Full text: Der Saar-Freund (7.1926)

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welgert sich beharrlich, diesen Istetat vorzulegen“ Es liegt daher 
die Vermutung nahe, daß sie irgendetwas zu verbergen 
hat. Vielleicht übersteigen die isicigen Einnahmen die 
Summen des Voranschlags erheblich, so daß die steuerliche Be⸗ 
laslung des Saargebietes noch höher ist. Wahrscheinlich aber 
sind auch Gelder zu anderen Zwecken bzw. in 
höheren Summen als im Voranschlag vorge— 
sehen verwandt worden, und zwar zu Zwecken, 
diedas Licht der Sonne zuscheuen haben, z. B. für 
französische Propaganda im Saargebiet und 
anderes.“ Sonst könnte man es sich jedenfalls nicht erklären, 
daß die Regierungskommission der immer wieder erhobenen For— 
derung auf Vorlegung des Istetats nicht Rechnung tragen will. 
Wenn somit der Nachweis erbracht ist, daß die sereete Be⸗ 
lastung des Saargebietes ein ganz enormes Ausmaß erreicht hat 
so muß sich diese Belastung um so verheerender auswirken, weil 
bei der Verteilung dieser Lasten keineswegs nach dem Prinzir 
der steuerlichen Gerechtigkeit verfahren wird, sondern gewisse 
Kreise in ganz erheblichem Maße begünstigt werden. 
Vor allem ist dabei an die skandalösesteuerliche 
Begünstigung der Saargrubenverwaltung ge— 
dacht. Durch das bekannte Steuerabkommen der Regierungskom— 
mission mit dem französischen Staat werden die Beiträge der 
Gruͤben zu dem Saarhaushali auf etwa ein Siebentel der Ge— 
samteinnahmen herabgesetzt, während das richtige Verhältnis 
1:3 oder sogar 1:2 wäre. Man kam aber schließlich zu dem 
gewünschten Ergebnis, indem man das saarländische Vermögen 
zunächst einmal reichlich hoch angesetzt hat und dann dazu einen 
Betrag addiert hat, der die kapifalisierte sagrländi— 
sche Arbeitskraft als Vermögensbestandtei! 
bvön annähernd einer Milliarde erscheinen läßt 
Dieses Verfahren ist so einzigartig, wie ungeheuerlich. Es be 
deutet, daß ein jedes Menschenleben im Saargebiet, Kinder 
Greise, Kranke eingeschlossen, mit 1200 Mark in dieser Bilanz er⸗ 
scheint. Und das alles nur, um die steuerlichen Leistungen der 
Saargruben auf ein Mindestmaß herabzudrücken. 
Eine gewisse Unlogik liegt insofern in dem ganzen Ver— 
sahren, als man doch seinerzeit bei den Friedensverhandlungen 
das Saargebiet als eine Art Anhängsel zu den Saargruben be— 
handelt hat, und jetzt ergibt sich, daß diese nur den Wert eines 
Siebentel des saarländischen Vermögens haben. 
Wie sehr die steuerlichen Leistungen zurückgegangen sind, 
ergibt sich aus folgenden Zahlen: Die Kohlensteuer erbrachte 
1920 nicht weniger als 96 Millionen Franken, während die ge— 
samten steuerlichen Leistungen der Saargruben 1825 nur noch 
39 Millionen Franken, also 57 Millionen Franken weniger be— 
tragen haben. Diese Zahlen geben aber erst das richtige Bild 
wenn man die inzwischen eingetretene Frankenentwertung be— 
sun int: 1920: 96 Millionen Franken (Durchschnittskun 
UGM — 3,50 — 27,4 Millionen Mark; 1925: 89 Mil 
ionen Franken Durchschnittskurs 1 6M 6,50 Franken) 6 Mü 
lionen Mark. Somit sind die Steuerleistungen de— 
Saargrubenauf weniger als ein Viertel zurüd 
egangen; man ersieht daraus zur Genüge, wie sept die Auf 
e der Kohlensteuer allein im Interese des französische 
Staates gelegen hat. Die so entstandenen Ausfälle an Steuer 
innahmen müssen selbstverständlich durch die Leistungen de 
Zaarbevölkerung ausgeglichen werden. Daß auch im übrige 
Steuerbegünstigungen des französischen Privatkapitals erfolgen 
darf bei der ganzen Art des französischen Verwaltungssnstems 
Saargebiet als selbstverständlich gelten. 
Auch die Verteilung der steuerlichen Leistungen auf die e 
zcden Bevölkerungskreise, entspricht keineswegs den moderne 
Hrundsätzen der steuerlichen Gerechtigkeit. Die scharfe Anspan 
nung der indirekten Steuern, die wiederum nach französischen 
Muster erfolgt ist, belastet in erster Linie gerade die schwächsten 
Schultern. Durch die Erhöhung der Umsattzsteuer und die Eip 
führung der Luxussteuer wird diese Tendenz noch er 
heblich verschärft. ie sehr gerade die schwächsten Schulter 
tteuerlich überlastet werden, ergibt sich andererseits schon daraus 
daß bei der Einkommensteuer der steuerfreie Einkommensbetra 
überaus niedrig gehalten ist. Bisher betrug dieser im Saargebie— 
16560 Franken und soll jetzt auf nur 2520 Franken erhöht werden 
vährend diese Freigrenze in Frankreich 7000 Franken und j 
lamnd 1200 Mark, also nach heutigem Kurse 8400 Franker 
eträgt. 
So muß die Saarbevölkerung ganz ungeheure Lasten trage 
wie sie die Aufrechterhaltung des jetzigen Verwaltungssystem 
erfordern, während gleichzeitig die französischen Kreise, die sid 
im Saargebiet breit gemacht haben, und die allein den Nutzen 
rwon diesen Verhältnissen haben, weitgehendst geschont werden 
Im Gegenteil ist es diesen möglich, noch aus dem Saargebiet in 
Dolge einer rücksichtslosen Politik erhebliche Mittel herausp 
ziehen. Es sei nur auf die Kohlenpreispolitik der Vergvet 
waltung verwiesen. durch die dem Saargebiet viele Millionep 
uugunsten Frankreichs entzogen worden sind; und auf der anderer 
Seite auf die Lohnpolitik der gleichen Bergverwaltung, ja de 
zanzen ins Saargebiet eingedrungenen fränzösischen Kapital— 
die es ermöglicht, auf Kosten der Arbeitnehmerschaft und dam 
auch auf Kosten von Handel und Gewerbe erhebliche Ersparnib— 
zu erzielen. 
Man fragt sich unwillkürlich, wie lange da 
noch so weiter gehen soll und wie langeder Völ 
kerbund eine solche himmelschreiende Aus 
powerung, für die er doch letzten Endes die Ver 
antwortung trägt, noch dulden wird. 
Die soziale Not im Saaorgebiet! 
Von Cwald SommerSaarbrücken. 
Nicht nur im Saargebiet, sondern auch im Deutschen Reiche 
selbst herrscht Not, soziale Not im weitesten Ausmaße. Wenn man 
aber objektiv die Verhältnisse im Saargebiet betrachtet, so muß 
man doch feststellen, daß in diesem „Völkerbundsparadies“ eine 
soziale Not herrscht in weitesten Kreisen der Bevölkerung, die 
nicht mehr zu überbieten ist. Immer wieder muß man bei der 
Beurteilung der Verhältnisse im Saargebiet zugrunde legen, daß 
die Bevölkerung zu vier Fünfteln, aus Arbeitern besteht. Die 
letzte Siatistik der Regierungskommission gibt die Zahl der Be⸗ 
schästigten auf etwa 190 000 Arbeiter an. Es ist selbstverständ⸗ 
lich, daß in diesen Kreisen die Ausbeutungspolitik, die 
nicht nur allein vom französischen Staat an der Arbeiterschaft der 
Saargruben getrieben wird, sondern auch in der vom französi— 
schen Kapital beherrschten Hütten- und Metallindustrie einen 
Bundesgenossen gefunden hat, durch Verbreiterung der sozialen 
Not geradezu unhaltbare Zustände herausgebildet wurden. Es 
sind die schlechten Einkommensverhältnisse der 
Lohnempfänger des Saargebiets, die Not und Clend von 
Tag zu Tag vergrößern und eine Stimmung hervorrufen, die als 
geradezu katastrophal bezeichnet werden muß. 
Soziale Rot besteht aber auch in den unhaltbaren Verhält⸗ 
nissen auf dem Gebiete des Wohnungswesens mit allen 
ihren üblen Begleiterscheinungen auf gesundheitlichem, sittlichem 
und auch auf sozialem Gebiete. 
Soziale Not rust hervor die vollständige politische und wirt— 
schaftliche Knechtung der deutschen Saargebietsbevölkerung, die 
politisch der Herrschast der Autokratie untersteht und wirtschaft⸗ 
lich das Ausbeutungsobjekt eines französischen 
Staats-und Privatkapitals bildet. 
Auch der Mittelstand ist von dieser sozialen Rot ma 
verschont. Weite Kreise des gewerblichen und kaufmännische 
Mittelstandes kämpfen um ihre Existenz und werden zwange— 
läufig immer mehr in Rot und Elend herabgedrückt. 
Nicht überboten aber kann mehr werden die soziale Not un 
ihre Auswirkungen in den Kreisen der Altpensionär— 
Sozialrentner, Unfallrentner, Witwen un 
Waisen, die einem langsamen aber sicheren Siechtum über 
antwortet find. Wenn man daher von sozialer Not im Sagn 
zebiet spricht, hält es ungeheuer schwer, zu sagen, auf welchem Ge 
biete diese am größten und die Hilfe am notwendigsten ist. 
Angesichts dieser Gestaltung der Dinge ist es noch mehr ar 
berechtigt, zu fragen: „Wie ist es möglich, daß gerade im Saar 
gebiet die soziale Not dieses ungeheure Ausmaß angenomme' 
hat?“ Im Saargebiet, dem einzigen Verwaltungsgebiet eine 
angeblich auf hohen Idealen aufgebauten Völkerbundes, der dor 
in seinem Endziel die ganze Menschheit herausführen will au 
Not und Elend, die unausbleiblichen Folgen eines jeden Kriege— 
Dem Saargebiet, das doch vollständig jrei von all den ungeheuten 
dasten eines enisetzlichen Weltkrieges, unter denen — mit Au— 
iahme von Amerika — Sieger und Besiegte mehr oder minde 
seiden. Im Saargebiet mit seinen reichen Kohlenschätzen, seine 
eistungsfähigen Hütten- und Maschinenindustrie, seinen wel 
berühmten Glas- und Keramfabriken usw. 
Immer wieder muß man sich fragen, wie ist es möglich, oa 
in einem solchen wirtschaftlich gesegneten Lande mit einer arbeits 
frohen, bodenständigen Bevölkerung die soziale Not derart aroh 
und furchtbar werden konnte?
	        
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