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kana, dem Sitze des alten Kupfererzbergbaues, welcher um
1115 von der Markgräfin Mathilde mit Hülfe deutscher
Bergleute wieder aufgenommen wurde. Das um 1270 auf—
gezeichnete Bergrecht von Massa stimmt mit dem deutschen
GBewohnheitsrechte jener Zeit in vielen Punkten, auch sind
in der lateinisch abgefaßten Urkunde einzelne deutsche Kunst—
ausdrücke enthalten.
Die ältesten Aufzeichnungen der bergrechtlichen Gewohn—
heiten zeigen überhaupt die deutschen Bergleute als ein viel
uͤnternehmendes Geschlecht, welches die deutsche Cultur in
weite Fernen trug, welches den Bergbau an den slavischen
Grenzländern sich dienstbar machte und seine Sprache und
seine Gesetze auf die von ihm colonisirten Bergwerksdistricte
übertrug.
Die geistige Ueberlegenheit, welche sich in diesen That—
sachen offenbart, bildet einen auffallenden Gegensatz zu der
tiefen Stellung, welche der Bergmannsstand im Alterthum
einnahm. Der Bergbau war bei den Römern das letzte der
Gewerbe, und die Verurtheilung zu den Vergwerken machte
die härteste und schimpflichste Strafe aus.
Die weit höhere Geltung und folglich die weit größere
politische Bedeutung des Bergmannsstandes im deutschen Mit—
telalter beruht zunächst darauf, daß die Bergleute dieses Zeit⸗
raums nicht Scelaven wie im Alterthum, nicht einmal gedungene
Arbeiter, sondern Eigenlöhner waren, die den Bergbau in
eigenem Lohne oder, wenn man einer andern Wortablei—
tung folgen will, in ihrem eigenen Lehen betrieben. Dazu
kam der enge Verband der deuischen Bergleute, der sich schon
in der frühesten Zeit in der Verfassung der deutschen Berg—
städte zeigt. Niemand war zum Bergwerksbetriebe berech—
tigt, als der Bürger der Gemeinde; folglich waren auch
alle Bürger Bergbautreibende, die städtischen Geschworenen
und Schoͤffen waren zugleich die Amtleute und Richter für
den Bergbau, das Bergrecht war ein Abschnitt des Stadt—
rechtes. An die Stelle dieses Gemeindeverbandes trat in
späterer Zeit der Zunftverband der Bergleute.
Enger aber als diese Einrichtungen vereinte die deut—
schen Bergknappen das Gefühl der gemeinsamen Gefahr, bei
welcher Rettung nur in der unverzagten Hingebung des Ein—
zelnen, in dem Einstehen Aller für Einen, und Eines für
Alle zu finden ist. Die Gefahren des bergmännischen Be—
rufes werden schon von römischen Dichtern mit lebhaften
Farben ausgemalt. Allein damals siechte unter dem Drucke
dieser Gefahren ein elendes Sclavengeschlecht dahin, welches
sein leidensvolles Dasein nur für kurze Zeit fristete. Der
deutsche Bergmann des Mittelalters zog aus dem Kampfe
gegen diese Gefahren die Bedingungen einer geistigen Er—
hebung, die ihn zum Bahnbrecher und Vorkämpfer der
deutschen Sitte machte.
Dieses gesteigerte Geistesleben zeigt sich auch noch in
dem Bergmannsstande der späteren Jahrhunderte, lange
nachdem jene Epoche der reichen Entdeckungen geschlossen
war, lange nachdem an die Stelle des Bergbaues der
Eigenlöhner auf frischen reichen Anbrüchen, der Bau in
größeren Tiefen und die Scheidung zwischen den Bergwerks—
unternehmern und den Bergleuten gefolgt war. Es zeig!
sich in der sprichwörtlichen Frömmigkeit und in dem Aber—
glauben der deutschen Bergleute. Der Aberglaube des Berg—
mannes ist die natürliche Folge der Gefahren, die ihm in
der Tiefe auflauern, und der wunderbaren Naturerscheiuungen,
die ihm dort begegnen.
(Schluß folgt.)
Die alte Kindsmagd.
In dem Hause des Kaufmanns Braunthal war zur
Feier der Rückkehr des Besitzers eine große Gesellschaft
bersammelt, deren ungewöhnliche Herzlichkeit keinen Zweifel
darüber ließ, daß es sich hier um mehr als die gewöhn—
liche Begrüßung eines von der Lustreise heimkehrenden Freun—
des handele. Und so war es auch. Braunthal's Rück—
kehr in seine Vaterstadt war die Rückkehr eines Verloren—
gegebenen.
Braunthal war der Sohn eines reichen, angesehenen
Kaufmanns und kam noch im Jünglingsalter durch den
Tod seines Vaters in den Besitz eines großen Vermögens.
Er war bescheiden und mäßig, führte das Geschäft mit großer
Umsicht fort, doch schienen ihm späterhin die Ansichten seines
Vaters, durch keinen noch so großen und sicher scheinen—
den Gewinn von dem einmal verfolgten Weg abzugehen,
veraltet zu sein. Er ging deshalb davon unmerklich ab
und wurde unwiderstehlich auf eine Bahn getrieben, deren
Befahren ihm nicht nur entgingen, sondern im Gegentheil
zum Reiz und Sporn dienten.
Zur Zeit des höchsten Glückes heirathete er ein Mäd—
hen seiner Liebe mit Namen Emilie, die mit ihm ent—
fernt verwandt und zusammen aufgewachsen war. Die jungen
Leute waren glücklich, aber ihr eigenes Glück stumpfte sie
nicht ab gegen das Unglück Anderer. Braunthal gab
reiche Almosen nach allen Seiten, stiftete Vereine, studirte
das Elend in allen Schichten der Gesellschaft, und sein
Name wurde in Kurzem in den Häusern der Armuth so
bekannt und verehrt, wie in den Sälen der Reichen.
Aber das Unglück, das er allenthalben zu bekämpfen
suchte, heftete sich ganz allmählig an seine eigenen Fersen.
Er bot Alles auf, was Ernst, Fleiß und Scharfsinn ver—
mögen, aber Alles war vergebens. Noch ahnte Niemand
nicht einmal seine Frau, die Möglichkeit eines Bankerotts,
der indessen in seinem Innern schon als unvermeidlich, als
Wirklichkeit lebte. Nur der alte Buchhalter des alten Ge—
schäfts schien es zu ahnen, aber als dieser seinem Herrn die
ersten Bemerkungen machte, hatte Braunthal selbst schon
Alles durchschaut und Alles erschöpft und versucht, was zu
versuchen er mit seiner Ehre vereinbar hielt. Zwar hätte
er, wie Andere, noch Vieles wagen können, denn sein Cre—
dit war kaum erschüttert, aber ihm schauderte vor dem Ge—
danken einer Schwindelei.
Nach einer schmerzlichen durchwachten Nacht trat er
entschlossen eines Morgens zu seiner Frau, enthüllte ihr
—
aufzugeben, so lange er seine Verbindlichkeiten noch erfuͤllen
könne, und mit dem Reste des Vermögens nach Amerika
zu gehen, wo sein Vater noch bedeutende, wenn auch un—
zuverlässige Ausstände hatte. Emilie hörte ihn erschüttert
an, aber die einzige Klage, die über ihre Lippen kam, war,
daß er ihr seine Schmerzen, seine Kämpfe so lange ver—
horgen hatte. Mit Vertrauen auf Gottes gnädigen Bei—
stand billigte sie seinen Entschluß, und Braunthal ging voll
Ruhe an die Ausführung dessen, was ihm Gewissen und
Ehre geboten. Das Erstaunen der Leute über den unerwar—
teten Schritt verwandelte sich bald in allgemeine Theilnahme,
bis man die ganze Sachlage, die volle Ehrlichkeit Braun-—
thal's erfuhr. Seine Lage gestaltete sich aber viel schlim—
mer, als das Publikum glaubte, und er selbst fürchtete. Es
blieb ihm gar Nichts übrig, und es konnte von einer Reise
nach Amerika eben so wenig, als von Gründung des neuen
Geschäfts die Rede sein ohne die Hülfe von Fremden, und
diese zu bitten. konnte er nicht über sich gewinnen.