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welgert sich beharrlich, diesen Istetat vorzulegen“ Es liegt daher
die Vermutung nahe, daß sie irgendetwas zu verbergen
hat. Vielleicht übersteigen die isicigen Einnahmen die
Summen des Voranschlags erheblich, so daß die steuerliche Be⸗
laslung des Saargebietes noch höher ist. Wahrscheinlich aber
sind auch Gelder zu anderen Zwecken bzw. in
höheren Summen als im Voranschlag vorge—
sehen verwandt worden, und zwar zu Zwecken,
diedas Licht der Sonne zuscheuen haben, z. B. für
französische Propaganda im Saargebiet und
anderes.“ Sonst könnte man es sich jedenfalls nicht erklären,
daß die Regierungskommission der immer wieder erhobenen For—
derung auf Vorlegung des Istetats nicht Rechnung tragen will.
Wenn somit der Nachweis erbracht ist, daß die sereete Be⸗
lastung des Saargebietes ein ganz enormes Ausmaß erreicht hat
so muß sich diese Belastung um so verheerender auswirken, weil
bei der Verteilung dieser Lasten keineswegs nach dem Prinzir
der steuerlichen Gerechtigkeit verfahren wird, sondern gewisse
Kreise in ganz erheblichem Maße begünstigt werden.
Vor allem ist dabei an die skandalösesteuerliche
Begünstigung der Saargrubenverwaltung ge—
dacht. Durch das bekannte Steuerabkommen der Regierungskom—
mission mit dem französischen Staat werden die Beiträge der
Gruͤben zu dem Saarhaushali auf etwa ein Siebentel der Ge—
samteinnahmen herabgesetzt, während das richtige Verhältnis
1:3 oder sogar 1:2 wäre. Man kam aber schließlich zu dem
gewünschten Ergebnis, indem man das saarländische Vermögen
zunächst einmal reichlich hoch angesetzt hat und dann dazu einen
Betrag addiert hat, der die kapifalisierte sagrländi—
sche Arbeitskraft als Vermögensbestandtei!
bvön annähernd einer Milliarde erscheinen läßt
Dieses Verfahren ist so einzigartig, wie ungeheuerlich. Es be
deutet, daß ein jedes Menschenleben im Saargebiet, Kinder
Greise, Kranke eingeschlossen, mit 1200 Mark in dieser Bilanz er⸗
scheint. Und das alles nur, um die steuerlichen Leistungen der
Saargruben auf ein Mindestmaß herabzudrücken.
Eine gewisse Unlogik liegt insofern in dem ganzen Ver—
sahren, als man doch seinerzeit bei den Friedensverhandlungen
das Saargebiet als eine Art Anhängsel zu den Saargruben be—
handelt hat, und jetzt ergibt sich, daß diese nur den Wert eines
Siebentel des saarländischen Vermögens haben.
Wie sehr die steuerlichen Leistungen zurückgegangen sind,
ergibt sich aus folgenden Zahlen: Die Kohlensteuer erbrachte
1920 nicht weniger als 96 Millionen Franken, während die ge—
samten steuerlichen Leistungen der Saargruben 1825 nur noch
39 Millionen Franken, also 57 Millionen Franken weniger be—
tragen haben. Diese Zahlen geben aber erst das richtige Bild
wenn man die inzwischen eingetretene Frankenentwertung be—
sun int: 1920: 96 Millionen Franken (Durchschnittskun
UGM — 3,50 — 27,4 Millionen Mark; 1925: 89 Mil
ionen Franken Durchschnittskurs 1 6M 6,50 Franken) 6 Mü
lionen Mark. Somit sind die Steuerleistungen de—
Saargrubenauf weniger als ein Viertel zurüd
egangen; man ersieht daraus zur Genüge, wie sept die Auf
e der Kohlensteuer allein im Interese des französische
Staates gelegen hat. Die so entstandenen Ausfälle an Steuer
innahmen müssen selbstverständlich durch die Leistungen de
Zaarbevölkerung ausgeglichen werden. Daß auch im übrige
Steuerbegünstigungen des französischen Privatkapitals erfolgen
darf bei der ganzen Art des französischen Verwaltungssnstems
Saargebiet als selbstverständlich gelten.
Auch die Verteilung der steuerlichen Leistungen auf die e
zcden Bevölkerungskreise, entspricht keineswegs den moderne
Hrundsätzen der steuerlichen Gerechtigkeit. Die scharfe Anspan
nung der indirekten Steuern, die wiederum nach französischen
Muster erfolgt ist, belastet in erster Linie gerade die schwächsten
Schultern. Durch die Erhöhung der Umsattzsteuer und die Eip
führung der Luxussteuer wird diese Tendenz noch er
heblich verschärft. ie sehr gerade die schwächsten Schulter
tteuerlich überlastet werden, ergibt sich andererseits schon daraus
daß bei der Einkommensteuer der steuerfreie Einkommensbetra
überaus niedrig gehalten ist. Bisher betrug dieser im Saargebie—
16560 Franken und soll jetzt auf nur 2520 Franken erhöht werden
vährend diese Freigrenze in Frankreich 7000 Franken und j
lamnd 1200 Mark, also nach heutigem Kurse 8400 Franker
eträgt.
So muß die Saarbevölkerung ganz ungeheure Lasten trage
wie sie die Aufrechterhaltung des jetzigen Verwaltungssystem
erfordern, während gleichzeitig die französischen Kreise, die sid
im Saargebiet breit gemacht haben, und die allein den Nutzen
rwon diesen Verhältnissen haben, weitgehendst geschont werden
Im Gegenteil ist es diesen möglich, noch aus dem Saargebiet in
Dolge einer rücksichtslosen Politik erhebliche Mittel herausp
ziehen. Es sei nur auf die Kohlenpreispolitik der Vergvet
waltung verwiesen. durch die dem Saargebiet viele Millionep
uugunsten Frankreichs entzogen worden sind; und auf der anderer
Seite auf die Lohnpolitik der gleichen Bergverwaltung, ja de
zanzen ins Saargebiet eingedrungenen fränzösischen Kapital—
die es ermöglicht, auf Kosten der Arbeitnehmerschaft und dam
auch auf Kosten von Handel und Gewerbe erhebliche Ersparnib—
zu erzielen.
Man fragt sich unwillkürlich, wie lange da
noch so weiter gehen soll und wie langeder Völ
kerbund eine solche himmelschreiende Aus
powerung, für die er doch letzten Endes die Ver
antwortung trägt, noch dulden wird.
Die soziale Not im Saaorgebiet!
Von Cwald SommerSaarbrücken.
Nicht nur im Saargebiet, sondern auch im Deutschen Reiche
selbst herrscht Not, soziale Not im weitesten Ausmaße. Wenn man
aber objektiv die Verhältnisse im Saargebiet betrachtet, so muß
man doch feststellen, daß in diesem „Völkerbundsparadies“ eine
soziale Not herrscht in weitesten Kreisen der Bevölkerung, die
nicht mehr zu überbieten ist. Immer wieder muß man bei der
Beurteilung der Verhältnisse im Saargebiet zugrunde legen, daß
die Bevölkerung zu vier Fünfteln, aus Arbeitern besteht. Die
letzte Siatistik der Regierungskommission gibt die Zahl der Be⸗
schästigten auf etwa 190 000 Arbeiter an. Es ist selbstverständ⸗
lich, daß in diesen Kreisen die Ausbeutungspolitik, die
nicht nur allein vom französischen Staat an der Arbeiterschaft der
Saargruben getrieben wird, sondern auch in der vom französi—
schen Kapital beherrschten Hütten- und Metallindustrie einen
Bundesgenossen gefunden hat, durch Verbreiterung der sozialen
Not geradezu unhaltbare Zustände herausgebildet wurden. Es
sind die schlechten Einkommensverhältnisse der
Lohnempfänger des Saargebiets, die Not und Clend von
Tag zu Tag vergrößern und eine Stimmung hervorrufen, die als
geradezu katastrophal bezeichnet werden muß.
Soziale Rot besteht aber auch in den unhaltbaren Verhält⸗
nissen auf dem Gebiete des Wohnungswesens mit allen
ihren üblen Begleiterscheinungen auf gesundheitlichem, sittlichem
und auch auf sozialem Gebiete.
Soziale Not rust hervor die vollständige politische und wirt—
schaftliche Knechtung der deutschen Saargebietsbevölkerung, die
politisch der Herrschast der Autokratie untersteht und wirtschaft⸗
lich das Ausbeutungsobjekt eines französischen
Staats-und Privatkapitals bildet.
Auch der Mittelstand ist von dieser sozialen Rot ma
verschont. Weite Kreise des gewerblichen und kaufmännische
Mittelstandes kämpfen um ihre Existenz und werden zwange—
läufig immer mehr in Rot und Elend herabgedrückt.
Nicht überboten aber kann mehr werden die soziale Not un
ihre Auswirkungen in den Kreisen der Altpensionär—
Sozialrentner, Unfallrentner, Witwen un
Waisen, die einem langsamen aber sicheren Siechtum über
antwortet find. Wenn man daher von sozialer Not im Sagn
zebiet spricht, hält es ungeheuer schwer, zu sagen, auf welchem Ge
biete diese am größten und die Hilfe am notwendigsten ist.
Angesichts dieser Gestaltung der Dinge ist es noch mehr ar
berechtigt, zu fragen: „Wie ist es möglich, daß gerade im Saar
gebiet die soziale Not dieses ungeheure Ausmaß angenomme'
hat?“ Im Saargebiet, dem einzigen Verwaltungsgebiet eine
angeblich auf hohen Idealen aufgebauten Völkerbundes, der dor
in seinem Endziel die ganze Menschheit herausführen will au
Not und Elend, die unausbleiblichen Folgen eines jeden Kriege—
Dem Saargebiet, das doch vollständig jrei von all den ungeheuten
dasten eines enisetzlichen Weltkrieges, unter denen — mit Au—
iahme von Amerika — Sieger und Besiegte mehr oder minde
seiden. Im Saargebiet mit seinen reichen Kohlenschätzen, seine
eistungsfähigen Hütten- und Maschinenindustrie, seinen wel
berühmten Glas- und Keramfabriken usw.
Immer wieder muß man sich fragen, wie ist es möglich, oa
in einem solchen wirtschaftlich gesegneten Lande mit einer arbeits
frohen, bodenständigen Bevölkerung die soziale Not derart aroh
und furchtbar werden konnte?