Full text: Der Saar-Freund (7.1926)

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bestimmungsrechts, als eine Verletzung der Instruktionen 
darstellen, die der Saarregierung seinerzeit vom Völker⸗ 
bundsrat gegeben worden sind. 
In Breslau hat der Kanzler festgestellt, daß in der 
Saarfrage gewisse Fortschritte erzielt worden sind, daß aber 
dennoch die Reichsregierung ihrerseits in dieser Frage die 
Hand nicht in den Schoß legen werde. Seine Worte sind 
eine Bestätigung dessen, was in den Tätigkeitsberichten des 
Vorsitzenden und des Geschäftsführers des Bundes der Saar⸗ 
vereine festgestellt worden ist. 
In der öffentlichen Vortragsveranstaltung des Bundes 
stellte Oberlandesgerichtsrat Andres als Ziel des Bundes 
die Herstellung einer Einheitsfront, einer 
Arbeitsgemeinschaft auf, die der inneren einmütigen deut—⸗ 
schen Einstellung der Saarbevölkerung entspricht. Diese ge⸗ 
schlossene Einheitsfront muß aufgerichtet und hochgehalten 
werden, solange das Saargebiet nicht zum deutschen Vater⸗ 
land zurückgekehrt ist. 
Aehnliche Gesichtspunkte sind auch vom Reichskanzler in 
der Versammlung des Volksvereins für das katholische 
Deutschland in Breslau angeschnitten worden, wenn er aus— 
führte: „Der Geist des Individualismus beherricht noch zu 
sehr die einzelnen Kreise unseres Volkes, ein Individualis—⸗ 
mus, der jeden Gemeinschaftssinn ertötet 
und erstickt. Erneuerung des Gemeinschaftssinnes muß 
eine vornehmliche Aufgabe all derjenigen sein, denen die 
Pflicht obliegt, für das Wohl des Volkes und 
des Staates zu sorgen.“ 
Eigentlich so selbstverständliche Gesichtspunkte, besonders 
soweit sich die Gemeinschaftsarbeit auf Fragen bedrohten 
oder bedrängten Deutschtums, vergewaltigten deutschen 
Bodens bezieht Und dennoch hält es so außerordentlich 
schwer, zu dieser Einheitsfront zu kommen. Weshalb? Das 
deutsche Volk in seiner parteipolitischen Zersplitterung und 
seinen Meinungsverschiedenheiten über nationale Forde— 
rungen ist leider auch in der Saarfrage nicht zu gemeinsamer 
Zusammenarbeit zu bringen. Im Vordergrund stehen immer 
wieder parteipolitische Hemmungen, selbsttötender Klassen— 
haß, weil es ihm an nationalpoütischer Schulung fehlt. Ge— 
rade der als einheitliche nationale Zundebun gedachte 
öffentiche Aufzug im Rahmen der Kölner —— 
für Saar, Rhein und Pfaiz hat gezeigt, daß nationaldeutsche 
Fragen von parteipolitischem Fanatismus erdrückt werden. 
Schien zunächit auch der Wille bei allen in Frage kommenden 
Organisatiore⸗n, Verbänden. Vereinen usw. vorhanden zu 
sein, für die Teutscherhaltung des Saargebiets ein Be— 
kenntnis abzulegen, so scheiterte dieser Wille auch hier an der 
leidigen Flaggenfrage. Daß diese Frage überhoupt in das 
Streben nach nationaler Arbeitsgemeinschaft hineinspielen 
konnte, ist ein Beispiel mehr dafür, wie unser ganzes 
nationales Leben durch parteipolitische Prinzipienreitere; 
zugrunde gerichtet wird. 
Was man im weiteren Verlauf der materiellen Ver— 
handlungen auf der Bundestagung zu hören bekam, war 
einmal erschütternd wegen der Tragit, die das politische, 
wirtschaftliche, kulturelle und soziale Leben der Saargebieis— 
bevölkerung erfüllt und doch wiederum erhebend, wenn man 
erneut erfahren durfte, mit welch unerschütterlicher Treue 
die Bevölkerung an der Saar zu Deutschtum, zu Heimat 
und Vaterland steht. Sollte es 'angesichts dieser Tatsachen 
überhaupt in der Beurteilung der Lage im Saargebiet, wie 
sie durch vertragswidrige Maßnahmen der Saaregierung 
herbeigeführt wurde, eine Meinungsverschiedenheit geben 
können? Ist wirklich die Sgarfrage nur so zu lösen, wenn man 
auf die praktische Anwendung vernunftmäßiger Grundsätze 
durch Deutschlands Gegenpariner an der Saat wartelr, 
weil einige wenige Vernünftige, Versöhnungsbereite in 
Frankreich bereit wären, sich mit Deutschland über die Saar— 
frage zu einigen? Ist es wirklich ratsamer, die wenigen 
vernünftigen Aeußerungen auf französischer Seite für be— 
deutsa mer zu halten, als jene Maͤßnahmen, die die Lage der 
Saar täglich neu verschärsen, die Rot vergröhern? Gidt ein 
Poincare wirklich eine gröäßere Gewähr fuͤr eine gerechte 
Beurteilung der Saarfrage, oder kann nur die Aufrüttelung 
des Weltgewissens durch immer neuen Hinweis auf die wirk— 
liche Lage den Völkerbund an seine Pflicht erinnern? 
J Landesratsmitglied Karius hat in seinen Aus— 
führungen über die Bevorzugung der französischen Belange 
im Saargebiet durch die Saarregierungskommission gezeigt, 
daß es eine falsche Einstellung ist, wenn man immer nmu 
wartet, bis das Heil von selbst kommt. ,Was das Saar, 
gebiet braucht ist eine Aufmunterung durq 
die deutschen Brüder.“ Das ist eine Mahnung, die 
uns alle angeht. Der Bericht, den Kommerzienrat 
Dr. Hermann Röchling über die Tätigkeit der Genfer 
Delegationen gab, ist gewiß nicht schmeichelhaft für jene 
französischen Völkerbundsdelegierten, die die Saarftage 
als eine Angelegenheit betrachteten, die Frankreich allein 
anginge, in die sich andere nicht einzumischen hätten. Sollten 
wir über eine solche Haltung Genugtuung empfinden, sollten 
wir sie als die praktische Inweaun des Völkerbunds⸗ 
ee anerkennen? Wenn Frankreichs Vertreter im 
Völkerbund nicht geneigt waren, den saarländischen Be— 
chwerden nachzugehen, dann mußte man sich eben an andere 
Staatenvertreter wenden. Daß es ein Engländer war, der 
Zeit und Interesse fand, sich mit den saarländischen Dele— 
gierten über die Saarfrage zu unterhalten, war bestimmt 
nicht jener Entwicklung ungünstig, von der Reichskanzler 
Dr. Marx feststellte, daß sie gewisse Fortschritte zeigt. Es 
ist aber noch nicht alles erreicht, eigentlich sogar recht wenig. 
Selbst jene Zusagen Briands im Sommer vorigen Jahres 
jaben im Saargebiet noch keine Auswirkung gefunden. 
Was das Landesratmitglied Krantz über die wirtschaft— 
iche und soziale Lage der Arbeitnehmerschaft des Saar⸗ 
gebiets berichten mußte, hätte nach unserer Auffassung längst 
ein Eingreisen des Völkerbundes gegen jene Faktoren ver— 
anlassen müssen, die sie verschuldet haben. Wir im Saar⸗ 
Verein wissen sehr wohl, woher die Not kommt und wie 
verheerend sie jeden einzelnen im Saargebiet ergreift. Es 
mußte aber hinausgeschrieen werden in die Welt, es 
mußte einmal von berufenen Vertretern der schaffenden 
Stände des Saargebiets der Finger in die Wunden ge— 
egt werden, die der saarländischen Arbeitnehmerschaft ge⸗ 
chlagen worden sind durch Einführung der franzöfischen 
Währung, durch Zerstörung der natürlichen Verbindungen 
des Saargebiets zur deutschen Soriawersicherung usw. Herr 
Tratz sieht in der Entwicklung und in der wohßvdurchdachten 
ystematischen Arbeit der französischen Grubenverwaltung 
an der Saar zur Demoralisierungvon Beamten 
und Arbeiterschaft eine große Gefahr für das Deutsch— 
um an der Saar. Hätte er sonst Veranlassung gehabt, 
Deutschland zu größter Aufmerksamkeit diesen Dingen degen— 
iber zu mahnen? 
Und dann die ernsten ergreifenden Worte des katholischen 
Pfarrers Dr. Schlich über die Autonomiefrage. 
Dieser geistliche und politische Führer an der Saar, der die 
politischen Strömungen der Masse wie auch die leisen 
Herzensneigungen des einzelnen Individuums auf Grund 
seiner seelsorgerischen Tätigkeit täglich beobachtet und 
empfindet, warnte mit tieser Eindringlichteit vor dem 
ßedanken der Autonomiebewegung. Wagt es wirklich einer, 
diesem ernsten Mann und erprobten Deutschen Uebertreibung 
der Verkennung der Tatsachen nachzusagen? Wenn es ge— 
chieht, dann aus parteipolitischer Gegnerschaft! 
Wir, die wir glauben, mit der Bevölkerung des Saar⸗ 
jebiets, mit ihren Nöten, ihren Wünschen und Hoffnungen 
ertraut zu sein, standen erschüttert unter dem Eindruck, den 
die Männer aus dem Saargebiet mit ihren Berichten, ihren 
Forderungen, ihren Mahnungen und Warnungen hinter⸗ 
ießen. Auch in der Aussprache, die sich an diese Referate 
anschloß, zeigte sich dieser gewaltige Eindruck, der durch die 
iberragenden Ausführungen Dr. Schlichs bei der gemein— 
amen Kundgebung im Kölner Messegebäude noch erhöht 
vurde. Hinter seinen Ausführungen steht die Auffassung 
er übergroßen Mehrheit der Saargebieisbevölkerung. Seine 
Kede, die in der Riesenversammlung wiederholt stuͤrmische 
Zustimmung auslöste, war ein Bekenntnis des 
sßaargebiets zum deutschen Vaterland, wie 
es packender und überzeugender nicht zum Ausdruck gebracht 
werden konnte. Er wies den Gedanken einer Saarautonomie, 
die verschiedentlich als importierte Pflanze im Saargebiet 
»ropagiert wurde, mit aller Eindeutigkeit zurück, da sich 
hinter diesem Gedanken die französische Propaganda ver⸗ 
ürgt. Für das Saargebiet gibt es, wie auch Dr. Schlich 
nit besonderer Betonung unterstrich, nur ein Ziel: Rück⸗ 
ehr des Saargebiets zumdeutschen Mutten 
ande
	        
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