Full text: Der Bergmannsfreund (18.1888)

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Edelsteine. 
Gefaßt von Wilhelm Fischer. 
(Fortsetzung.) 
Aber fühlbarer noch als diese allmähliche Veränderung 
sind die ernsten Stöße und Angrifse des immer flärker 
werdenden Feindes, der jede Blöße erspäht, jede Gelegen— 
heit benutzt, uns zu treffen. Früher waren wir, wie der 
hörnerne Siegfried, gleichsam gepanzert am ganzen Leibe, 
twa mit Ausnahme einer einzigen Stelle — denn un— 
oerwundbar sind auch die Jüngsten und Stärksten nicht — 
was lag uns an Hitze und Kälte? Zugluft oder Staub? 
an einem Glase über Durst oder an einigen Stunden 
Ueberschicht, ja an einer durchschwärmten oder durchwanderten 
Nacht? Ein Bad, ein gesunder und tiefer Schlaf, und alles 
var wieder gut. Jetzt aber müssen wir uns ängstlich vor⸗ 
sehen und in acht nehmen; wir verschieben bei kühlem Wetter 
sogar das Haarschneiden (falls wir überhaupt noch Haar 
dazu haben!); die geringste Erkältung bringt uns Schnupfen 
oder Husten, das Zipperlein oder das Gliederreißen; für 
ein fröhliches Festessen mit gehörigem Trunk müssen wir 
vielleicht ebenso schwer hüßen, wie für einen zu langen 
Marsch oder eine andere Ueberanstrengung; manchen kommt 
noch Schlimmeres an, ein heftiges Fieber, eine Lungen⸗ 
entzündung, kurz eine gründliche Krankheit, und wenn er 
sich noch einmal durchschlägt und allmählich erholt, so hat 
er doch einen Teil seiner Kräfte dabei zugesetzt und ist der 
Alte nicht mehr. So geht's weiter; die Anfälle mehren 
sich, und die Widerstandskraft nimmt ab, und diese betrübende 
Wahrnehmung hat einmal einem alternden Menschen den 
Stoßseufszer erpreßt: „Heut' ist's schlimm, und morgen 
wird's schlimmer sein, und so immer weiter, bis endlich 
das Allerschlimmste kommt, der Tod!“ Einen ähnlichen 
Bedanken hat auch der englische Dichter Norris ausgesprochen. 
Unsere Ueberschrift bringt sein ernstes Wort in Uebersetzung; 
ursprünglich lautete es so: 
„Death could not aà more sad reétinue find: 
Sickness and pain before — and darkness all behind.“ 
Das klingt furchtbar. Wir wollen versuchen, ob wir 
aicht zum Trost einiges dagegen anführen können. 
1. Der allgütige himmlische Vater hat uns den Hin—⸗ 
gang nicht so schwer gemacht; an vielen Schrecken desselben 
sind die Menschen selber Schuld. Unser naturgemäßes 
Ende soll der Tod vor Altersschwäche sein: eine allmähliche, 
fast unmerkliche Abnahme der Kräfte, ein Müd- und Müder⸗ 
verden und dann ein sanftes Einschlafen; eines Tags setzt 
sich der Neunzig- oder Hundertjährige, nachdem er vielleicht 
noch in Frieden mit den Seinigen gegessen und getrunken, 
in den Lehnstuhl oder legt sich frühzeitig zu Bette, um ein 
wenig zu schlummern, und steht nimmer wieder auf. Still 
ausgegangen wie ein Licht, dem es an Oel fehlt, ohne 
Schütteln vom Baume des Lebens herabgefallen wie eine 
iüberreife Frucht, sanft niedergeschwebt im leisen Wind⸗ 
hauche wie ein welkes Blatt. Ganz ohne Schmerz mag's 
nicht abgehen, aber er kann nicht groß sein; die Ueber⸗ 
lebenden sehen nichts davon, und der Selige hat in seinem 
Leben vielleicht schon größeren erduldet. Wie ruhig liegt 
er da! wie friedlich sieht sein ehrwürdiges Antlitz aus! Er 
möchte nicht wieder geweckt werden, wenn wir's auch könnten. 
Jawohl, er hat gerne gelebt, aber schon längst war ihm 
Ruhe das Liebste, und jetzt hat er die vollkommene Ruhe 
zefunden. So schaut ein Wandrer nach langer Reise vom 
Bergesgipfel im Abendrot auf die durchmessene Strecke 
zurück: „Hab' viel Schönes gesehen, jawohl! auch manchen 
Schweißtropfen vergossen, freilich! und liebe Genossen und 
manche Freude mit ihnen gehabt, Gott sei Dank! der ganze 
Tag war eigentlich schön in dieser wunderschönen Gegend, 
aber ich bin nun doch zufrieden, daß er zu End' ist — 
willkommen, enges Kämmerlein! ich denk' einen langen 
Schlaf zu thun; willkommen, stille Nacht!“ 
Nicht wahr, das ist beneidenswert? Etwas Uehnliches 
hat sich auch Herwegh gewünscht: 
„Ich möchte hingehn, wie das Abendrot, 
Und wie der Tag in seinen letzten Gluten 
— O leichter, stiller, ungefühlter Tod! — 
Mich in den Schoß des Ewigen verbluten.“ 
Ich möchte hingehn, wie der sanfte Ton, 
Der aus den Saiten einer Harfe dringet, 
Und, kaum dem irdischen Metall entflohn, 
Ein Wohllaut in des Schöpfers Brust erklinget.“ 
Aber leider dürfen nur wenige auf ein solches Ende 
hoffen, etwa die Glücklichen, welche vollkommen gesund und 
kräftig geboren sind und unter günstigen Verhältnissen 
allezeit naturgemäß und verständig gelebt haben. 
2. Den meisten wird's nicht ganz so wohl; für viele 
zilt der Schluß jenes Gedichtes: 
„Das arme Menschenherz muß stückweis hrechen.“ 
Die Not, die Schwierigkeit, den Unterhalt zu gewinnen, 
die Bedürfnisse genügend und rechtzeitig zu befriedigen, die 
deidenschaften und Verkehetheiten, kurz die Sünden der 
Menschen, alles wirkt zusammen, ihnen und leider auch 
hren unschuldigen Nachkommen die ursprüngliche Kraft und 
Frische zu benehmen und das Veben und Sterben schwerer 
u machen. Da heißt es denn, sich bescheiden, die Segel 
nachdem Winde richten und den mäßigen oder kargen Rest 
des Guten und Wünschenswerten ausnutzen so viel nur 
möglich ist. 
„Quand on n'a pas ce qu'on aime, 
II faut aimor ce qu'on a,“ 
„wenn man nicht das hat, was man gern möchte, so muß 
man das gern haben, was man hat,“ dieser weise Spruch 
zilt auch hier. Bist du „unjung und nicht mehr ganz ge— 
sund“, so freue dich, daß du wenigstens noch nicht überalt 
ind ganz elend bist; halte Haus mit Zeit und Kraft und 
mach' das meiste daraus. Denn Stufen und Unterschied 
zibt's auch im Leiden und im Sterben; ebenso Trost und 
Milderung, und es ist niemals zu spät, sich zu bessern. 
Für Krankheitsanlagen und Schwächen, die du von deinen 
Eltern ererbt hast, kannst du nichts — beiläufig gesagt, 
nanch siecher Mensch sollte sich zweimal besinnen, eh' er 
seiratet und auch seinerseits wieder unglückliche Schwäch—- 
inge in die Welt setzt. Für ungünstige Einwirkungen 
seines Berufs, für Schäden und Gebrechen, die du dir „im 
Dienste“ zuziehst, kannst du wiederum nichts; überhaupt 
eben ist das Erste, der Gesundheit gemäß leben kommt erst 
in zweiter Reihe. Was Gott dir an außergewöhnlichem 
Anglück schickt, ohne dein Verschulden, einen Beinbruch bei 
Blatteis, ein Fieber, man weiß nicht woher, das muß in 
Beduld angenommen werden aus seiner Vaterhand, die da 
chlägt, aber auch heilt. An einer großen Menge Leiden 
dagegen sind wir Menschen selber schuld, durch Leichtsinn 
ind Thorheit, durch Genußsucht und Unmäßigkeit. Vor 
hnen hütet sich der Weise nach Kräften, sobald er zur Be⸗ 
sinnung gekommen ist. Ohne Zweifel fährt der am besten, 
der schon von Jugend auf nach dem Schnürchen lebt. Doch 
wer ist so wohl erzogen und zeitig belehrt, so klug und 
fest? Und ach! geschehene Dinge lassen sich nicht ändern, 
odersäumte nicht nachholen, die Reue kommt zu spät. Aber 
ebenso sicher ist, daß sich auch im reiferen Alter noch manches
	        
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