nähmen ihnen Land und Leute, — das Blut Jesu, von
ihnen vergossen, schreit von der Erde und zieht das
Gericht über sie und über ihre Kinder. Später
erhoben sie sich. Sie wollten abwerfen das Joch —
und es ward härter. Es war eine Zeit, da stand auf
der Stätte Zion ein Heidentempel, und Israel blieb
verbannt aus der Stadt seiner Sehnsucht und Tausende
starben. Und über ihre Kindeskinder. Ver—
folgung, Haß, Hohn, Zerstreuung in alle Länder, das
ward ihr Erbteil durch alle Jahrhunderte hindurch.
Daß dieses Blut so heimgesucht worden ist an dem Ge—
schlecht, das sich daran versündigt, das ist Zeichen und
Beweis genug, wer es war, den sie verworfen. Das
ist das vierte Zeichen.
So sieh denn hin, o Christenauge, auf Gabbatha
und gedenke an ihn, der dir zu liebe leidet. Das ist
Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt. Und
wenn sie den Barabbas freilassen für ihn, so denke:
Für mich erlittst du Leiden, für mich ertrugst du Schmerz!
Ich danke dir, o Herr, daß dn dich hast verwerfen
lassen, damit ich freikomme, und daß du gestorben bist,
damit ich lebe! Und wenn Pilatus ihn gerecht nennt,
dann sprich: Deine Gerechtigkeit, Herr, das ist mein
Schmuck und Ehrenkleid; schenke sie mir und hilf, daß
ich dein sei und bleibe! Und wenn das Volk sein Blut
auf sich herabflucht, so bete es auf dich herab, denn
das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, macht uns
rein von allen Sünden.
Ja, Herr, laß in Gnaden über uns und unsere
Kinder kommen dein Blut und dein Heil! Laß es uns
stärken im Leben, retten im Sterben, und laß es einst
im Gericht besser für uns sprechen, als Abels Blut!
Amen.
Großmütterchen.
Erzählung von F. Strehle.
(Fortsetzung.)
Die letzten Reste des Winters waren von der Erde
getilgt. Der wonnige Lenz führte mit Allgewalt sein
geschmücktes Szepter. Die ganze Natur jnbelte, Feld
und Wald atmeten Freude und Eutzücken.
Es drangen Blüten
Aus jedem Zweig.
Und tausend Stimmen
Aus dem Gesträuch.
Und Freud und Wonne
Aus jeder Brust.
O Erd, o Sonne!
O Glück, o Lust!
Es war noch früh am Tage. Ein duftender Mai—
morgen warangebrochen, Klein-Lisi hatte längst sich darnach
gesehnt, wieder einmal in Großmütterchens freundliches
Auge zu blicken. Zu Hause — da lag ein so dumpfer
Druck auf allem und allen! Das Kind erhielt leicht
die Erlaubnis, in die Stadt zu gehen, war dann doch
auf ein paar Tage ein Esser weniger.
Lisi hatte von ihren Sachen das Beste herausge—
sucht. Zwar wars auch schon alt und verbraucht, aber
doch sauber und nett. Die Strümpfe und die wohl—
geputzten Schuhe trug sie am Arm in einem Körbchen,
um sie erst kurz vor der Stadt anzuziehen.
Ihr Weg führte durch den großen Laubwald, der
zwischen ihrem Dorfe und der Stadt lag. Es war so
feierlich uUmher.
Durch den Wald, den dunkeln, geht
dolde Frühlingsmorgenstunde,
Durch den Wald vom Himmel weht
Eine leise Liebeskunde.
Selig lauscht der ariine Baum,
Und er taucht mit allen Iweigen
In den schönen Frühlingstraum,
In den vollen Lenzesreigen.
Blüht ein Blümlein irgendwo,
Wirds vom hellen Tau getränket
Tas einsame zittert froh—
Daß der Himmel sein gedenket.
In geheimer Laubesnacht
Wird des Vogels Herz getroffen
Von der großen Liebesmacht,
Und er singt ein süßes Hojfen.
Auch das Blümlein Lisi ward vom hellen Tau ge—
troffen. Das Kind wußte sich ja keine Rechenschaft
darüber zu geben, was ihm geschah, aber je weiter es
ging, um so leichter wurde ihm ums Herz, um so
heiterer seine Mienen, und endlich öffnete sich der kleine
Mund sogar zu einem Liede. Lisi konnte nicht länger
so stumm durch all den Gesang hindurchgehen, sie mußte
mitthun.
Großmütterchen hatte längst auf Lisi gewartet. Heut
an diesem herrlichen Maimorgen war es ihr nicht mehr
zweifelhaft, sie kmme — und sie kam.
Frau Barbe hatte ihr freundliches Spitalstübchen
auf das schönste geschmückt. Selbst einige Blumen,
die sie gestern auf dem Wochenmarkte gekauft hatte,
Tulpen und Springauf, fehlten nicht. Das Fenster
stand weit auf, daß der schöne Maimorgen hereinströme.
— Zwischendurch blickte sie immer wieder einmal auf
die Straße, die sie, wenn sie sich ein wenig aus dem
Fenster herausbog, eine weite Strecke überblicken konnte.
Endlich — da — sie kam, ganz langsam und zag—
haft, als fürchte sie sich vor den hohen Häusern der
Stadt.
Großmütterchen eilte, so schnell sie vermochte, hin—
unter, der Kleinen entgegen, die sich ihr an den Hals
hing, so fest, als wolle' sie sie nicht wieder loslassen.
Ein Strom von Thränen stürzte ihr aus den Augen.
Waren es Freudenthränen? Viel Fragens war Lisi
gegenüber nicht an der Stelle.
Erst als man droben im hellen Stübchen wieder
vertrauter mit einander geworden war, kam als ein—
ziger Bericht von Hause dies heraus: „Vater ist jetzt
immer so schrecklich böse, er flucht so laut und hat auch
gesagt, der ganze Hof müsse abbrennen!“
Wie ein Dolchstich ging das letzte Wort der alten
Frau durchs Herz, und eine namenlose Angst besiel sie.
Wie? Sollte ihr Sohn von der Bahn heruntergekom—
mener Unbescholtenheit schon ablenken auf die des Ver—
brechens? Sie fand den ganzen Tag keine ruhige Mi—
nute mehr und mußte alle ihre Kraft aufbieten, dem
Kinde ein heiteres Gesicht zu zeigen, damit dasselbe in
seiner Wiedersehensfreude nicht beeinträchtigt würde. —
An dem Abende desselben Tages saß Bauer Jürgen
mit seinen Kumpanen wieder im Tabaksqualm der
Wirtsstube des Kretschams. Branntweingläser und
schmutzige Karten bedeckten den Tisch.
Juͤrgen hatte heut entschiedenes Unglück. Gewann
er sonst fast regelmäßig ein paar Groschen, heut bekam
er trotz alles Mischens immer die schlechtesten Karten.
Seine geringe Barschaft war längst verspielt, und er
hatte schon zur Kreide greifen müssen. Er wollte das