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gann nun wie um die Wette ein ganzes System von
Plünderung, dem der Hausherr wie mit gebundenen
Zänden zusehen mußte. Er hatte durch seine Untreue
segen Gott und gegen seine Frau die Untreue seiner
Zeute entfessett, er hatte aufgehört, Herr im Hause zu
ein. Er hatte jetzt in mehr als einer Richtung zu er—
ahren: wer Sünde thut, ist der Sünde Knecht; Untreue
chlägt den eigenen Herrn. Das Raubsystem dehnte sich
iachgerade auch auf die Haushaltung aus: manch
Stück der reichen Ausstener verschwand. Elise konnte
richt nachforschen, die Mutter wollte ihre noch ange—
zrifsene Tochter schönen; das Treiben der frechen, die—
hischen Magd ward immer unerträglicher. Minder
elbst wollte sich erleichtert fühlen, als seine Frau, end—
ich aufgeklärt über das unredliche Wesen, mit dem
Reste ihrer Kraft die elende Person aus dem Hause
agte. Es war die höchste Zeit, das äußerste von Skan—
dal ward mit Geld zugedeckt: aber der Respekt, das
zJute Gewissen, die Ordnung, das Vertrauen und andere
zute Geister waren von dem Hause gewichen. Es
zing nun mit starken Schritten abwärts. Elisens Zu—
dand verschlimmerte sich; sie sollte fast regungslos sitzen
»leiben; ihr bester Trost war die Eriunerung an das
Hlück jener Tage, in denen sie bei der Pflege ihres
Vaters Trost und Erquickung gleichsam im Vorrat ge—
habt und von der Welt war bemitleidet worden. Und
etzt stellte sich der verhängnisvolle Unterschied in der
religiösen Stellung der Eheleute erst recht heraus:
vährend Elise manche Erfahrung davon machen durfte,
daß dem Christen alle Dinge zum Besten dienen und
hm auch aus Zuchtigung und Krankheit eine friedsame
Frucht der Gerechtigkeit und des Friedens erwächst, so
vard dagegen für Minder diese Krankheit seiner Frau
zum völligen Verderben. Er redete sich nun ein, daß
er seine Erholung, die er freilich gar nicht verdiente,
auswärts suchen müsse; er fand jetzt in der Krankheit
seiner Frau eine Art Berechtigung zu seinen mannich—
fachen treulosen Ausschreitungen; dadurch aber mußte
der Ruin sich beschleunigen, so gewiß es wahr ist, daß
„wer anf das Fleisch säet, vom Fleische das Verderben
erntet“. —
Wie so oft stellten sich auch bei Minder als Toten—
zräber des äußeren Glückes und Wohlstandes die Wucherer
in. Minder war durch seine verfehlten Spekulationen,
zurch die gewissenlose Besorgung oder vielmehr Nichtbe—
orgung des Ladens, für den man immer neue Vorräte
beschaffen mußte, ohne daß für die abgegangenen ge—
rügend Geld eingegangen war, durch seine flotten Lieb—
habereien und endlich durch die Krankheit seiner Frau
n allerlei Geldverlegenheit gekommen: da boten die
Wucherer ihre hilfreiche Hand an — wo das Aas ist,
da sammeln sich die Adler — es wurde Geld vorge—
treckt gegen ungeheuere Zinsen und unverschämte Pro—
»ision. Minder ärgerte sich über so schamlose Aner—
zietungen, allein was wollte er machen? er mußte Geld
haben um jeden Preis. Kam der Termin, wo die aus—
zestellten Wechsel fällig wurden, da drängten die Wucherer
zur Bezahlung, um so nachdrücklicher, je genauer sie die
Verlegenheit ihres Schuldners kannten.
(Fortsetzung folgt.)
ZRriefe aus dem Odeuwald.
(Schluß.)
Valentin Andreöäs Mutter, Maria Moser,
zus dem berühmten Geschlechte, das Deutschland zwei
christliche Staatsmänner gegeben, war eine mächtigt
Frau, die uns in ihrem Verhältnis zu Andreä vor—
kommt, wie Ludwig Hofackers Mutter in ihrem Ver—
hältnis zu ihrem Sohne. Oberhofprediger v. Grün—
éeisen in Stuttgart schildert sie folgendermaßen: „Un—
ermüdet an Fleiß, einfach in Sitten, besonders geschickt
im Sammeln der Kräuter und in der Bereitung von
Arzeneien, fest und streng im Glauben, eifrig im Gebet
lebie sie nach und von Gottes Wort, las alliährlich
die Bibel und monatlich ihr Psalmbuch zu Ende, und
war in der erbaulichen Litteratur ihrer Zeit sehr be—
wandert. In ihres Vaters Hause hatte sie den Anfang
gemacht mit der Pflege der Armen, sie fuhr im eigenen
Hause fort, und als Witwe war sie so thätig für an—
dere, wie je zuvor. Groß, schlank und kräftig von Ge—
stalt, fein von Antlitz, im Hause Herr wie ein Mann
und dienstbar wie eine Magd, mild und freigebig gegen
indere, selbst mit wenig und fast nichts zufrieden, kör—
perlich gesund und durch Arbeit abgehärtet, reinlich
aber allem Schmuck abhold, lebte sie überall anständig.
überall allen willkommen, sorgte für das Ihrige, ertrug
das Fremde, schätzte das Oeffentliche, schadete niemand,
bewies die Freude wohlzuthun gegen jedermann. Die
starke Frau gestattete sich, als ihr vielgeliebter sanft
mütiger Maun gestorben war, nicht eher eine Thräne
als bis sie ihm die Augen zugedrückt, die Lippen ge—
küßt und den Leichnam iu Sterbelinnen gekleidet. Milt
ihren sieben Kindern zog sie dann nach Tübingen, er—
nährte sie durch Kostgänger, pflegte sie sorglich wie ein
Arzt, unterrichtete sie gründlich wie ein Schulmeister
und alles das in der Liebesgewalt der Mutter. Ein
Freund schlug ihr vor, zur Erleichterung ihrer Last
einen oder den audern ihrer Söhne ein Handwerk ler—
nen zu lassen. Sie hörte den Rat ruhig an, als aber
der Ratgeber das Zimmer verlassen, zog sie ihren
Witwen⸗sSchleier vom Haupte, warf ihn vor die Söhnc
auf den Tisch, brach — ein seltsames Schauspiel —
in Thränen aus und sprach: „weun ihr brav bleibt
so will ich alles und selbst diesen Schleier daran wen
den, euch eurem Stand und der Wissenschaft zu erhal—
ten, und der Wunsch eures Vaters soll nicht vorgeblich
sein.“ Als die Kinder herangewachsen und in der Welt
zerstreut waren, da trug ihr die Freundschaft mit der
zleichgesinnten Herzogin den Ruf ein, als Vorsteherin
der Hofapotheke in Stuttgart sich niederzulassen; sie ver—
waltete ihr Amt im Sinne der Armen- und Kranken—
pflege und hieß bei allen Kunden nur die Mutter Au—
dreaͤ. In ihren alten Tagen, als der Herzog und die
Herzogin heimgegangen waren, zog sie zu ihrem Sohne
Johann Valentin Andreäa nach Calw. Dort ward sie
die Mutter der Stadt“ und die geliebte Mutter des
Pfarrhauses. Bis ans Ende und über das Ende hin—
aus durch ernste Mahnung an die Hinterbliebenen
waren die Armen ihre Sorge. Geistliche trugen den
Sarg, der Sohn ging hinter ihr her — nicht als der
eine Tote begrub, sondern als der geistliche Sohn der
Mutter, der ausging, in ihrer Nachfolge das Reick
Gottes zu predigen, uud nicht in Worten allein, sondern
in der Kraft.“ So weit Grüneisen.“)
Lassen Sie mich hiermit, hochgeehrter Freund, meine
Reisenotizen schließen, die ohnedies wohl schon zu lang
ausgefallen sind. Ich bleibe noch länger hier und
*) Vergl. Dr. W. Baur,. „Deutsches evang. Pfarrhaus“
Aufl. Bremen.