fassung vertreten, daß eine Gendarmeriestärke von 1000
Mann als ausreichend betrachtet werden müsse, um Ruhe und
Ordnung im Sagrgebiet sicherzustellen. Diesmal hat man
eine jolche Auffassung Chamberlains in Genf vermißt, was
sich daraus zu erklären scheint, daß über die Regelung der
einzelnen Saarfragen vorher in Paris zwischen Briand und
Chmdelain eine Bexreinharung zustande gekommen ist.
Im Saargebiet, in Deutschland und in anderen ehr—
lichen Völkerbundsstaaten aber fragt man sich: Was wird
aus dem Rest der französischen Saarbesatzung? Der Per—
fonalbestand der Gendarmerie, der als in normalen Zetten
für Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung für aus—
reichend gehalten wird, war am 1. April erreicht. Aus dem
jüugsten Rechenschaftsbericht über die Verwaltungstätigkeit
der Saarregierung ergibt sich, daß Frankreich nur ein Jäger—
bataillon bis Ausgang Mai zurückziehen will. Angesichts
dieser auf Verschleppung der ganzen Besatzungsfrage hinaus—
laufenden Angelegenheit erklärt sich ganz von selbst die Be—
fürchtung, daß die Saarregierung in ihrer alten Zusammen⸗
setzung nicht daran gedacht hat, auf die Saarbesaßzung zu
verzichten, und daß nach dem bisherigen Verhalten der
neuen Saarregierung nicht damit zu rechnen ist, daß diese von
der Auffassung ihrer Vorgängerin abgehen wird. Das ist
um so weniger zu erwarten, als sich ja tatsächlich an der Zu⸗
sammensetzung der Regierungskommission nichts geändert
hat, auf keinem Falle die französische Vormachtstellung der
Saarregierung beseitigt worden ist. Selbst aber wenn man
annehmen möchte, daß der Beschluß des Völkerbundrates in
der Gendarmeriefrage so aufzufassen ist, daß nunmehr die
französische Besatzung überflüssig geworden wäre, dann
kann man sich leicht ausrechnen, welche Zeit erforderlich sein
würde, um den letzten französischen Soldaten aus dem
Saargebiet herauszuziehen, nachdem zur Zurückziehung eines
einzigen Jägerbataillons volle zwei Monate für ersorderlich
gehalten werden. Von Sagarbrücken bis Forbach — wo man
lich wiederholt um eine französische Garnison bemüht hat,
weil die ehemaligen deutschen Kasernen, kurz vor dem Krieg
nen errichtet und aufss modernste ausgestattet, leerstehen —
sr es ganze acht Chausseekilometer, die zu bewältigen
elbst für ein französisches Jägerbatgillon wirklich keine
Leistung darstellen sollte. Aber Frankreich will seine
Truppen nicht aus dem Saargebiet herausziehen und die
Saarregierung ist, wie unter Herrn Rault, so offenbar auch
unter Herrn Stephens, in all ihren Maßnahmen von Frank—
reich abhängig.
Aber nicht nur die Saarregierung ist von Frankreich
abhängig, offenbar auch weiterhin der Völkerbund; sonst
aee ein Beschluß wie der am 19. März in Genf nicht zu⸗
ande kommen dürfen. Jedenfalls läßt dieser Beschlufßj nur
die Auffassung zu, als detrachte man im Völterbund die
Saarfsräge noch immerin erster Linfe afls
eine französische Interessenfrage — und be—
handelt ste demgemäüß. Man har daher auch jetzt wieder
keinen Anstand genommen, die französischen Interessen ent⸗
sprechend zu beruͤcksichtigen. Was aber der britische Außen⸗
minister am 22. April im englischen Unterhaus über die
Frage der französischen Besatzung erklärte, das übertrifft
jede pessimistische Erwartung. Chamberlain war im eng⸗
lischen Unterhaus gefragt worden, ob auf der letzten Völker⸗
bundratssitzung in Genf ein Zeitpuntt festgesetzt wurde,
innerhalb dessen die französischen Truppen zurückgezogen
werden follten. Er antwortete hierauf verneinend und er—
klärte wörtlich: „Die französische Regierung
hat sich aber vernuflichtet, bis zum 31. Man
ein Batailler uder Saarzurüäckzuziehen
und dann S fügr Schritt die Zurück—
ziehung der 2rigen Teile der in Saarge—
biet stehenden Truppen durchzuführen.“
Kann man aus diesen Aeußerungen Chamberlains
etwos anderes entnehmen als das, daß sich Frankreich
jedes Hineinreden in seine Maßnahmen sim
Saargebiet verbittet und nur es selbst entscheidet,
wos dort zu geschehen hat? Wir finden zwar im Saar—
statut des Versailler Ditiats nicht eine Bestimmung, auf die
ich Frankreich berufen könnte, um solche Sprache dem
Polterbund gegenüher zu führen Obwohl die Bestimmungen
hierüber klar wie kaum eine andere des Versailler Diktats
sind, hat der Völkerbund immer und immer wiedet in eine
jorigesetzte Vertrogsverlezung durch Frankreich und durqh
die Saarregierung eingewilligt. Die Ausflüchte und soge
nannten Begründungen, die Hexr Rault all die fünf Jahre
hindurch für die Aufrechterhaltung der französischen Ve—
satzung gemacht hat, sind bekannt. Wenn sie nicht immer
logisch und nicht immer miteinander übereinstimmend
varen, so ergibt sich daraus weniger eine Inkonsequenz des
Herrn Rault, sondern lediglich die Unangreifbarkeit der
deutschen und der Argumente der Saargebietsbevölkerung
gegen die Aufrechterhaltung der Saarbesatzung. Aus dem
Munde Chamberlains wissen wir nun mit ziemlicher Be—
stimmtheit, daß Frankreich zunächst nur die Zu
lage der Zuräckziehung eines Bataillon—
JFägergegeben hat, für dessen Verlegungvolle
zwei Monatee in Anspruch genommen werden. die Fest—
etzung eines Zeitpunktes für die Zurüctziehung der übrigen
Besatzung hat Frankreich abgelehnt und nur gänz allgemein
ꝛinen schrittweisen Abbau in Aussicht gestellt. Selbst wenn
eine Zurückziehung der französischen Saartruppen beschlossen
worden sein sollte und für die Zurückziehung das gleiche
Tempo wie für das französische Jagerbataillon eingehalten
würde, dann wäre frühestens im Sommernäächsten
Fahres das Saargebiet von der franzs
sischen Besatzung srei. Die Verpflichtungen Frank
reichs zur restlosen Zurückziehung der französischen Saar—
kruppen sind aber so ungewiß, daß man berechtigte Zweife
haben kann, ob bis zum Sommer n. Is. die Befreiung de
Snargebiets von der französischen Vesatzung erreich
sein wird.
Wenn man sich diese Tatsachen vergegenwärtigt, danr
kann man nicht mehr im Zweifel sein, daß Fraukrei«
deine saarpolitischen Ziele noch nicht auf—
gegeben hat und mit der Belassung der
französischen Besaßzungsarmee an der Saar
politische Zielbe verfolgt, die ebensowenig ver—
tragsmäßig sind, wie die weitere Unterhaltung dieser
tranzösischen Besatzung. Daß man französischerseits mit der
Saarbesatzung bestimmte politische Ziele verfolgen muß,
ergibt fich auch aus der ganzen Art der zähen Abwehr allet
Versuche, Frankreich zur Zurückziehung dieser Besatzung zu
veranlassen. Dabei hat sich kein Unterschied gezeigt, ob es
sich um eine Regierung Poincaré, Herriot oder Briand
sJandelt. Als der Völterbundsrat in seiner Sitzung vom
11. März 1924 sich mit der Besatzungsfrage an der Saat
befaßte, und schließlich einem Berscht der Regierungs—
kommisfion zustimmte, der das vorgesehene Ausbau—
programm sür die örtliche Gendarmerie um 200 verminderte
da schrieb damals triumphierend das „Echo National“
„Die franzöhischen Truppen werden bis zu⸗
Volksabstimmung im Saargebiet bleibent
Die Pariser „Action française“ aber sprach im Zusammen
hang mit diesem Beschluß vom Saargebiet als von einen
Kolonie der französischen Armee“, und von einer Frage.
„die nur die Truppen angeht und sonit nie
mand“. Wenn man hiermit die Worte Chamberlains iw
englischen Unterhaus am 22. April d. Is. vergleicht, dann
gewinnt man die Upberzeugung, daß an dieser Auffassung
tatsächlich weder Chamberlain, noch Briand, noch der
Bölkerbund zu rühren wagen. Die franzößische Arme⸗
wird bestimmen, ob und wann die franzöfische Saarbesatzuns
zurückgezogen wird, genau so, wie sie bestimmt, ob die
französische Besatzung am Rhein vermindert werden soll
Weder das französfische Kabinett, noch der Völkerbund, nos
die Botschafterkonferenz sind in der Lage, auf die Be—
atzungsfragen einzuwirken, wenn es nicht im Einverständ
nis mit der französischen Armee geschieht. Wäre es anders
so bedürfte es doch wohl nur eines ernsthaften Beschlusses
des Völkerbundrates, daß der Stand des saarländischen Gen—
darmeriekorps erreicht ist, daß nach Abschluß des Ausbaues
der Saargendarmerie ein längeres Verbleiben der franzö—
sischen Saarbesatzung nicht mehr geduldet werden könne
und daß daher die französische Besatzung in kürzester Frist
von der Saar zurückzuziehen ist. Oder fürchtet der Völter⸗
bund, daß Frankreich sich an einen solchen Beschluß doch nich
halten würde? Was geschieht aber, wenn ein Volkerbunds
mitglied sich der Durchführung einer Völiterbundsem
ens widersetzt, menn dieses Mitglied — Frankreis
eißt?ꝰ