Geldzahlen und Geldeinkassieren statt hätte — nichts von
dem ist der Fall, hier wird weder ein Wertpapier ausge-
händigt noch Geld gezahlt. Das eigentliche Tauschgeschäft
geschieht nicht an der Börse, sondern nach geschlossener
Hörse von Bankhaus zu Bankhaus. Hier wird nur fest—
zestellt, wer zu kaufen beabsichtigt und wer zu verkaufen
gesonnen ist. Dieser Verkehr geschieht auch in größerer
Ruhe; den ohrenbetäubenden Spektakel verursachen solche
Börsenleute, die — so verriet mir ein Börsenmann —
weder über viele Wertpapiere noch über viel Geld zu ver⸗
fügen haben. Es sind dies die Spieler, die anf gut Glück,
daß das gehandelte Papier um einige Pfennige oder Marl
bis zum Monatsschluß steigen wird, einen gewissen Preis
zu zahlen versprechen, nicht etwa, um dann das Papier
wirklich zu ersiehen, sondern nur um das Mehr sich her⸗
auszahlen zu lassen. Durch eine kurze Notiz in das Taschen—
huch schließen diese unter vielem Lärmen ihre Geschäfte ab.
— Die Makler stellen aus den ihnen gewordenen Verkaufs⸗
und Ankaufsanträgen mit den geforderten und gebotenen
Preisen den Mittelwert fest, welcher dann als Cours des
Tages in den Zeitungen veröffentlicht wird.
In dieser Weise vollzieht sich der Börsenverkehr Tag
für Tag zwischen 123 UÜhr; das ist eine ruhige Börse;
erregt wird sie, d. h. der Lärm vervielfacht sich, wenn wich—
tige politische oder wirtschaftliche Nachrichten eingegangen
sind oder während der Börsenstunden eingehen. Daß Nach—
richten den Vörsenleuten auf dem schnellsten Wege zugehen
können, dafür ist gesorgt; im unmittelbaren Anschluß an
die Saäͤle befindet sich der Telegraphensaal, in welchem die
Leitungen von allen Handelsplaͤtzen Europas und Amerikas
zusammenlaufen. Es sind in demselben wohl 40 -50 Te⸗
legraphenbeamten den ganzen Tag hindurch angestrengt be—
schäftigt, um Nachrichten abzugeben oder zu empfangen.
Außerdem unterstützt ein ausgedehntes Telephonnetz den
Nachrichtendienst innerhalb der Stadt und mit den benach—
barten Orten.
Der Börsenbesucher, den nur Schaulust und Neugierde
zum Besuch veranlaßt hat, wird dem Treiben an derselben
nicht ohne ein Lächeln und verwundertes Kopfschütteln zu⸗
schauen — er sieht und hört nur den Gischt und das
Branden der Wellen; erst näheres Vertiefen in das Ge—
triebe und den Zweck des Verkehrs vermag ihm die Ueber⸗
zeugung zu verschaffen, daß auf diesem zum Teil wild er⸗
regten Meere ein überaus bedeutungsvoller Wechselverkehr
zwischen den Handelsplätzen Europas und zwischen diesen
und außereuropäischen Ländern stattfindet, daß die Börse
für den Handelsverkehr im Großen, dem Handel von Land
zu Land und von Erdteil zu Eidteil eine durchaus not⸗
wendige Anstalt ist.
Zum Schein.
Eine Erzähluna von Ludwig Habicht.
Fortsetzung.)
Eine verlegene Röte bedeckte das Antlitz Georgs, er⸗
schien anfangs Marie etwas anvertrauen zu wollen, besanu
sich aber und entgegnete ausweichend: „Sei ohne Sorge,
Marie — es ist nichts, gar nichts — ich weiß nur, mein
Vater ist auffahrend, heftig, aber er ist auch gutmütig, und
wenn er endlich sieht, daß ich nicht leben kann ohne Dich, dann
giebt er schön nach, aber mit meiner Mutter steht es
schlimmer, die haßt und verachtet Deinen Vater —“
„Und mein Vater vergilt's ihr reichlich,“ erwiederte
Marie mit schmerzlich zuckenden Lippen Wiesoll das enden?“
Georg schien seine Zuversicht auf den glücklichen Aus
Jang noch nicht einzubüßen. „Dein Vater glaubt gewiß,
zaß es nicht mein Ernst ist,“ war seine Entgegnung, „aber
venn er sehen wird, wie sehr ich Dich liebe und wie ich
Alles d'ran setz', daß Du mein wirst, dann wird er gewiß
mich herzlich als Schwiegersohn willkommen heißen.“
„Glaubst Du das, Georg?“ rief Marie in schmerzlicher
Erregung. „Du kennst mein Vater nicht, er haßt Dich,
Deine Mutter, Deinen Vater, Euch alle; er hat nicht eher
Ruhe, als bis er's heimgezahlt, daß Dein Vater ihn schonungs⸗
os von seinem Gut getrieben und meine arme Mutter in
den Tod! O, meine arme Mutter!“ sie verhüllte schluchzend
das schöne, liebliche Gesicht mit ihrer Schürze.
„Weine nicht, Marie,“ tröstete Georg, „Du warst ja
ein Kind und hast sie kaum gekannt, da mein' ich, ist der
Schmerz nicht mehr so groß und sei ruhig, über diese alten
Beschichten ist längst Gras gewachsen.“
„Nein, nein, das ist es nicht!“ versicherte Marie und
erhob wieder das noch thränenfeuchte Antlitz. „Von Kind
heit auf hat mir mein Vater von der Muiter erzählt, wie
sie so schön und gut gewesen, wie er sie geliebt und ihr schreck—
iches Ende ihn fast verrückt gemacht, und dann ballte er
die Fäuste und jammerte und heulte vor Wut und er schwur,
sich an Euch zu rächen ünd wenn ein Menschenalter vor⸗
äübergehen sollte.“
„Das ist freilich früher gewesen und ich verdenk's ihm
nicht,“ meinte Georg, „aber die Zeit hat ihn besänftigt und
so weit ich zurückdenken kann, war er gegen meinen Vater
mmer höflich, ja förmlich demütig.“
Moͤie schüttelte den Kopf. „Du kennst meinen Vater
nicht,“ sagte sie traurig, „er kann nicht verzeihen, nicht ver—
Jessen, und wenn er gegen Euch freundlich war, dann kochte
her Haß um so tiefer in seinem Herzen und mich zog er
auf im Hasse gegen Euch. Ich schaudere, wenn ich an
neine Kindheit denke; statt des ersten Gebetes lehrte er
meinen Kinderlippen einen Fluch stammeln, Deine Eltern
erschienen mir wie Raubtiere und vor Eurem Hause wagte
ich nicht vorbeizugehen, so grauenhaft erschien es mir.“
Der junge Bursche mußte bei der Erinnerung an frü⸗
jere Zeiten unwillkürlich lächeln. „Ja, ich sehe Dich noch
eines Tages in die Schule wandern, Du warst kaum sieben
Jahr und ich schon ein großer Bursche, ich kam gerade zu⸗
echt, wie Dich ein paar Jungen beschimpften und ver—
potteten und verschaffte Dir gruͤndlich Rahe; aber da rief
einer meinen Namen und husch, flohst Du mir fort, wie
rin aufgescheuchter Vogel, und als ich Dich einholte und
frug, was Dir sei? da sahst Du mich so wild und scheu
an und weintest, und ich brachte kein Wort von Dir ber—
aus.“
Mit dem alten, kindlichen Lächeln hatte Marie auf
Georgs Erzählung gelauscht und sie entgegnete jetzt mit
großer Innigkeit: „Sieb, Georg je mehr ich Dich hassen
sollte, wie mir's mein Vater mit giftigen Reden täglich
tinbrannte, desto mehr liebte ich Dich, denn Du warst so
zut zu mir; ich liebte Dich schon als Kind, und als ich
dann größer wurde und in die Stadt kam, dachte ich nur
an Dich und Niemand erschien mir so schön und so gut wie
Du,“ und in steigender Erregung fuhr sie fort: „So hat
der Haß meines Vaters mich zu Dir getrieben, aber sein
Haß kann mir nicht meine heiße Liebe entreißen!“ sie lehnte
leicht den Kopf an die Brust des Geliebten und blickte zärt⸗
lich zu ihm auf.
Die beiden Liebenden hatten im Eifer ihres Gesprächs
nicht bemerkt, daß inzwischen zwei Menschen auf dem Kirch⸗
zaf erschienen waren und nicht einmal der feste. harte Tritt