Full text: Evangelisches Wochenblatt (13.1886)

Staaten Europas zu gewinnen hosit — bis jetzt mit wenig 
Frfolg, wie denn z3. B. die dentsche Regierung rundweg die 
Teilnahme abgelehnt hat. Als Hanptanziehungsmittel soll ein 
Riesenturm exrichtet werden. von Eisen konstritiert und in 3u5 
Meter Höhe, von dessen Spitze Paris nachts elektrisch beleuchtet 
verden soll. Er soll dem erstaunten“ Europa zeigen, daß das 
Volk, das solche Höhen besteigt, noch gesunde Sehnen und Lun— 
Jen hat, und daß die französische Metallindiustrieè keineswegs 
rank ist und der edle Boden Frankreichs mnoch Eisen und Kohlen 
genug hat, um „das Smmbol der Industrie im Gegensatze zu 
der alten Civilisation der Priester ünd Krieger zu erreften“, 
vie es in der phrasenreichen Sprache der franösischen Blätier 
heißt. Seine Kosten werden auf 8 Mill. Frauks geschätzt; der 
dammerausichuß hat dazu lue Mitl. bewilligt. Wem fällt da 
zicht der Turnt ein, von dem J. Mos. Il geschriehen stebt? 
In Bulgarien sind die Dinge inzwischen einen Schritt wei 
er gerücht. Die Nationalversammlung hat den Prinzen Wal— 
demar von Dänemark, den Bruder der ru'sischen Kaiserin, 
einmütig durch Zuruf zum Fürsten gewählt. Eine Deputation 
hat sich zu ihm begeben, der der Prinz erklärte, daß er die An— 
nahme, von der Entscheidung seines Vaters abhängig mache. 
Derselbe hat, wie zu erwarten war, ablehnend entschieden, wie 
denn diese dornenvolle Fürstenktrone waährlich wenig verlockend 
ist. Die Regentschaft hat abgedankt, ist aber mit Ausnahme 
eines Mitgliedes, das erseßt ist, wiedergewählt. Bisher hat sie den 
unaufhörlichen Reizungen und Beleidigungen des Generals Kaul— 
ars eine große Selhstüberwindung und eiserne Geduld gegenüber— 
gestellt. Dieser Mann scheint ertra ausgesucht worden zu sein, 
um als Pfahl im bulgarischen Fleische zu dienen, und man denkt 
dabei an das betannte Wort: Kratze den Russen und der Ta— 
lare kommt zum Vorschein. Selbst die Freilassung der meitte— 
rischen Offiziere, die ihrem Fürsten Eid und Treue brachen, hat 
er durchaesetzt und er erfindet täglich neue Gewaltthaten und 
Zuälereien. Tieses Uebermaß von Brutalität, wie es sich die 
Russen ungestraft dort erlauben, ist ein recht dunkles Blatt der 
Zeitgeschichte. Bisher haben sich die an dem Berliner Bertrag 
neteiligten Mächte im ganzen in Schweigen gehilllt, namentlich 
Enalaud hat die Vulgaren und ihren Fürsten Alexander im 
Stiche gelassen. Erst in diesen Tagen ist endlich ein männliches 
ind kräftiges Wort aus berufenstem Munde, dem des Ministers 
Salisbury, über den Kangal gedrungen, das dieses rusfische 
kreihben unummunden verurteilt. „Eine mitternächtliche Ver— 
chwörung von Offizieren. die der Fürst zum Siege geführt 
hatte, von ausländischem Golde bestochen, hat sich gegen ihn ge— 
wandt und ihn entthront. Das Gewissen und die öffentliche 
Yleinung Europas haben diese Handlungsweise verurteilt. Und 
nicht minder war Europa bestürzt über die Mittel, zu welchen 
usländische Staatsmänner griffen, um die Verschwörer vor der 
o reichlich verdienten Strafe zu retten. Dann folgte ein Eim 
zriff in die Rechte eines freien und unabhängigen Volkes 
iach dem andern, zum Glück bis jetzt auf diplomaätische Dro— 
ungen beschränkt, wenngleich Europa dergleichen mit dem tief— 
ten Bedauern anschaut.“ Des weiteren würdigt er voll den 
Mut, die Entschlossenheit und Veharrlichkeit der Bulgaren in 
der Bewahrung ihrer jungen Freiheit, wie sie kaum Völker, die 
chon Jahrhunderte frei sind, in der Geschichte bewiesen haben. 
Mit Nachdruck betont er, daß der Knotenpunkt der Lage in 
Wien zu suchen sei, daß Oesterreichs Entschließungen diejenigen 
Englands in hohem Grade beeinflufsen würden, und giht schließ 
iich der Hoffnung Raum, daß dennoch der Frieden Euͤropas 
ingestört bleiben, und daß die Zukunft dem Wiederaufhlühen 
von Handel und Gewerbe und nicht der zerstörenden Kriegsfurie 
sehören werde. Wer wollte solche Hoffning nicht teilen. wer 
nüßte sich aber auch nicht sagen, daß diese beständige Kriegs 
ereitschaft der Staaten wider einander, die Summen, die da— 
urch verschlungen, die Kräfte, die dadurch verzehrt werden, wie 
iin böser Wurm am Marke der Völker nagen und wie ein Blei— 
gewicht sich an ihren Aufschwung in den Werken des goldenen 
Friedens hängen? 
— Als ein sehr beachtenswertes Zeichen der Zeit ist der Bau 
er Ichinesischen Manenrr“ zu betrachten, welche von den 
iltramontanen Schriftstellern, Gelehrten, Theologen 
i. s. w. errichtet wird, um die Trennung von Prote 
tanten und Katholiken immer vollständiger und das 
Zusammengehen und gegenseitige sich Verstehen immer schwerer, 
a am Ende geradezu unmöglich zu machen. Wer blos ultra— 
nontane Zeitungen liest, wer die Kenntniß der Weltgeschichte 
aur aus ultramontanen Büchern sich erwirbt, wer sein UÜrteil 
nur von ultramontanen Broschüren u, s. w. bestimmen läßt, der 
muß dahin kommen, daß er im Protestantismus die verderblichfte 
uind, fluchwürdigste Erscheinung der Weltgeschichte sieht. In 
Luther sieht ein solcher nur nom einen ebrgeitigen. wofüstigen 
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* 
idbrüchigen Mönch; Gustav Adolf ist ihm ein blutdürstiges 
Scheusal, Tilly dagegen ein halber Heiliger u. s. w. Die evan 
gelische Lehre von der Rechtfertigung des Sünders durch den 
Glauben erscheint ihm ihöricht und frevelhaft, die lutherische 
Bibelübersetung wird ihm dargestellt als ein Werk voller Fehler 
sind Fälschungen. Die evangelischen Kircheugemeinschaften wer— 
den ihm als Tummelplätze aller Ungläubigen und Gottesleugner 
und darum als dem Untergange nahe hiugestellt, die evangelische 
Heidenmission als ein Werk, wodurch die Heiden noch schlechter 
werden, als sie vorher waren u. s. w., kurz: der Protestantismus 
ist die Wurzel aller Uebel, das Papsttum die Qunetle alles 
ZSegens auf der Erde. Diese Behauptung entspricht ganz dem 
zwech und Ziel des Jesuitenordens: den Protestantismus auszu 
catten und die Herrschaft des Papstes auszubreiten und zu be 
festigen. Wie die Hesniten früher schon thätig gewesen sind, 
um durch die Kanzel, den WVeichtstuhl und die Schule den prote 
tantischen Sauerteig auszurotten, so find sie jetzt auch mit aller 
Macht thätig in der Presse, um durch Zeitungen, Broschüren, 
talender, Geschichtswerke, Lebensbeschreibungen u. s. w. den 
Protestantismus zu bekämpfen, wobei es ihnen anf etliche Lügen 
ind Fälschunzen mehr oder weniger nicht ankommt. Ter Zwed 
heiligk ja die Mittel; welcher Satz übrigens von diesen Männern 
der Presse seit neuestem unserem Luther zugeschoben wird. Wenns 
mit solcher Verdrehung aller geschichtlichen Wahrheit (was sie 
‚Aufdechung von Geschichtsliigen“ nennen) noch ein Menschenalter 
'ortgeht, weunn diesen Fälschungen entsprechend in den katho 
lischen Schulen bis zu den Universitäten hinauf unterrichte! 
wird, so ist die chinesische Maner fertig, und jeder Katholif 
muß sich daun nur darüber wundern, wenn der Herr es zuläßt 
datz das Satanszeug des Protestantismus noch da ist. Es ist 
diese gegenwärtige jesuitische Verhezung gegen alles und jedes 
Protestantische eine Aussaat, aus der schlimme Friüchte hervor 
gehen müssen. Die Widerlegung und Richtigstellung der jesui— 
ischen Behauptungen aber nütt nicht viel, da solche Bücher 
atholischerseits entweder gar nicht gelesen oder totgeschwiegen, 
oder frischweg als lügnerisch gebrandmarkt werden, und das in 
einem Tone und mit einer Unverfrorenheit, daß nachgerade ein 
anständiger Meusch darauf verzichten muß, darauf zu antworten 
— Von O. Hübners „Geographisch-statiftischen Tabellen 
aller Länder der Erde“ ist kürzlich der Jahrgang 1886 erschienen 
Was die Gesamtzahl der Bevölkerung der Erde betrisft, so wird 
diese in den vorliegenden Tabellen mit 1485 Millionen bezissert; 
dieselbe verteilt sich auf sfolgende Religionen: Christen418 
Mill. (30.2 9/0): Katholiken 225 Mill. (15,2 0). Protestanten 12* 
Mill. (GSs ,0), Griechen 87 Mill (5,0 on, andere; 8 Mill. (Os */0) 
PMohamedaner 171 (11,286 0). Israeliten 8 Mill 
(l, 0). Heiden 858 Mill. (57.5 0): Buddhisten 486 Mill 
32 3), Vrahmadiener 138 Mill. 9a“u), Fetischanbeter 234 
Mill. (1.8203. Zusammen 1485 Mill. 
— (Der größte Gedanke.) Daniel Webster, der 
qgroße Staatsmann und gewaltige Redner, war einst nach New 
York gekommen. Im Astorhaus, wo er logierte, fand sich als— 
bald ein Kreis angesehener Männuer ein, die dem Demosthenes 
Amerikas ihre Aufwartung machen wollten. Man sprach von 
diesem und jenem, namentlich über Politik. Da richtete plötzlich 
einer der Anwesenden an Webster die merkwürdige Frage: 
„Herr Webster, darf ich Sie fragen, welches der größte Gedanke 
war, der je Ihr Herz erfüllt hat?“ Der Mann, ein großer 
Politiker, dachte gewiß jetzt eine bedeutsame politische Idee zu 
hören. Aber Webhster drehte sich nach dem Frager uͤm mil 
einem Angesicht. in dem sich feierlicher Ernst ausdrückte, und 
sagte: „Der größte Gedanke, der mir in den Sinn gekommen, 
das ist der Gedanke meiner persönlichen Verantwortlichkeit vot 
Gott. Der wiegt zentnerschwer, so oft ich an ihn denke.“ Als 
wan einmal in der Gegenwart Daniel Webhsters auf die erhabene 
Sprache des alten Testaments zu reden kam, sagte Webster mi 
tiesem Ernst; „Ja, meine Freunde, die Sprache des Jesaia 
Hiob und Habakuk ist wohl eine schöne und großartige; aber 
wenn Sie 69) Jahre gelebt haben, werden Sie das 14. oder 17. 
Kapitel des Evangeliums Johannis höder schätzen. als alle 
yracAliche Schönheit“ 
Ribelßalender. 
Evang.: Matth. 18, 23-385. Epist.: Phil. 1, 1-11 
Morgens. Abends. 
Sonntag, 21. Nov.: Psalm 90. Luc. 2, 29-32 
Viontag, 2., I. Cor. 15, 1211. Phil. 1, 27-2,4 
Dienstag. 23 * — 15, 12-28. „2, 5218 
Mittwoch, 245 5 2-49. 210-30 
Donnerst., 25 65, 50-8. „3, 1211 
Freitag. 26 2CKor. 5,. 1-10. 3, 12-21 
Samstag 11—401 184s011
	        
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