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bestimmungsrechts, als eine Verletzung der Instruktionen
darstellen, die der Saarregierung seinerzeit vom Völker⸗
bundsrat gegeben worden sind.
In Breslau hat der Kanzler festgestellt, daß in der
Saarfrage gewisse Fortschritte erzielt worden sind, daß aber
dennoch die Reichsregierung ihrerseits in dieser Frage die
Hand nicht in den Schoß legen werde. Seine Worte sind
eine Bestätigung dessen, was in den Tätigkeitsberichten des
Vorsitzenden und des Geschäftsführers des Bundes der Saar⸗
vereine festgestellt worden ist.
In der öffentlichen Vortragsveranstaltung des Bundes
stellte Oberlandesgerichtsrat Andres als Ziel des Bundes
die Herstellung einer Einheitsfront, einer
Arbeitsgemeinschaft auf, die der inneren einmütigen deut—⸗
schen Einstellung der Saarbevölkerung entspricht. Diese ge⸗
schlossene Einheitsfront muß aufgerichtet und hochgehalten
werden, solange das Saargebiet nicht zum deutschen Vater⸗
land zurückgekehrt ist.
Aehnliche Gesichtspunkte sind auch vom Reichskanzler in
der Versammlung des Volksvereins für das katholische
Deutschland in Breslau angeschnitten worden, wenn er aus—
führte: „Der Geist des Individualismus beherricht noch zu
sehr die einzelnen Kreise unseres Volkes, ein Individualis—⸗
mus, der jeden Gemeinschaftssinn ertötet
und erstickt. Erneuerung des Gemeinschaftssinnes muß
eine vornehmliche Aufgabe all derjenigen sein, denen die
Pflicht obliegt, für das Wohl des Volkes und
des Staates zu sorgen.“
Eigentlich so selbstverständliche Gesichtspunkte, besonders
soweit sich die Gemeinschaftsarbeit auf Fragen bedrohten
oder bedrängten Deutschtums, vergewaltigten deutschen
Bodens bezieht Und dennoch hält es so außerordentlich
schwer, zu dieser Einheitsfront zu kommen. Weshalb? Das
deutsche Volk in seiner parteipolitischen Zersplitterung und
seinen Meinungsverschiedenheiten über nationale Forde—
rungen ist leider auch in der Saarfrage nicht zu gemeinsamer
Zusammenarbeit zu bringen. Im Vordergrund stehen immer
wieder parteipolitische Hemmungen, selbsttötender Klassen—
haß, weil es ihm an nationalpoütischer Schulung fehlt. Ge—
rade der als einheitliche nationale Zundebun gedachte
öffentiche Aufzug im Rahmen der Kölner ——
für Saar, Rhein und Pfaiz hat gezeigt, daß nationaldeutsche
Fragen von parteipolitischem Fanatismus erdrückt werden.
Schien zunächit auch der Wille bei allen in Frage kommenden
Organisatiore⸗n, Verbänden. Vereinen usw. vorhanden zu
sein, für die Teutscherhaltung des Saargebiets ein Be—
kenntnis abzulegen, so scheiterte dieser Wille auch hier an der
leidigen Flaggenfrage. Daß diese Frage überhoupt in das
Streben nach nationaler Arbeitsgemeinschaft hineinspielen
konnte, ist ein Beispiel mehr dafür, wie unser ganzes
nationales Leben durch parteipolitische Prinzipienreitere;
zugrunde gerichtet wird.
Was man im weiteren Verlauf der materiellen Ver—
handlungen auf der Bundestagung zu hören bekam, war
einmal erschütternd wegen der Tragit, die das politische,
wirtschaftliche, kulturelle und soziale Leben der Saargebieis—
bevölkerung erfüllt und doch wiederum erhebend, wenn man
erneut erfahren durfte, mit welch unerschütterlicher Treue
die Bevölkerung an der Saar zu Deutschtum, zu Heimat
und Vaterland steht. Sollte es 'angesichts dieser Tatsachen
überhaupt in der Beurteilung der Lage im Saargebiet, wie
sie durch vertragswidrige Maßnahmen der Saaregierung
herbeigeführt wurde, eine Meinungsverschiedenheit geben
können? Ist wirklich die Sgarfrage nur so zu lösen, wenn man
auf die praktische Anwendung vernunftmäßiger Grundsätze
durch Deutschlands Gegenpariner an der Saat wartelr,
weil einige wenige Vernünftige, Versöhnungsbereite in
Frankreich bereit wären, sich mit Deutschland über die Saar—
frage zu einigen? Ist es wirklich ratsamer, die wenigen
vernünftigen Aeußerungen auf französischer Seite für be—
deutsa mer zu halten, als jene Maͤßnahmen, die die Lage der
Saar täglich neu verschärsen, die Rot vergröhern? Gidt ein
Poincare wirklich eine gröäßere Gewähr fuͤr eine gerechte
Beurteilung der Saarfrage, oder kann nur die Aufrüttelung
des Weltgewissens durch immer neuen Hinweis auf die wirk—
liche Lage den Völkerbund an seine Pflicht erinnern?
J Landesratsmitglied Karius hat in seinen Aus—
führungen über die Bevorzugung der französischen Belange
im Saargebiet durch die Saarregierungskommission gezeigt,
daß es eine falsche Einstellung ist, wenn man immer nmu
wartet, bis das Heil von selbst kommt. ,Was das Saar,
gebiet braucht ist eine Aufmunterung durq
die deutschen Brüder.“ Das ist eine Mahnung, die
uns alle angeht. Der Bericht, den Kommerzienrat
Dr. Hermann Röchling über die Tätigkeit der Genfer
Delegationen gab, ist gewiß nicht schmeichelhaft für jene
französischen Völkerbundsdelegierten, die die Saarftage
als eine Angelegenheit betrachteten, die Frankreich allein
anginge, in die sich andere nicht einzumischen hätten. Sollten
wir über eine solche Haltung Genugtuung empfinden, sollten
wir sie als die praktische Inweaun des Völkerbunds⸗
ee anerkennen? Wenn Frankreichs Vertreter im
Völkerbund nicht geneigt waren, den saarländischen Be—
chwerden nachzugehen, dann mußte man sich eben an andere
Staatenvertreter wenden. Daß es ein Engländer war, der
Zeit und Interesse fand, sich mit den saarländischen Dele—
gierten über die Saarfrage zu unterhalten, war bestimmt
nicht jener Entwicklung ungünstig, von der Reichskanzler
Dr. Marx feststellte, daß sie gewisse Fortschritte zeigt. Es
ist aber noch nicht alles erreicht, eigentlich sogar recht wenig.
Selbst jene Zusagen Briands im Sommer vorigen Jahres
jaben im Saargebiet noch keine Auswirkung gefunden.
Was das Landesratmitglied Krantz über die wirtschaft—
iche und soziale Lage der Arbeitnehmerschaft des Saar⸗
gebiets berichten mußte, hätte nach unserer Auffassung längst
ein Eingreisen des Völkerbundes gegen jene Faktoren ver—
anlassen müssen, die sie verschuldet haben. Wir im Saar⸗
Verein wissen sehr wohl, woher die Not kommt und wie
verheerend sie jeden einzelnen im Saargebiet ergreift. Es
mußte aber hinausgeschrieen werden in die Welt, es
mußte einmal von berufenen Vertretern der schaffenden
Stände des Saargebiets der Finger in die Wunden ge—
egt werden, die der saarländischen Arbeitnehmerschaft ge⸗
chlagen worden sind durch Einführung der franzöfischen
Währung, durch Zerstörung der natürlichen Verbindungen
des Saargebiets zur deutschen Soriawersicherung usw. Herr
Tratz sieht in der Entwicklung und in der wohßvdurchdachten
ystematischen Arbeit der französischen Grubenverwaltung
an der Saar zur Demoralisierungvon Beamten
und Arbeiterschaft eine große Gefahr für das Deutsch—
um an der Saar. Hätte er sonst Veranlassung gehabt,
Deutschland zu größter Aufmerksamkeit diesen Dingen degen—
iber zu mahnen?
Und dann die ernsten ergreifenden Worte des katholischen
Pfarrers Dr. Schlich über die Autonomiefrage.
Dieser geistliche und politische Führer an der Saar, der die
politischen Strömungen der Masse wie auch die leisen
Herzensneigungen des einzelnen Individuums auf Grund
seiner seelsorgerischen Tätigkeit täglich beobachtet und
empfindet, warnte mit tieser Eindringlichteit vor dem
ßedanken der Autonomiebewegung. Wagt es wirklich einer,
diesem ernsten Mann und erprobten Deutschen Uebertreibung
der Verkennung der Tatsachen nachzusagen? Wenn es ge—
chieht, dann aus parteipolitischer Gegnerschaft!
Wir, die wir glauben, mit der Bevölkerung des Saar⸗
jebiets, mit ihren Nöten, ihren Wünschen und Hoffnungen
ertraut zu sein, standen erschüttert unter dem Eindruck, den
die Männer aus dem Saargebiet mit ihren Berichten, ihren
Forderungen, ihren Mahnungen und Warnungen hinter⸗
ießen. Auch in der Aussprache, die sich an diese Referate
anschloß, zeigte sich dieser gewaltige Eindruck, der durch die
iberragenden Ausführungen Dr. Schlichs bei der gemein—
amen Kundgebung im Kölner Messegebäude noch erhöht
vurde. Hinter seinen Ausführungen steht die Auffassung
er übergroßen Mehrheit der Saargebieisbevölkerung. Seine
Kede, die in der Riesenversammlung wiederholt stuͤrmische
Zustimmung auslöste, war ein Bekenntnis des
sßaargebiets zum deutschen Vaterland, wie
es packender und überzeugender nicht zum Ausdruck gebracht
werden konnte. Er wies den Gedanken einer Saarautonomie,
die verschiedentlich als importierte Pflanze im Saargebiet
»ropagiert wurde, mit aller Eindeutigkeit zurück, da sich
hinter diesem Gedanken die französische Propaganda ver⸗
ürgt. Für das Saargebiet gibt es, wie auch Dr. Schlich
nit besonderer Betonung unterstrich, nur ein Ziel: Rück⸗
ehr des Saargebiets zumdeutschen Mutten
ande