragen
Antwort erteilen zu können, ihre Zweifel zu zerstreuen
und sie anzuleiten, durch eigene fleißige Forschung im
göttlichen Wort ihren angestammten Glauben zu be—
sestigen. Sie that darin nichts Unrechtes, denn sie
war in eine protestantische Familie berufen worden,
wo ihr die Aufgabe gegeben war, ihre Schüler in den
Heilswahrheiten der evangelischen Kirche zu unter⸗
richten. Dem wollte, dem durfte sie nachkommen, so
lange sie in ihrer Stellung belassen wurde. Uebrigens
fürchtete sie sich auch nicht, wo die Gelegenheit ge—
boten wurde, sich mit Herrn Wellborn in einen Kampf
über konfessionelle Gegensätze einzulassen und seine
Behauptungen mit Nachdruck und Erfolg zu widerlegen.
Einmal, als über Volk und Sitte in Irland die
Rede war und er den opferfreudigen Sinn der
katholischen Bevölkerung dieses Landes rühmte, die bei
aller Armut stets bereit sei, Gaben für den Bau und
die Ausschmückung ihrer Gotteshäuser darzubringen,
erwiderte Fräulein Frank: „Ja, das thun die Katholiken
in Deutschland auch, aber das ist keineswegs immer
freier Wille; die Priester fordern es, indem sie das
Volk lehren, man könne Gott gefallen dadurch, daß man
seine Altäre schmücke, ja man könne auf diesem Wege
Vergebung der Sünden erlangen. Die Leute aber
glauben solches gern, denn es ist leichter, Opfer
bringen, wie sein Herz reinigen.“
„O!“ sagte Herr Wellborn, „man kann Kirchen
schmücken und auch ein reines Herz haben.“
„Gewiß!“ erwiderte sie, „und es werden immer
solche sein; aber die Menge giebt ihre Gaben in der
Hoffnung, dafür ein zeitliches oder ewiges Gut zu
erlangen. Nun spricht aber der Herr nicht: „Dein
Werk hat dir geholfen,“ sondern: „dein Glaube“ —
und wiederum: „Wenn ihr alles gethan habt, sollt ihr
sprechen: Wir sind unnütze Knechte, wir haben gethan.
was wir zu thun schuldig sind.“
Ein andermal sprach der Hausherr von dem Gebet,
und daß dasselbe bei den Katholiken mehr geübt werde,
wie auf protestantischer Seite. Fräulein Frank er⸗
widerte darauf: „Leider werden die Katholiken gewöhnt,
auf die Länge und oftmaliges Hersagen der Gebete
Bewicht zu legen; aber es ist wenig Andacht dabei.
Man muß nur einmal acht haben, wenn sie in
Prozession durch die Straßen umherziehen. Da gehen
die Leute und gaffen und lassen sich begaffen und
beten dabei ein Vaterunser nach dem andern und
ein Ave Maria und einen Glauben nach dem andern,
dabei schreien sie, als seien der liebe himmlische Vater
and alle Heiligen taub geworden. Im Großherzogtum
Luxemburg giebt es ein Städtchen, wo noöch heute
alljährlich an den Pfingsttagen eine sogenannte Spring—
Prozession stattfindet, in der Weise, daß die Beter
nach dem Takt der Musik drei Schritte vorwärts
springen und zwei rückwärts. Hierbei beteiligen sich
10-15000 Menschen, die einen als Springer, die
andern als Zuschauer. Es braucht wohl kaum gesagt
zu werden, wie wenig dieses echt heidnische Schauspiel
der Anweisung entspricht, welche der Heiland selbst in
der Bergpredigt seinen Nachfolgern über das Beten
zegeben hat. In der evangelischen Gemeinde wird
auch gebetet, und Gaben werden reichlich dargebracht
ür kirchliche und wohlthätige Zwecke. Nun mag es
zuch hier Leute geben, die sich daraus ein Verdienst
zurechnen, denn der Mensch ist von Natur selbstgerecht,
allein niemals wird dieser seelenverderbende Irrtum
von seiten der evangelischen Kirche in Predigt oder
Lehre eine Ermunterung oder gar Bestätigung finden.“
(Fortsetzung folgt.)
Im heiligen TLande.
Reisebriefe von H. R.
(Fortsetzung.)
Bald nach zwei Uhr brachen wir auf und langten
surz vor drei im Missionshause an, wo uns Herr
Dahr schon erwartete, der es sich nicht nehmen lassen
wollte, uns selbst zu den Sehenswürdigkeiten Hebrons
zu begleiten. Wir bestiegen zuerst einen Hebron
zegenüberliegenden Hügel und konnten uns von hier
über die Lage der Stadt gut orientieren.
Hebron lehnt sich an die Seite eines sanft an⸗
teigenden Thales, dessen Sohle freilich fast 900 Meter
über dem Mittelmeere liegt. Wir schritten nun der
zroßen Moschee zu, unter deren Boden nach alter
Ueberlieferung die Doppelhöhle Machpela sich befindet,
die Abraham zur Begräbnisstätte für Sarah kaufte
und in welcher er selbst, sowie Isaak und Rebekka,
Jakob und Lea die letzte Ruhestätte fanden. Rahels
Brab liegt auf dem Wege von Jerusalem nach
Bethlehem. An Stelle der früheren christlichen Kirche
teht jetzt eine große Moschee, die von einer 50 Fuß
johen Mauer umgeben ist. Eine sanft aufsteigende
Treppe führt uns in den Moscheenhof. Wir durften
aur einige Stufen bis zu einer Stelle, die in der
Umfassungsmauer eine kleine Oeffnung zeigt, hinan⸗
teigen. Diese Oeffnung soll in die Grabhöhle hinab⸗
ühren. Die Juden werden nicht müde, kleine be—
chriebene Papiere für Abraham hineinzuwerfen. Wir
jatten natürlich erwartet, man würde uns die Moschee
zeigen. Die Hebroner Muhamedaner sind aber sehr
sanatisch und gestatten keinem Christen den Eintritt
in ihr Heiligtum. Der Vrinz von Wales und unser
Kronprinz erlangten nur durch einen besondern Ferman
des Sultans Einlaß; in die eigentliche Grabhöhle
aber durften auch sie nicht. Zu meiner Freude ist es
mir gelungen, eine Photographie des Innern der
Brabhöhle zu erlangen: sie zeigt Abrahams und Sarahs
Grab. Kaum hatten wir uns zum Gehen gewandt,
da flog ein dicker Stein uns nach; er traf zum Glück
keinen von uns. Wir dankten Gott, daß es nur bei
diesem einen Türkengruße blieb. In früheren Jahren
var es kaum möglich, Hebron zu besuchen, so ge⸗
hässig zeigten sich seine Bewohner.
Herr Dahr erzählte uns auf dem Rückwege von
seiner schweren Arbeit, der fast jeder Erfolg mangelt.
Im Ganzen unterrichtet er so gegen zwanzig Kinder
hristlicher, arabischer Eltern, die aber zu manchen
Zeiten, wenn die Muhamedaner besonders erregt sind,—