Full text: Der Bergmannsfreund (18.1888)

Geldzahlen und Geldeinkassieren statt hätte — nichts von 
dem ist der Fall, hier wird weder ein Wertpapier ausge- 
händigt noch Geld gezahlt. Das eigentliche Tauschgeschäft 
geschieht nicht an der Börse, sondern nach geschlossener 
Hörse von Bankhaus zu Bankhaus. Hier wird nur fest— 
zestellt, wer zu kaufen beabsichtigt und wer zu verkaufen 
gesonnen ist. Dieser Verkehr geschieht auch in größerer 
Ruhe; den ohrenbetäubenden Spektakel verursachen solche 
Börsenleute, die — so verriet mir ein Börsenmann — 
weder über viele Wertpapiere noch über viel Geld zu ver⸗ 
fügen haben. Es sind dies die Spieler, die anf gut Glück, 
daß das gehandelte Papier um einige Pfennige oder Marl 
bis zum Monatsschluß steigen wird, einen gewissen Preis 
zu zahlen versprechen, nicht etwa, um dann das Papier 
wirklich zu ersiehen, sondern nur um das Mehr sich her⸗ 
auszahlen zu lassen. Durch eine kurze Notiz in das Taschen— 
huch schließen diese unter vielem Lärmen ihre Geschäfte ab. 
— Die Makler stellen aus den ihnen gewordenen Verkaufs⸗ 
und Ankaufsanträgen mit den geforderten und gebotenen 
Preisen den Mittelwert fest, welcher dann als Cours des 
Tages in den Zeitungen veröffentlicht wird. 
In dieser Weise vollzieht sich der Börsenverkehr Tag 
für Tag zwischen 123 UÜhr; das ist eine ruhige Börse; 
erregt wird sie, d. h. der Lärm vervielfacht sich, wenn wich— 
tige politische oder wirtschaftliche Nachrichten eingegangen 
sind oder während der Börsenstunden eingehen. Daß Nach— 
richten den Vörsenleuten auf dem schnellsten Wege zugehen 
können, dafür ist gesorgt; im unmittelbaren Anschluß an 
die Saäͤle befindet sich der Telegraphensaal, in welchem die 
Leitungen von allen Handelsplaͤtzen Europas und Amerikas 
zusammenlaufen. Es sind in demselben wohl 40 -50 Te⸗ 
legraphenbeamten den ganzen Tag hindurch angestrengt be— 
schäftigt, um Nachrichten abzugeben oder zu empfangen. 
Außerdem unterstützt ein ausgedehntes Telephonnetz den 
Nachrichtendienst innerhalb der Stadt und mit den benach— 
barten Orten. 
Der Börsenbesucher, den nur Schaulust und Neugierde 
zum Besuch veranlaßt hat, wird dem Treiben an derselben 
nicht ohne ein Lächeln und verwundertes Kopfschütteln zu⸗ 
schauen — er sieht und hört nur den Gischt und das 
Branden der Wellen; erst näheres Vertiefen in das Ge— 
triebe und den Zweck des Verkehrs vermag ihm die Ueber⸗ 
zeugung zu verschaffen, daß auf diesem zum Teil wild er⸗ 
regten Meere ein überaus bedeutungsvoller Wechselverkehr 
zwischen den Handelsplätzen Europas und zwischen diesen 
und außereuropäischen Ländern stattfindet, daß die Börse 
für den Handelsverkehr im Großen, dem Handel von Land 
zu Land und von Erdteil zu Eidteil eine durchaus not⸗ 
wendige Anstalt ist. 
Zum Schein. 
Eine Erzähluna von Ludwig Habicht. 
Fortsetzung.) 
Eine verlegene Röte bedeckte das Antlitz Georgs, er⸗ 
schien anfangs Marie etwas anvertrauen zu wollen, besanu 
sich aber und entgegnete ausweichend: „Sei ohne Sorge, 
Marie — es ist nichts, gar nichts — ich weiß nur, mein 
Vater ist auffahrend, heftig, aber er ist auch gutmütig, und 
wenn er endlich sieht, daß ich nicht leben kann ohne Dich, dann 
giebt er schön nach, aber mit meiner Mutter steht es 
schlimmer, die haßt und verachtet Deinen Vater —“ 
„Und mein Vater vergilt's ihr reichlich,“ erwiederte 
Marie mit schmerzlich zuckenden Lippen Wiesoll das enden?“ 
Georg schien seine Zuversicht auf den glücklichen Aus 
Jang noch nicht einzubüßen. „Dein Vater glaubt gewiß, 
zaß es nicht mein Ernst ist,“ war seine Entgegnung, „aber 
venn er sehen wird, wie sehr ich Dich liebe und wie ich 
Alles d'ran setz', daß Du mein wirst, dann wird er gewiß 
mich herzlich als Schwiegersohn willkommen heißen.“ 
„Glaubst Du das, Georg?“ rief Marie in schmerzlicher 
Erregung. „Du kennst mein Vater nicht, er haßt Dich, 
Deine Mutter, Deinen Vater, Euch alle; er hat nicht eher 
Ruhe, als bis er's heimgezahlt, daß Dein Vater ihn schonungs⸗ 
os von seinem Gut getrieben und meine arme Mutter in 
den Tod! O, meine arme Mutter!“ sie verhüllte schluchzend 
das schöne, liebliche Gesicht mit ihrer Schürze. 
„Weine nicht, Marie,“ tröstete Georg, „Du warst ja 
ein Kind und hast sie kaum gekannt, da mein' ich, ist der 
Schmerz nicht mehr so groß und sei ruhig, über diese alten 
Beschichten ist längst Gras gewachsen.“ 
„Nein, nein, das ist es nicht!“ versicherte Marie und 
erhob wieder das noch thränenfeuchte Antlitz. „Von Kind 
heit auf hat mir mein Vater von der Muiter erzählt, wie 
sie so schön und gut gewesen, wie er sie geliebt und ihr schreck— 
iches Ende ihn fast verrückt gemacht, und dann ballte er 
die Fäuste und jammerte und heulte vor Wut und er schwur, 
sich an Euch zu rächen ünd wenn ein Menschenalter vor⸗ 
äübergehen sollte.“ 
„Das ist freilich früher gewesen und ich verdenk's ihm 
nicht,“ meinte Georg, „aber die Zeit hat ihn besänftigt und 
so weit ich zurückdenken kann, war er gegen meinen Vater 
mmer höflich, ja förmlich demütig.“ 
Moͤie schüttelte den Kopf. „Du kennst meinen Vater 
nicht,“ sagte sie traurig, „er kann nicht verzeihen, nicht ver— 
Jessen, und wenn er gegen Euch freundlich war, dann kochte 
her Haß um so tiefer in seinem Herzen und mich zog er 
auf im Hasse gegen Euch. Ich schaudere, wenn ich an 
neine Kindheit denke; statt des ersten Gebetes lehrte er 
meinen Kinderlippen einen Fluch stammeln, Deine Eltern 
erschienen mir wie Raubtiere und vor Eurem Hause wagte 
ich nicht vorbeizugehen, so grauenhaft erschien es mir.“ 
Der junge Bursche mußte bei der Erinnerung an frü⸗ 
jere Zeiten unwillkürlich lächeln. „Ja, ich sehe Dich noch 
eines Tages in die Schule wandern, Du warst kaum sieben 
Jahr und ich schon ein großer Bursche, ich kam gerade zu⸗ 
echt, wie Dich ein paar Jungen beschimpften und ver— 
potteten und verschaffte Dir gruͤndlich Rahe; aber da rief 
einer meinen Namen und husch, flohst Du mir fort, wie 
rin aufgescheuchter Vogel, und als ich Dich einholte und 
frug, was Dir sei? da sahst Du mich so wild und scheu 
an und weintest, und ich brachte kein Wort von Dir ber— 
aus.“ 
Mit dem alten, kindlichen Lächeln hatte Marie auf 
Georgs Erzählung gelauscht und sie entgegnete jetzt mit 
großer Innigkeit: „Sieb, Georg je mehr ich Dich hassen 
sollte, wie mir's mein Vater mit giftigen Reden täglich 
tinbrannte, desto mehr liebte ich Dich, denn Du warst so 
zut zu mir; ich liebte Dich schon als Kind, und als ich 
dann größer wurde und in die Stadt kam, dachte ich nur 
an Dich und Niemand erschien mir so schön und so gut wie 
Du,“ und in steigender Erregung fuhr sie fort: „So hat 
der Haß meines Vaters mich zu Dir getrieben, aber sein 
Haß kann mir nicht meine heiße Liebe entreißen!“ sie lehnte 
leicht den Kopf an die Brust des Geliebten und blickte zärt⸗ 
lich zu ihm auf. 
Die beiden Liebenden hatten im Eifer ihres Gesprächs 
nicht bemerkt, daß inzwischen zwei Menschen auf dem Kirch⸗ 
zaf erschienen waren und nicht einmal der feste. harte Tritt
	        
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