Full text: Evangelisches Wochenblatt (13.1886)

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Ton, ein unverständlich Geräusch, das in der Behaglich— 
eit deiner Sünde dich stört, aber nicht erweckt, weil du 
nicht ernstlich darauf achten willst? Ein Schlafender 
wird umgaukelt von allerlei lügnerischen Scheingestalten 
des Traums: Er ißt und wird nicht satt, er gewinnt 
ind wird nicht reich, er freut sich und wird nicht froh. 
O, hast du deine Frende auch noch an den trügerischen 
GHütern und Freuden der Erde, die doch so schnell ver— 
einnen, an der vergänglichen Freude in Wollust und 
Vergnügen der Zeit, das doch nicht wirklich froh, an 
dem Reichtum und der Arbeit dieser Welt, die doch nicht 
wirklich reich machen? Was kann den Schlafenden nicht 
überfallen an Unheil und Not! Wenn nun in deinem 
SZündentraum der Tod kommt, der zu den Hänsern der 
Menschen eingeht wie ein Dieb, und es überfällt dich 
die Ewigkeit mit ihren Schrecken! Steh auf; die Nacht 
ist zu Ende und der Tag ist da, die Stunde ernster 
und heiliger Arbeit für dein Seelenheil und das Gottes— 
reich. Steh auf und lege ab die Werke der Finsternis 
und lege an die Waffen des Lichts, — die Werke, die 
aus der Nacht stammen und der Nacht Art an sich 
tragen und in die Nacht führen, — den irdischen Sinn 
des Unglaubens, der nur für diese Erde lebt und nur 
an dieses Leben denkt, es sei an die Arbeit oder den Ge— 
winn oder die Ehre oder die Liebe dieser Zeit, — den 
Sinn, dem kein Gedanke ferner und unbequemer ist, 
als der an Tod und Ewigkeit und an Gericht. Leg 
in dafür die Waffen des Lichts, dies ernste, dringende 
Fragen: Was muß ich thun, daß ich selig werde? — 
das heilige, weise Gedenken an den Weg, der von der 
Erde in den Himmel und zu Gott führt, — den stillen 
Glauben au die Gnade, die in Christo auch den Ver— 
orensten selig zu machen im stande ist. Leg ab das 
alte Sündenleben, die Friedlosigkeit und Sorgenfülle 
deines beladenen Herzens, — den Neid und die Eifer— 
sucht gegen deinen Nächsten, der mehr hat als du, dem 
es besser geht, als dir, — die Streitsucht und den Haß 
und die Unversöhnlichteit und Weltlust — das sind 
Werke der Finsternis, selbst am Heiden sündhaft, aber 
entschuldbar, — sündhaft auch bei dir und unentschuld— 
dar in der Adventszeit des Gnadenlichts. Leg an die 
Wafsen des Lichts: Friede, Freude, Geduld, Demut 
Sanftmut, Keuschheit, mit denen du den Feind in dir 
ind die Versuchungen um dich überwindest. 
Es sind noch viele Schlafende in der Welt, die den 
hellen Tag mißbrauchen und die Gnade des Lichts auf 
Mutwillen ziehen. Wachet auf! ruft die Adventsstimme. 
Aber sie ruft die Schlafenden nicht allein, die Wachen— 
den auch. Mehr bange fast wäre mir um die Seele, 
die da meinte, sie brauche das nicht zu hören, noch zu 
Herzen zu nehmen, als um die, welche sich eigenwillig 
und böswillig dagegen verschlösse. Die Sünde lohnt 
ihren Dienern doch so schlecht, daß man immer noch 
hoffen kann, sie kündigen ihr den Dienst: aber wer sich 
zerecht dünkt, wie soll dem Gnade helfen? Was an 
dir, Menscheuherz, noch von den Werken der Finsternis 
hängt, und wären es die letzten Reste des alten Menschen 
nur, die dich entstellen, — wo einer ist, der dies oder 
jsenes Stück heidnischen Wandels, unreiner Gesinnung, 
ungläubigen Wesens an sich entdeckt, — die Stunde ist 
da. Lasset uns Advent, Rüstzeit anf das Kommen des 
Herrn halten im Geist und in der Wahrheit! Machet 
eure Kleider hell und haltet eure Lampen brennend, 
denn so gewiß, wie Weihnachten das alte Testament, 
gewiß schliekt die Wiederkunft des Herrn das neue 
Testament ab. Daß die erste Adventszeit endete, ip 
Bürgschaft, daß auch die zweite und letzte ein Ende hat. 
Und zwar, unser Heil, eben Jesu Zukunft, ist näher 
als je, — näher als da wir gläubig wurden. Wenig— 
stens, da das neue Kirchenjahr anhebt, um ein Jahr 
wieder näher, als da das verflossene begann. Ist es 
nicht, als zählte der Apostel die Tage, da er schon, da— 
mals inn Morgenrot des Christentums, von einem 
Nähersein redete, wo es noch so fern war? Kannst du 
das auch nicht, mein Christ, das sollst du wissen, daß 
auch der Tag, da es möglich ist aufzustehen und die Waffen 
des Lichts anzuthun, sein Ende hat, und eine Nacht ihw 
folgt, da niemand wirken kann. 
Advent ists! Jedes Glück, das einem widersährt 
legt auch Pflichten auf. Ist dir der Advent eine fröh 
liche Zeit, weil er die Gnade des Herrn dir aufs neue 
bringt, so vergiß nicht der ernsten Pflicht, die er dir 
ins Gewissen schiebt, und weil es denn Tag geworden 
ist und noch Tagnist, so stehe auf! Amen. 
Zurch tiefe Wasser. 
Eine Familiengeschichte. 
(Fortsetzung.) 
Minder war stolz, einen Stammhalter zu besitzen 
und manche Flasche Wein ward von ihm mit seinen 
Wirtshausfreunden auf dies frohe Ereignis getrunken. 
Die Bedenklichkeit wegen des Rückgangs im Geschäft 
machte einer frohen Laune Platz; es schien ein rechter 
Glücksstern über dem Hause aufgegangen. Auch Elise 
schöpfte neue Hoffnungen. Sie hatte mit Schmerz und 
Schrecken nach und nach wahrgenommen, wie ihr Mann 
doch einen gar starken Hang zur Genußfucht habe und 
immer in erster Linie an sich und sein Behagen denke 
Sie hoffte von der Geburt eines Kindleins eine Aende— 
rung in dieser Richtung: sie dachte, die Liebe zu einem 
Kinde werde gewiß seine Selbstsucht niederhalten, mit 
der Vaterliebe werden edlere Gefühle in sein Herz ein— 
ziehen. Sie unterließ es auch nie, im Gebet für ihren 
Mann um ein neues Herz zu bitten, weil sie nicht mit 
ihm beten konnte. Die größere Freundlichkeit und 
Heiterkeit ihres Mannes erschien ihr als ein gutes 
Zeichen. Sie ahnte in ihrer Wochenstube nicht, daß 
diese größere Heiterkeit eine Folge stärkeren Wirtshaus— 
besuches war. Ja die Sache wurde von der Geburt 
der Kinder an im Minderschen Hause bedenklicher als 
bisher. Elise war sehr geschwächt: es dauerte Monate, 
bis sie ihr Bett verlassen konnte, und auch dann noch 
war sie der größten Schonung bedürftig. Da wurde 
ihr die Mutter eine große Hilfe; konnte sie ihr auch 
nicht viel geistigen Trost und Stärkung bieten; sie 
konnte doch der Kinder sich annehmen und das nötigste 
im Haushalt besorgen helfen. Aber es fehlte eben doch 
die Aufsicht der Hausfrau über das ganze Hauswesen, 
die bis dahin die fremden Leute im Hause von den 
zröbsten Ausschreituugen in der Untreue zurückgehalten 
hatte. Jetzt war das ganze Haus preisgegeben. Die 
Magd plünderte nachgerade in der frechsten Weise den 
Laden aus, und was das schlimmste war, Klagen dar— 
über vonseiten der Ladendiener wurden von dem 
Hausherrn nicht beachtet oder als Verleumdung zurück 
gewiesen. Bald dämmerte den jungen Leuten der Ge— 
danke des Verdachts auf, daß ihr Herr gegen die Frech— 
heiten der Magd am Ende nichts mehr sagen dürfe 
uͤnd der Respekt vor ihm sank vollends dahin. Es bo
	        
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