Full text: Der Bergmannsfreund (29.1899)

„Ist Tonio denn in böser Gesinnung gestorben? Faßt kaum haftete sein Blick auf dem regungslos daliegenden Bri— 
Euch, gute Frau, und erzählt mir Alles.“ ganten, so überfiel ihn eine fürchterliche Angst. 
„Nein, Signor Curato, ich bin überzeugt, daß er im „Um des Himmels willen, Don Girolamo, helft mir rasch 
Grunde seines Herzens ein Christ war. Aber er erklärte, er sort von hier, ich sterbe vor Furcht!“ Und er mühte sich aufzu— 
wolle keinen anderen Priester um sich haben, als Euch!“ stehen, aber seine Kniee schlotterten, er wankte und sank er— 
„Der Arme! Möge der Himmel ihm gnädig gewesen sein!“ mattet zu Boden. 
Ja, und als er so sprach, küßte er ein silbernes Kreuzchen „So nehmt doch Vernunft an, Ciciotto, was habt Ihr 
das an einer silbernen Kette auf seiner Brust hang. Zugleich denn? Ihr fürchtet doch den armen Guercio nicht?“ 
berlangte er, daß man man ihn dieses seines Schatzes nicht be— „Aherdings, denn ohne Euer Kommen, Don Girolamo 
rauben und mit demselben begraben solle, das sei sein einziger wäre ich zegzt des Todes am Galgen gestorben. Er wollte mick 
Wunsch vor dem Tode.“ hängen!“ 
Ich war gerührt, so viel Gefühl hätte ich dem Banditen „Ich denke doch, Ihr habt ihm heute Morgen diesen 
aicht zugetraut. „Ist dies Alles, was er gesagt hat?“ traurigen Dienst erwiesen?“ 
„Ach, Signor Curato,“ und die Thränen der Unglück— „Gewiß, und ich glaubte auch, es richtig gemacht zu haben 
üichen flofsen noch reichlicher, ‚Tonio hat mir auch noch eine Es scheint aber doch, daß ich mich geirrt habe.“ Und er schielt« 
Bilte an Euch aufgetragen.“ ängstlich zur Seite. 
„An mich? Eine Bitte?“ „Caro mio,“ sagte ich jetzt zu dem Henker, indem ich ihm 
„Ja, an Euch, Signor Curato, und er sagte mir, zu fest ins Auge blickte, „dahinter steckt etwas. Weshalb seid Ihr 
welcher Stunde Ihr auch kommen möchtet und sein Körper hier?“ 
räre noch am Galgen, so sollte ich Euch bitten — Dio mio, ich „Signor Curato,“ stöhnte er jetzt und sank in die Knie 
vage es nicht zu sagen ...“ „verratet mich nicht! Um Gotteswillen! Ich will Euch alle— 
„Sprecht nur, Donna Cecilia, eines Sterbenden Wunsch gestehen!“ 
st heilig.⸗ „Mache es kurz! 
„Ich sollte Euch bitten, zur Richtstätle zu gehen und bei ZZuerst muß ich Euch erzählen, daß der Guercio durchaus 
seiner Teiche für seine arme Seele ein Pater noster und ein Ave keinen andern Priester haben wollte, als Euch, bis zuletzt hofft 
Maria zu beten. Ihr würdet es gewiß nicht abschlagen. davon er, daß Ihr kämet.“ 
eei er überzeugt.“ „Das weiß ich. Und weiter?“ 
„Er soll sich nicht getäuscht haben, ich gehe sofort zur Nun und da führten wir ihn denn hinaus, neun Uhr 
Richtstätte.“ wird es gewesen sein. Und dann — Ihr wißt vielleicht nicht 
Ach, Signor Curato, wie gut Ihr seid!“ wie es gemacht wird —“ 
Und sie ergriff meine Hände, um sie zu küssen; ich wehrte „Schweige davon und sage mir, was sein letztes Wor! 
ab, sprach ihr noch Mut und Trost zu und entließ sie. war.“ 
Es war ungefähr elf Uhr Abends. Das Ziel meines selt— „Wie Ihr wollt, Signor Curato. Als ich dachte, daß er 
samen Ganges bildete ein hochgelegener freier Platz, der auch endlich bereit sei, schaute er mich nochmals an. Ich fragte: 
zeute noch die Stadt beherrscht. Was willst Du? und er antwortete: Das Kreuzchen, das ich hier 
Als ich eine gewisse Höhe erreicht hatte, konnte ich im fahlen trage, soll mit mir bearaben werden. Ja, ja, sagte ich, und 
Mondlichte den Galgen unterscheiden — ein beweglicher dann —, 
Schalien zog sofort meine Aufmerkfamkeit auf sich — es war sid en bis r gekommen, um den Toten zu bestehlen 
het des unglüctichen Sutera Plößüch stutzte ich, am Elender! Du wolltest sein Kreuzchen nehmen — gestehe! 
Fuße des Galgens bemerkte ich eine formlose Masse, die sich „Die Versuchung war zu groß — ihm nützt es ja doch nich! 
ngsam und ldaulos bewegte. Was mochte das sein? In miehr, dachte ich, und so . “ser stockte. 
diesem Moment entschlüpfte der Mond seinem dichten Wolken— „Weiter,“ sagte ich strenge. 
schleier und überstrahlte die Richtstätte — es war kein Zweifel, „Wie es zuging, weiß ich nicht, und Ihr mögt es mir 
in Mensch umschlich den Galgen. Die Gestalt nahm eine Zlauben oder nicht, Signor Curato, aber in dem Augenblich, als 
Teitet von der Erde auf, lehnte sie an und stieg hinauf — eine sch das Kreuz nehmen wollte, zog er seinen Kopf aus der 
—V 
furchtbarer Schrei. Ich sah zwei Körper, die sich bewegten, weiner Rettung gekommen, so hatte meine letzte Stunde ge— 
zörte Hilfe rufen mit der Stimme eines Erwürgten und sprang schlagen.“ 
n wenigen Sätzen den Weg hinan. Doch schon lag einer der Trotz meiner traurigen Umgebung mußte ich unwillkürlich 
heiden Gestalten am Boden, während die andere am Stricke lächeln. Was doch das böse Gewissen dem Menschen alles vor— 
derzweifelte Anstrengungen machte, sich loszureißen. spiegeln kann! 
Wo sollte ich zuerst helfen? Ich beugte mich zu dem Ge⸗ „Das ist ja die reine Unmöglichkeit, was Du da erzählst.“ 
allenen herab — es war der rechtlich gerichtete Sutera; ihm „Aber Signor Curato, habt Ihr mich nicht selbst da ober 
war nicht mehr zu helfen, der Justiz war Genüge geschehen. gtsehen?“ 
So rasch ich konnte, stieg ich die Leiter hinan, zerschnitt den „Genug jetzt, und nun bringe den armen Guercio wieder 
Sirick mit meinem Taschenmesser und auch der Zweite fiel au an feinen vorigen Platz. Die Gerechtigkeit muß ihren Laut 
Boden. Schleunigst klellerte ich dann hinab und nur mit baben und das Urteil erfüllt werden.“ 
großer Mühe gelang es mir, die noch immer seinen Hals zu— Der Henker rührte sich nicht von der Sielle. 
schnürende Schlinge zu lösen. Während dieser Handlung be— „Also nicht nur Dieb, sondern auch Feigling! Thu, was 
rachtete ich mir ihn näher und, wer beschreibt mein Erstaunen? Deines Amtes ist!“ 
— der Henker von Nicosia war es. Meine Rede war umsonst. „Nicht um Alles in der Welt, 
Nach einigen Minuten kehrte dem Henker das Bewußtsein stöhnte er endlich. „Aber wenn Ihr mich nicht verraten wollt 
zurück und er schlüg endlich die Augen uf. „O, Don Giro- so komme ich morgen bei Tagesanbruch, sobald es hell ist, und 
lamo,“ keuchte er, „Ihr seid es? Wie kommt Ihr hierher zu bringe alles wieder in Ordnung. Ich will jetzt nach Hause und 
dieser Stunde?“ mich erholen, geht Ihr auch?“ 
„Dasselbe möchte ich Euch fragen.“ „Noch nicht, ich will erst die Gebete sprechen, um die der 
Er schien sich zu besinnen und blickte scheu um sich, aber leirme mich hat ersuchen lassen.“ Und ich kniete neben ihm
	        
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