Full text: Evangelisches Wochenblatt (28.1901)

die Tochter eines Pfarrers und da ihr Vater lange 
Zeit einer Diasporagemeinde vorgestanden, so war sie 
von Jugend auf mit dem Wesen des Katholizismus 
hekannt geworden. Ihre Studien hatie sie in einem 
Seminar absolviert, in welchem evangelische und 
katholische Schülerinnen unterrichtet wurden, und der 
Umgang mit den letzteren hatte sie veranlaßt, fleißig 
sirchengeschichte zu studieren und sich die Unter— 
scheidungslehren einzuprägen. Vor allem aber war sie, 
wie bereits früher erwähnt worden, bewandert in der 
heiligen Schrift und so hinlänglich ausgerüstet und 
befähigt, ihren Zöglingen auf die vielfachen Fragen 
Antwort erteilen zu können, ihre Zweifel zu zerstreuen 
und sie anzuleiten, durch eigene fleißige Forschung im 
göttlichen Wort ihren angestammten Glauben zu be— 
sestigen. Sie that darin nichts Unrechtes, denn sie 
war in eine protestantische Familie berufen worden, 
wo ihr die Aufgabe gegeben war, ihre Schüler in den 
Heilswahrheiten der evangelischen Kirche zu unter⸗ 
richten. Dem wollte, dem durfte sie nachkommen, so 
lange sie in ihrer Stellung belassen wurde. Uebrigens 
fürchtete sie sich auch nicht, wo die Gelegenheit ge— 
boten wurde, sich mit Herrn Wellborn in einen Kampf 
über konfessionelle Gegensätze einzulassen und seine 
Behauptungen mit Nachdruck und Erfolg zu widerlegen. 
Einmal, als über Volk und Sitte in Irland die 
Rede war und er den opferfreudigen Sinn der 
katholischen Bevölkerung dieses Landes rühmte, die bei 
aller Armut stets bereit sei, Gaben für den Bau und 
die Ausschmückung ihrer Gotteshäuser darzubringen, 
erwiderte Fräulein Frank: „Ja, das thun die Katholiken 
in Deutschland auch, aber das ist keineswegs immer 
freier Wille; die Priester fordern es, indem sie das 
Volk lehren, man könne Gott gefallen dadurch, daß man 
seine Altäre schmücke, ja man könne auf diesem Wege 
Vergebung der Sünden erlangen. Die Leute aber 
glauben solches gern, denn es ist leichter, Opfer 
bringen, wie sein Herz reinigen.“ 
„O!“ sagte Herr Wellborn, „man kann Kirchen 
schmücken und auch ein reines Herz haben.“ 
„Gewiß!“ erwiderte sie, „und es werden immer 
solche sein; aber die Menge giebt ihre Gaben in der 
Hoffnung, dafür ein zeitliches oder ewiges Gut zu 
erlangen. Nun spricht aber der Herr nicht: „Dein 
Werk hat dir geholfen,“ sondern: „dein Glaube“ — 
und wiederum: „Wenn ihr alles gethan habt, sollt ihr 
sprechen: Wir sind unnütze Knechte, wir haben gethan. 
was wir zu thun schuldig sind.“ 
Ein andermal sprach der Hausherr von dem Gebet, 
und daß dasselbe bei den Katholiken mehr geübt werde, 
wie auf protestantischer Seite. Fräulein Frank er⸗ 
widerte darauf: „Leider werden die Katholiken gewöhnt, 
auf die Länge und oftmaliges Hersagen der Gebete 
Bewicht zu legen; aber es ist wenig Andacht dabei. 
Man muß nur einmal acht haben, wenn sie in 
Prozession durch die Straßen umherziehen. Da gehen 
die Leute und gaffen und lassen sich begaffen und 
beten dabei ein Vaterunser nach dem andern und 
ein Ave Maria und einen Glauben nach dem andern, 
dabei schreien sie, als seien der liebe himmlische Vater 
and alle Heiligen taub geworden. Im Großherzogtum 
Luxemburg giebt es ein Städtchen, wo noöch heute 
alljährlich an den Pfingsttagen eine sogenannte Spring— 
Prozession stattfindet, in der Weise, daß die Beter 
nach dem Takt der Musik drei Schritte vorwärts 
springen und zwei rückwärts. Hierbei beteiligen sich 
10-15000 Menschen, die einen als Springer, die 
andern als Zuschauer. Es braucht wohl kaum gesagt 
zu werden, wie wenig dieses echt heidnische Schauspiel 
der Anweisung entspricht, welche der Heiland selbst in 
der Bergpredigt seinen Nachfolgern über das Beten 
zegeben hat. In der evangelischen Gemeinde wird 
auch gebetet, und Gaben werden reichlich dargebracht 
ür kirchliche und wohlthätige Zwecke. Nun mag es 
zuch hier Leute geben, die sich daraus ein Verdienst 
zurechnen, denn der Mensch ist von Natur selbstgerecht, 
allein niemals wird dieser seelenverderbende Irrtum 
von seiten der evangelischen Kirche in Predigt oder 
Lehre eine Ermunterung oder gar Bestätigung finden.“ 
(Fortsetzung folgt.) 
Im heiligen TLande. 
Reisebriefe von H. R. 
(Fortsetzung.) 
Bald nach zwei Uhr brachen wir auf und langten 
surz vor drei im Missionshause an, wo uns Herr 
Dahr schon erwartete, der es sich nicht nehmen lassen 
wollte, uns selbst zu den Sehenswürdigkeiten Hebrons 
zu begleiten. Wir bestiegen zuerst einen Hebron 
zegenüberliegenden Hügel und konnten uns von hier 
über die Lage der Stadt gut orientieren. 
Hebron lehnt sich an die Seite eines sanft an⸗ 
teigenden Thales, dessen Sohle freilich fast 900 Meter 
über dem Mittelmeere liegt. Wir schritten nun der 
zroßen Moschee zu, unter deren Boden nach alter 
Ueberlieferung die Doppelhöhle Machpela sich befindet, 
die Abraham zur Begräbnisstätte für Sarah kaufte 
und in welcher er selbst, sowie Isaak und Rebekka, 
Jakob und Lea die letzte Ruhestätte fanden. Rahels 
Brab liegt auf dem Wege von Jerusalem nach 
Bethlehem. An Stelle der früheren christlichen Kirche 
teht jetzt eine große Moschee, die von einer 50 Fuß 
johen Mauer umgeben ist. Eine sanft aufsteigende 
Treppe führt uns in den Moscheenhof. Wir durften 
aur einige Stufen bis zu einer Stelle, die in der 
Umfassungsmauer eine kleine Oeffnung zeigt, hinan⸗ 
teigen. Diese Oeffnung soll in die Grabhöhle hinab⸗ 
ühren. Die Juden werden nicht müde, kleine be— 
chriebene Papiere für Abraham hineinzuwerfen. Wir 
jatten natürlich erwartet, man würde uns die Moschee 
zeigen. Die Hebroner Muhamedaner sind aber sehr 
sanatisch und gestatten keinem Christen den Eintritt 
in ihr Heiligtum. Der Vrinz von Wales und unser 
Kronprinz erlangten nur durch einen besondern Ferman 
des Sultans Einlaß; in die eigentliche Grabhöhle 
aber durften auch sie nicht. Zu meiner Freude ist es 
mir gelungen, eine Photographie des Innern der 
Brabhöhle zu erlangen: sie zeigt Abrahams und Sarahs 
Grab. Kaum hatten wir uns zum Gehen gewandt, 
da flog ein dicker Stein uns nach; er traf zum Glück 
keinen von uns. Wir dankten Gott, daß es nur bei 
diesem einen Türkengruße blieb. In früheren Jahren 
var es kaum möglich, Hebron zu besuchen, so ge⸗ 
hässig zeigten sich seine Bewohner. 
Herr Dahr erzählte uns auf dem Rückwege von 
seiner schweren Arbeit, der fast jeder Erfolg mangelt. 
Im Ganzen unterrichtet er so gegen zwanzig Kinder 
hristlicher, arabischer Eltern, die aber zu manchen 
Zeiten, wenn die Muhamedaner besonders erregt sind,—
	        
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