Full text: Der Bergmannsfreund (3.1873)

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Behutsam setzte er den glänzenden Kasten wieder in 
den Schrank. Die Knaben schlugen die Augen nieder und 
standen wie auf heißen Kohlen, bis endlich Franz, der jüngste 
und der Thür am nächsten stehende, entschlossen das Bei— 
spiel eines lautlosen Rückzugs gab. Philipp und Karl folgten 
ihm schlennigst, und so blieben nur die Erwachsenen im 
Zimmer zurück, nämlich der jetzt lächelnde Pastor, seine 
beiden Veltern und Gäste Markus, und die Frau des einen, 
die Mutter von Karl und Franz. 
„Und Ihnen, lieber Vetter,“ sprach der Herr Pastor 
jetzt, ‚möchte ich mir erlauben, dasselbe alte Sprüchlein zu— 
zurufen: Was deines Amts nicht ist, da laß' deinen Vor— 
witz! Sie haben, gewiß in bester Absicht, in meiner Ange— 
legenheit ohne mein Vorwissen einen Schritt gethan, der 
mir, statt des gehofften Nutzens, nur Unannehmlichkeiten 
bereiten kann. Doch geschehen ist geschehen, und wir wollen 
hiermit das unerquickliche Gespräch, in dem wir durch die 
Buben unterbrochen worden sind, vollends beschließen. Kom— 
men Sie, meine Lieben, der Kaffee wird sonst kalt.“ 
Damit führte der freundliche Herr seine Gäste aus der 
Kammer in's Wohnzimmer zurück, und seine Köchin hatte 
die Bohnen nicht geschont, dazu so mürben Kuchen und so 
süßes Eingemachtes aufgetragen, und er selbst wußte so 
anmuthig zu plaudern, daß die Befangenheit, welche sich 
zeitweilig der Gesellschaft bemächtigt hatte, bald wieder 
einer höchst heitern Stimmung Platz machte. 
Es ist schon eine geraume Weile her, daß sich diese 
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Zeit, als die ersten Eisenbahnen in Deutschland gebaut 
wurden. Haspe's Pfarrdorf Kleiningen hatte das Glück, an 
der Linie Mittelstein — Dornburg zu liegen, und war auf 
diesen Vorzug nicht wenig stolz. Die Familie Markus kam 
aus einem mehrere Meilen abseits gelegenem Orte her, hatte 
noch nie eine Eisenbahn gesehen, und lauschte mit Erstaunen 
auf die Wunderberichte und Erklärungen, die der Pastor 
aus der Ueberfülle seiner Kenntnisse und Erfahrungen mit 
großer Genugthuung zum Besten gab. 
„Doch da alle Menschen ihren Augen mehr glauben, 
als ihren Ohren“, schloß er endlich, „so wollen wir uns das 
Ding einmal ansehen. Hurtig, Philipp, Hut und Stock!“ 
So wanderten sie denn zur Bahn hin, und dann aus 
einem schmalen Pfad neben ihr her. „Diese starken, eichenen 
Bohlen oder Balken“, docirte der Pastor, „in gleichen 
Zwischenräumen vertheilt, sind die Schwellen. Sie tragen 
die eisernen Schie nen, die dem Ganzen den Namen geben. 
Eisenbahnen waren in den Kohlenbergwerken Englands schon 
lange bekannt. Man verminderte durch die glatte Unterlage 
die Reibung und ersparte so bedeutend an Kraft. Doch 
um eine einzeln angewandte Transporterleichterung zu 
einem länder⸗ und völkerverbindenden Wunderwege zu 
machen, mußte erst der Dampf hinzukommen, gebaͤndigt 
und gelenkt von Menschenhand, mit seiner furchtbaren, fast 
unheimlichen Macht, „„die Hölle im Geschirr,““ wie die 
Indianer bezeichnend fagen.“ 
So docirte er und Alle horchten mit Andacht. Beson— 
ders zeichnete sich Philipp, der doch Alles schon hundert— 
mal gesehen hatte, durch seine Aufmerksamkeit aus: er hatte 
eben Etwas wieder gut zu machen. 
„Wir wollen jetzt in den Nebenstrang einbiegen, der 
zur Kiesgrube führt,“ schlug Haspe vor. „Die Züge, die 
dorthin kommen, haben's gewoͤhnlich nicht so eilig auch 
finden wir ein recht anständiges Wirthshaus dort.“ 
Sie trafen es günstig: ein Kieszug stand gerade zur 
Abfahrt bereit. Aber es ging damals, besonders auf einer 
solchen Nebenftation, noch recht gemüthlich her; das Per— 
sonal erfrischte sich noch durch einen kühlen Trunk. So 
hatte deun der Herr Pastor die beste Gelegenheit, seinen 
GBästen das gewaltige Ungethüm, die Locomolive, zu zeigen 
und zu erklären. Aber so ruhig und unschuldig es jetz! 
auch da stand: im Innern siedete und brauste es doch un— 
aufhörlich und so verdächtig, daß die Neulinge sich in ehr— 
furchtsvoller Entfernung hielten. 
„Kommt doch näher!“ ermuthigte sie Haspe. „Der 
Kessel ist stark und hat ein Sicherheitsventil.“ Und um 
ein gutes Beispiel zu geben, stieg er auf die Maschine, aber 
dazu waren die Anderen nicht zu bewegen. 
„Seht, hier ist der Zügel des Riesenpferds,“ rief er und 
faßte den Griff des Regulators. Aber im heiligen Eifer des 
Docirens bewegte er ihn auch. Und siehe da! Unter einem 
Ausruf der Bewunderung und des Schreckens der Zurück— 
bleibenden setzte sich die Locomotive majestätisch in Be— 
wegung. 
Der gute Pastor erschrack auch. Noch ging's langsam, 
und er hälte ohne Gefahr hinunter springen können, aber 
das litt sein Ehrgefühl und sein Mannesstolz nicht. „Was 
man einbrockt, muß man auch ausessen.“ Mit aller Macht 
ruckte er eilfertig an dem verwünschten Hebel, aber leider 
aach der verkehrten Seite hin: statt zum Stillstehen zu 
'ommen, sauste jetzt der Zug mit voller Dampfkraft und 
turzen, hastigen Athemzügen dahin, schon bog er in den 
Hauptstrang ein, und der unfreiwillige Locomotivführer fuhr 
fühn auf Mittelstein los. Die hellen Schweißtropfen standen 
ihm auf der Stirn. „Wenn ich einem Zuge begegne!“ 
dachte er, „wenn ich so, wie rasend, auf den Bahnhof los— 
fahre! In dem Tempo komm' ich in einer halben Stunde 
hin! — Aber ich hab' doch noch mehr Handgriffe gewußt! 
Richtig!“ — er gerieth in seiner Angst an die Steuerung 
— „das wirkt! Das wird's thun!“ 
Es wirkte allerdings, aber nicht wie gewünscht. Statt auf 
Mittelstein, brauste er jetzt in umgekehrter Richtung auf Dorn— 
burg zu. Und wer weiß, was noch geschehen wäre, wenn 
nicht ein entsetzter Bahnwärter, der, so schnell er vermochte, 
herbeilief, ihm mehr durch Zeichen als durch Worte die 
einzige rettende Bewegung angedeutet hätte, die er dann 
endlich auf's Schleunigste ausführte. Die Maschine hielt, 
dicht an der Weiche, die zum Nebenstrang führte. Der 
Zugführer stürzte, von seinem Glase Bier aufgeschreckt, todten— 
blaß herbei, sagte aber aus Respect vor dem ehrwürdigen 
Herrn nicht Viel. Der Pastor stieg, noch zitternd, zu 
Boden und machte sich mit seinen gleichfalls herzugeeilten 
Gästen kleinlaut auf den Heimweg. Er hat an dem Tage 
das alte Sprüchlein nicht mehr citirt, dagegen schwebte es 
dem Vetter Markus auf der Zunge, als nach dem Abend— 
essen der gute Wein dieselbe gelöst hatte, aber als kluger 
Mann unterdrückte er es 
Wie die Wilden Feuer machen. 
(Eine Erinnerung aus der Knabenzeit.) 
Von all den fahrenden Leuten, die mit einem Kasten 
voll naturgeschichtlicher Merkwürdigkeiten, Muscheln, Schlan— 
gen u. dgl. von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf 
wandern, war doch sicher der originellste der, welcher uns 
zeigte, wie die Wilden Feuer machen. 
Der Mann kam in unsere Dorfschule schon früh am 
Morgen, sagte dem Unterlehrer, daß er vom Herrn 
Pfarrer die Erlaubniß erhalten habe, seine Sachen der lie— 
ben Schuljugend vorzuzeigen, und bedeutete uns, daß wir 
uns am Nachmittag Punkt Ein Uhr in der Schule ein— 
finden sollten mit einem Kreuzer oder Groschen Eintritts—
	        
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