Full text: Der Bergmannsfreund (18.1888)

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geschichtlicher Werke, und ist deshalb in allen neuen Reise— 
beschreibungen sehr bewandert. 
Ihm zur Seite sitzt unser alter Bekannter, der Christof 
oder Stoffel, und verschiedene andere Herren, von denen 
ich noch Herr Arthur vorstellen muß, während die andern 
als minder wichtig übergangen werden können. Die Kennt⸗ 
nisse, welche Uugust aus Büchern gewonnen, hat Herr 
Arthur in der Praxis erworben, denn er war Offizier in 
englischen Diensten, und als solcher, seinen Erzählungen nach, 
in Kanada, Kapland, Ostindien und Australien angestellt. 
Die große Hitze hat seine Leber sehr ausgetrocknet, daher 
sein weniger Durst. Er erzählt die wunderbarsten Aben—⸗ 
deuer von Löwen- und Tigerjagden, und schneidet um so 
unverschämter auf, je ewiger man ihm widersprechen kann. 
Einen Zweifel an der Wahrhaftigkeit seiner Geschichten 
nimmt er sehr übel, und neulich wäre es fast zwischen ihm 
und August zum Bruch gekommen, als dieser einen Freund, 
ebenfalls großen Geschichtenerzähler, in der Tulpe einführte 
und dem Herrn Arthur mit den Worten vorstellte: „Mein 
Freund Peter! Aufschneiden brauchen Sie dem nichts. Das 
chut er selber!“ 
Die Sache wurde jedoch noch einmal gütlich beigelegt, 
namentlich weil Peter mit großer Aufmerksamkeit und Teil⸗ 
nahme mehrere Geschichten anhörte. 
Auch heute Abend ist die fröhliche Tafelrunde ver— 
sammelt. Karl der Große, der etwas früher gekommen, 
ist eben beim sechsten Glase angelangt. Dann wird er red— 
selig und muß erzählen. Leider hat er nur wenig Stoff, 
denn die Auswahl seiner Geschichten beschränkt sich auf drei, 
und die sind allen Tischgenossen längst geläufig. Findet 
sich nun nicht zu seinem Troste ein geduldiger Fremdling, 
der für ihn einen Zuhörer abgibt, so kommt er nie mit 
jeinen Geschichten zu Ende. 
„August ich muß Dir einmal eine Geschichte erzählen! 
Als wir einmal im Münsterlande waren ....“ 
„Ich weiß schon,“ unterbricht August, „wie Ihr da 
nachts Streit bekamt.“ 
Mit einem ärgerlichen „Och!“ wandte sich Karl ab, 
und versucht, seine Erzählungen bei einem andern anzu— 
bringen, überall mit demselben Erfolge oder vielmehr Miß— 
erfolge, denn kaum hat er angefangen: „Als wir einmal 
auf der Jagd waren, ..“ oder: „Als ich in Potsdam bei 
der Garde war, ...“ so fällt ihm schon der Angeredete 
ins Wort und bringt gleich die beaosichtigte Pointe seiner 
angefangenen Geschichte. 
Immer ärgerlicher kehrt er sich schließlich der Lampe 
zu und erzählt sohne Komma, bis die Geschichten heraus 
sind, denn heraus sollen und müssen sie. Eine derselben 
will ich dem Leser nicht vorenthalten. 
„Als wir einmal im Münsterlande waren, um Kühe 
zu kaufen. kamen wir abends nach Billerbach, wo wir über— 
nachten wollten. Es hatte den Tag geregnet, so waren 
wir naß und müde, und wir tranken zur Stärkung von dem 
guten Münsterländer Korn ein Glas nach dem andern. 
Besonders der Fritz hatte etwas über den Durst genommen, 
und so vergaß er, als wir zu Bette gingen, die Thüre 
zuzuschließen. Als ihm das dann einfiel, stand er nochmals 
auf, sperrte ab, und legte sich wieder nieder. Bald darauf 
rief er: „Karl in meinem Bette liegt ein Kerl!“ „Fritz,“ 
rief ich, „in meinem auch!“ „Karl,“ sagte er, „ich werfe 
meinen Kerl raus!“ „Fritz,“ antwortete ich, „ich thu's auch.“ 
Gesagt, gethan. Beide packten wir unsern Kerl an 
den Beinen und wollten ihn rauswerfen. Der aber wehrte 
sich aus Leibeskräften, bis plötzlich meine Bettstelle ausein— 
ander brach und ich mit meinem Kerl am Boden lag, wo 
wir dann den Waschtisch umstießen, und immer noch nicht 
losließen. Bei dem Lärm kam der Wirt mit Licht, und 
da sahen wir die Bescheerung. Der Fritz hatte mich ge— 
hackt und ich ihn. Von einem fremden Kerl war im 
Zimmer nichts zu finden. In seiner Torkelei hatte sich der 
Fritz mit dem Kopf nach unten in mein Bett gelegt, so 
Jlaubte jeder, als der andere sprach, die Stimme käme aus 
zinem andern Bette. Am nächsten Morgen hatten wir noch 
eine ordentliche Rechnung für den zerbrochenen Waschtisch 
mit den Geschirren zu bezahlen. So kanns einem gehen, 
wenn man nicht zur rechten Zeit die Thüren abschließt.“ 
Wöährend Karl an der Lampe einen aufmerksamen 
Zuhörer für seine Geschichten findet, trägt August einen 
Gericht über seine Erlebnisse während seines letzten Auf— 
enthalts in Karlsbad vor, wohin er wie gewöhnlich auch in 
diesem Jahre einige Wochen ias Bad gegangen, um seinen 
törper zu stärken für die Anstrengungen des Winters. 
Besonders interessant waren ihm diesmal die großen Er— 
folge gewesen, welche einige Doktoren mit der Knetkur er⸗ 
reicht, wodurch mehrere Kranke von langen schweren Leiden 
geheilt seien, und er rühmte diese schöne neue Erfindung. 
„Ach was,“ entgegnete Stoffel, „eine neue Erfindung 
ist das gar nicht. Als ich noch ein Bub war, hatten wir 
einen Nachbarn, den reichen Herrn Meier, einen Pferde—⸗ 
jändler, der die Kur schon ganz genau kannte und bei sich 
inwandte, wenn er das Reißen in den Gliedern und die 
Bichter hatte. Er nannte es Tretkur, aber das ist ganz 
egal. Er legte sich dann auf den Boden, ließ seine sechs 
Sprossen kommen und der Reihe nach über seinen Rücken 
marschieren. Da möchte ich nur wissen, ob das nicht eine 
richtige Knetkur ist?“ 
Alle lachen; der August sucht die Knetkur wissenschaft⸗ 
lich darzustellen, aber der Stoffel findet von allen Seilen 
diel größeren Beifall, als er erwidert: „Das ist mir zu 
hoch, da will ich lieber noch ein Stückchen von Herrn 
Meier erzählen. 
Wie gesagt, war der reiche Herr Meier unser Nachbar, 
sein Haus stand dem unsrigen grade gegenüber, und weii 
er ein mitteilsamer Mensch war und Alles, was ihn bewegte, 
zegen meinen Vater aussprechen mußte, so kam er täglich 
in unser Haus und wir Buben hatten große Freude an 
einen Erzählungen, die er gewöhnlich damit einleitete: 
„Was alles passiert in der Welt, man könnte ein Buch 
davon schreiben!“ 
Eines Tages kam er denn auch wieder zu uns, aber 
janz verstört und ratlos rief er nur immer: „Ich halt's 
nicht aus! Ich halt's nicht aus!“ 
„Was haltet Ihr denn nicht aus?“ fragte mein Vater. 
„Das Sitzen im Turm halt ich nicht aus! Ich sterbe 
wenn ichs soll durchmachen! Ich habe nur zwei Stunden 
probiert in meinem Pferdestall und bin schon halb tot! 
Ich halt's nicht aus!“ 
Damit hatte es nämlich folgende Bewandnis. Weil 
der Meier so reich war, weil er auch sonst in allen Dingen 
Blück hatte, war er übermütig geworden. Sein Geschäft 
»lühte, denn er kannte alle Kaiffe, wie man ein böses Pferd 
ahm und ruhig macht wie ein Lamm durch ein Gläschen 
Branntwein, welches man ihm kurz vor dem Verkaufen 
ingiebt, — wie man ein altes jung aussehen macht und 
alle Fehler verdeckt. So hatte er denn auch einem Fuhr— 
mann einen Gaul verkaust, der so viel Fehler hatte wie 
Haare im Schwanz, und hatte einen guten Preis dafür be— 
ommen. Als aber der Fuhrmann das Pferd einige Zeit 
zehabt hatte, fand er die Fehler auch und verlangte nun 
sein Geld zurück. Aber der Herr Meier sagte: „Das Pferd
	        
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