Full text: Evangelisches Wochenblatt (13.1886)

— 
allen ktrachten die Heiden, denn euer himmlischer Vater 
weiß, daß ihr des alles bedürfet; trachtet am 
ersten nach dem Reiche Gottes und seiner 
GBerechtigkeit, so wird euch solches alles 
zufaltben.“ Weun wir aber in Jesn Namen beten, 
so wird unsere Frende vollkommen sein. 
Daun werden wir Gottes Hand und Herz vom Him— 
nel herabbeten ist unser Leben, und unser eigenes sün— 
diges Ich aus uns herausbeten. Tann wird sich an 
uns das Wort erfüllen: „Ahles ist euer, ihr 
aber seid Ehristi, EChristus aber ist 
Gottes.“ Amen. 
Der alte Kapitän. 
VBon N. Fries. 
Fortsetzung.) 
Drittiées Kapitel. Schaden an der Seele. 
Schon maucher hat in übermütiger Ingendtrast ge— 
dacht, er wolle die ganze Welt gewinnen, hats aber 
nicht bedacht, daß es dem Menschen nichts, gar nichts 
hilft, ob er auch die ganze Welt geivinne, wenn er darod 
Schaden nimmt an seiner Seele, an seiner armen, un— 
sterdlichen Seele! 
Das hat Owe Jensen auch nicht bedacht, als er in 
ein Boot sprang, worin fremde Seelente an die Insel 
gekommen, um Lebensmittel zu holen. Das Boot ge— 
hörte zu einer stattlichen Brigg, die draußen vor der 
Sandbank auf den blauen Wogen schwebte. Und der 
Obermaat, der in dem Boot am Steuer saß, hatte Ge— 
fallen gefunden an dem flinken, schmucken Jungen, der 
den Fremden die Wege gewiesen und ihnen Hühner und 
Eier verschafft hatte. Als sie nun wieder in See stechen 
wollten und der Junge ihnen so sehnsüchtig und mit 
teuchtenden Augen nachgeschaut, da winkte der Mann 
am Steuer und rief ans Land zurück: „Komm mit, 
Junge! Komm mit!“ 
Da konnte Owe sich nicht halten, er vergaß alles, 
vas hinter ihm lag, sprang mit seinen nackten Füßen 
in die klare Flut, kletterte behende ins Boot und der 
Obermaat schwenkte den Hut, gab dem Jungen die Ru— 
der und klopfte ihm derb auf die Schulter. Das Boot 
jtog wie eine Möwe, von vier Mann gerndert, in die 
See hinaus. 
Oben auf der Sanddüne vor seiner Kajütenthür 
saß der alte Kapitän. Es war am späten Nachmittag 
eines Septembertages. Die Sonne stand schoön tief am 
wolkenlos blauen Herbsthimmel. Ein leichter Wind von 
Osten her kränselte die Wellen. 
Der Alte hatte drinnen eben die Abendkost bereitet 
und wollte ausschauen, ob der Junge nicht bald käme, 
dazu hatte er sich den dreibeinigen Schemel vor die 
Thür gestellt. Was drunten am Strande passierte, 
war ihm deshalb entgangen. Die schlanke Brigg drau— 
ßen hatte er zuvor bemerkt. „Muß ein Englischmann 
sein!“ murmelte er vor sich hin, — „wollen ihn doch 
mal näher betrachten!“ Damit holte er sich das Fern— 
rohr und hielts ans Auge. „Richtig! da weht die 
englische Flagge vom Toppmast! — Aber was ist das? 
Da stenert ein Boot auf die Brigg los; es ist schon 
halbwegs hin! Aus dem Boot winkt einer mit 'nem 
roten Tuch!“ — Wers ist, kann man zwar durchs Fern— 
rohr nicht sehen, aber eine innere Unruhe kommt über 
den alten Mann, eine Stimme sagte ihm, wer es ist. 
Gespannt blickte er durch das Gslas dem VBoote nach. 
es fliegt dahin, noch zehn Minuten, daun sind sie an 
Vord der Brigg! 
Da kommt jemand heraufgelaufsen, ein Weib mit 
fliegenden Haaren, — die große Maren! Sie macht 
schon von jerne Zeichen mit ihren laugen Armen, sie 
weist mit der ausgestreckten Hand in die See, nach dem 
Boot. Nunsernst sie: „Weg ist er! Sie haben ihn 
mitgenontmen! Ter Maat winktte ihm, da ist er nach— 
gesprungen. Ich habe alles mit angesehzen! Nun ist er 
weg! Wir sehen ihm nicht wieder!“ 
Der alte Kapitän sagte tein Wort, er winkte nur 
nachdrücklich mit der linken Hand; mit der rechten hielt 
er das Fernrohr, bis das Boot angolegt hatte. Er 
ahs auch noch, wie sie die Strickleiter hinaufkletterten, 
dann ward das Boot aufgezogen. Gleich darauf ent— 
ialtete die Brigg ihre weißen Segel, der Wind hlähte 
sie, und wie ein Schwan zog das schöne Schiff unter 
dem vollen Druck seiner Segel gen Westen. 
Bis die Masten ain Horizont untergetaucht waren, 
hielt der alte Mann das Glas am Auge. Dann stand 
er schwerfällig auf, nahm den Schemel und stolperte 
hinein. Die große Maren stand noch immer da und 
erwartete, das; er ein Wort sagen sollte, aber er sagke 
Jar nichts. Drinnen snhr er sich mit dem Rücken der 
Hand übers NAuge und stöhmte ein wenig. Dann aber 
Jeschah etwas, was noch nie dagewesen war: der Papa— 
zei bekam einen derben Schlag. Er setzte sich nämlich 
dem Manne auf die Schulter und schrie: „Rut mit em!“ 
— Jens Owesen hat an diesem Abend nichts gegessen. 
Er kieß die Hängematte sehr bald herunter und legte 
sich hinein, obgleich es nicht dunkel war. Später stieg 
der Vollmond aus dem Meere anf. Der Alte in sei— 
ner Koje konnte es jehen aus dem Fenster. Er kounte 
nicht schlasen und blickte nun immer in den Mondschein 
und in den Gtanzstreifen, der sich über die Wasser hin— 
zog, weit, weit in die Ferne! Die Gedauken waren in 
boller Bewegung drinnen! — Was dachte er denn? 
— Er prüßfte sich setber, vb er gethan an dem Jungen, 
was recht war. — „Tas Wollen des Guten habe ich 
wohl gehabt,“ — hieß es da „aber das Vollbrin 
gen? ach, das Vollbringen!“ 
Als das Boot draußen auf den Wellen mit dem 
Jungen davontanzte, — da ist es ihm schneidig durch's 
Herz gegangen, daß das Vollbringen gefehitt! Was denn 
nun? Mit dem Fernrohr kann er ihn nicht mehr er— 
reichen, aber der im Himmel kann ihn wohl erreichen, 
— und von der Hängematte geht auch ein Weg, gerade 
hinauf zu dem im Himmel. So wär's doch wohl noch 
möglich auf solchem Unnwege — der wohl eigentlich 
kein Umweg ist, — auch den Jungen zu erreichen. 
Als der alte Kapitän bei diesem Gedanken angelangt 
ist, faltet er seine Hände. Aber damit ist's noch nicht 
zu Ende, und der Schlaf will noch nicht kommen. 
Der Mond ist höher gestiegen, er scheint jetzt durch 
das kleine Fenster gerade hinein in den engen Raum. 
Man erkennt jeden Gegenstand. Da oben schwebt das 
Schiffsmodell. Da hinauf richten sich die Augen des 
alten Mannes in der Hängematte, und er dentt an 
alles, was er an VBord dieses Schiffes erlebt. Es führte 
als Gallion eine Frauengestalt an seinem Bug und 
den Namen „Agathe Katharina“. Das war der Name 
der Frau seines Schiffsrheders. Diese Frau, deren 
Bild — freilich nicht in Porträtähnlichkeit — an der 
Gallion prangte, hatte einmal den Kapitän des Schifses 
mit ihren großen. stillen Augen angesehen und ein
	        
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