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dauliche Gemüse, wie Kohlarten, ungeschälte Hülsenfrüchte,
sind gänzlich zu vermeiden. Fleisch muß frisch und zart
sein, weich zubereitet und jeglichen Fettes entbehren. Kar⸗
toffeln und Schwarzbrod sind am besten vollständig auszu—
schließen. Merkwürdigerweise sind diese beiden Speisearten
die Lieblingsgerichte der kleinen Kinder, welche sie besonders
die Kartoffeln, allem anderen vorziehen. Doch sind sie dem
Kind entschieden schädlich. Das blasse aufgeschwemmte Ge⸗
sicht, die bleichen Lippen und das weiche „schwappelige“
Fleisch dieser Kinder, deren Körper der normalen Frische
entbehrt, die geistig stumpf und körperlich ungeschickt sind,
ihr aufgedunsener dicker Leib verrät dem Sachkundigen so—
fort, daß man es mit sogenannten „Kartoffelkindern“ zu
ihun hat. Die Frage des Arztes an die Mutter, ihr Kind
esse wohl gerne Kartoffeln läßt diese über den ärztlichen
Scharfblick staunen und ihre Antwort ist, daß sie Kartoffeln
ihrem Kinde gar nicht zeigen dürfe, so versessen sei dasselbe
auf diese Speise. Diese „Kartoffelkinder“ sind es haupt—
sächlich, unter welchen bei herrschenden Epidemien von
Kinderkrankheiten der Tod so reiche Ernte hält. Derartige
Kinder haben gegen jede andere passende Nahrung, besonders
die Milch eine wahrhafte Antipathie und es hält dem Arzte
schwer, daß er die Mutter zur Verabreichung einer dem
Kinde zuträglichen Nahrung überredet, da ihre Antwort
immer lautet: „mein Kind will durchaus keine Milch trinken.“
— Nur in geringem Maße gereicht, sind die Kartoffeln für
das älter werdende Kind nährend und nützlich, in größeren
Mengen genossen, sind fie Gift.
Hiermit ganz ähnlich verhält es sich mit den, meist
dus Freundschaft und üffenliebe gereichten Süßigkeiten.
Kuchen z. B. welcher fett und noch dazu frisch gebacken ist,
darf niemals von seinem Kind verspeist werden. Derartige
süße Substanzen sind nur trocken und in kleinen Quantitäten
eriaubt; denn wer wüßte nicht aus Erfahrung, wie störend
diese Zuckerwaren auf den Appetit der Kleinen einwirken
und wie leicht durch Säurebildung nach dem Genusse der—
selben schwere Erkrankungen des Verdauungskanals entstehen?
Wer kennt nicht die schlechten, verdorbenen Zähne jener
so beneideten Kinder, welche mit süßen Geschenken gleichsam
dombardiert werden?
Alle schwer verdaulichen Leckerbissen und Reizmittel,
welche dem Pagen der Erwachsenen zusagen, sind dem Kinde
zu verweigern. Das Hauptnahrungsmittel sei immer die
Milch; Thee oder Kaffee sind nur mit reichlichem Milch⸗
zusatz versehen zu verabreichen; Wein und Bier nur in
getingen Mengen, hauptsächlich nur als Medikament. —
Gute frische Butter und nicht verdorbener Käse sind dem
Kinde unschädlich. Auch gutes, gekochtes Odst, wohl auch
frisches jedoch vollständig reifes Obst, besonders Aepfel und
Birnen find in nicht zu großen Quantitäten zu gestatten,
jedoch dürfen dieselben nur geschält verspeist werden. Bei
anderen Odstsorten, welche ebenfalls in reifem Zustande
den Kindern nicht schädlich sind, ist mit großer Aufmerksam⸗
keit darauf zu achten, daß die Kinder die Steine und Kerne,
auch selbst die kleinen Kerne der Wein- und Johannis-
trauben nicht mitverschlucken, weil dadurch tötliche Krank⸗
jeiten des Darmkanals verursacht werden können.
(Fortsetzung folgt.)
Unter Glas und Rahmen.
Von Wilhelm Fischer.
C—2— Rachdruck verboten
Weiß der geneigte Leser, was Marzipan ist? de
krzähler ist großjährig geworden, ehe er's erfahren hat,
veiß es aber seitdem um so besser. Hat er doch erst ver—
gangene Weihnachten eine köstliche Probe ovn einem lübischen
Freunde erhalten und eine hübsche Schnurre dazu, und diese
gjiebt er gern zum Besten, was bei jener nicht mehr mög—
sich ist. Dadurch zeichnen sich die geistigen Genüsse vor
den leiblichen aus: tausende können daran teilnehmen, ohne
daß einer darum weniger hätte. Marzipan ist der Haupt⸗
'ache nach ein Gemisch von Zucker und Mandeln, beides
ein zerrieben und zermalmt; ein wenig eingedickter Frucht—
aft dazwischen oder ein paar Tropfen Rosenwasser ver—
derben nichts — gelt Süßmäulchen! da läuft einem das
Wasser im Munde zusammen. Man kann aus der noch
veichen Masse allerhand schöne Gebilde formen: Aepfel so
eizend, wie sie auf keinem Baume jemals gewachsen sind,
zerzen, durch und durch voll Süßigkeit, wie das eines
chönen siebenzehnjährigen Mädchens, und runde flache
duchen mit halberhabenen Ansichten von malerischen Stadt⸗—
eilen. Ein solches Kunstwerk nur anzusehen ist schon der
Mühe wert, und es thut einem ordentlich leid, es auch an⸗
zuschneiden und anzubeißen, wozu es doch eigentlich bestimmt
st. Am ganzen Üfer der Ostsee, in Königsberg so gut
wie in Danzig, Stralsund und Rostock wird vortrefflicher
Marzipan gemacht, der beste aber soll von Lübeck kommen,
aund aus Luͤbeck war auch der reiche Kaufherr, mit dem
mein Stückchen beginnen muß.
Er hatte einmal nicht gerade krank, nur von der Ar—
beit erschöpft, zur schönen Sommerzeit das kleine, aber lieb—
liche Bad Eilsen bei Bückeburg aufgesucht und machte von
dort aus fleißig Aueflüge, nach der Arensburg, die so
schmuck von ihrem steilen Hügel auf die dunklen Teiche
ind den prächtigen Hochwald niederschaut, auf die Luhdener
lippe, um einen weiten Blick ins gesegnete Weserthal zu
hun, ja auch die Paschen- und Schaumburg lagen ihm,
als seine Kräfte zunahmen, nicht zu fern. Eines Tags
satte er die Bückeberge erstiegen, um die Fernsicht zu ge—
nießen und die großartigen Steinbrüche zu besichtigen.
Den Rückweg wolite er über Obernkirchen nehmen. Aber
noch ehe er dies freundliche Städtchen erreichte, zwang ihn
ein aufsteigendes Gewitter, das nächste schützende Obdach
aufzusuchen. Er traf es gut. Das Häuschen gehörte einem
braven Bergmanne, der, von der Schicht zurück gekehrt,
ind sauber gewaschen, mit Weib und Kind beim dünnen
Zaffee saß. Die Leute wußten, was sich schickt, sie boten
dem fremden Herrn höflich den besten Sitz und luden ihr
ogar „zum Mitmachen“ ein, was er mit Dank annahm,
denn er war durstig, und alles sah recht sauber aus. So
aßen sie, während die Regenflut in dicken Tropfen an die
Scheiben prasselte, zwar nicht gar kühl aber recht gemütlich
zeisammen und piauderten über dies und das. Der Kanf—
mann merkte mit Wohlgefallen, wie verständig und ordent—
lich seine Wirte waren, wie froh und zufrieden in ihren
bescheidenen Verhältnissen; er ward aufs neue die alte,
oft vergessene Wahrheit inne, daßz das Glück nicht an den
Reichtum gebunden ist und ebenso gut in Hütten wie in
Palaͤsten wohnen kann. Als das Wetter endlch nachließ,
fand er nicht nur ein paar blanke Münzen für die Kleinen
in seinem Geldtäschchen und brachte sie trotz des schwachen
Einspruchs der Eltern glücklich an, sondern schrieb sich auch
ganz unauffällig den Namen des wackern Vaters auf. Dann
zog'er nach herzlichem Ahschiede durch die erquickte Flur
seines Wegs, und bald darauf vor Eilsen wieder seiner
Heimat zu.
Aber als Weihnachten herrannahte, gab er der Post
etwas zu verdienen, die dann überall viel zu thun hat,
nicht am mindesten in Lübeck: eine Unzahl großer und