Full text: Der Bergmannsfreund (3.1873)

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Verminderung kaum erfahren hat, so verdankt der Verein 
dies erfreuliche Resultat in der Hauptsache den weiteren frei— 
willigen Zuwendungen des Staates als Werkseigenthümers 
und den Ergebnissen der Vermögenswirthschaft.*) 
181 Rath und That. 
Erzählung von Wilhelm Fischer. 
„Feuer! Feuer!“ Zum Glück nicht in finsterer Nacht, 
sondern in der Frühe eines lieblichen Sommermorgens hallten 
diese schrecklichen Worte durch die Straßen der kleinen 
Landstadt und brachten schnell ihre gewohnte Wirkung hervor: 
von den Thürmen scholl, zuweilen eine Minute lang unterbro— 
chen, das eintönige, ängstliche Sturmgeläute, die Hausthüren 
flogen auf und die Leute stürzten auf die Straße hinaus, die 
Alten und Langschläfer guckten wenigstens aus dem Fenster, 
die Spritzen rasselten über das Pflaster — sie waren 
erst vor einer Woche probirt, aber leider noch nicht reparirt 
worden — und ein eilfertiger Bürger, der vielleicht Schuld 
am Verzuge war, sprengte jetzt, um Versäumtes gut zu 
machen, hoch zu Roß zum nächsten Dorfe hinaus, dessen 
Löschgeräthschaften sich hoffentlich in besserem Zustande be— 
fanden, und immer mehr Menschen, klein und groß, eilten 
von Rettungseifer und Neugierde gleichmäßig beseelt, von 
allen Seiten der Stätte des Brandes zu. 
Nicht alle. Der dicke Löwenwirth, im süßen Morgen— 
schlummer gestört, entwickelte niemals, und auch in diesem 
Momente nicht, besondere Hast, kaum daß er sich im Bett 
aufrichtete und nach der Siubenthür blickte, durch die so— 
eben behutsam, wenn auch rasch, seine Frau eintrat, die sich 
wie gewöhnlich vor ihm erhoben hatte und schon eine Weile 
in der Haushaltung thätig gewesen war. Ein tüchtiges 
Weib und beinahe so klug wie er, blickte sie mit einer wah— 
ren Verehrung zu ihrem stattlichen, leiblich und geistig star— 
ken Eheherrn empor und verstand ihn ohne viele Worte. 
„Wo brennt's?“ fragte er. „In Gockels Scheune“, war 
die Antwort. „Wind draußen?“ „Kein Lüftchen!“ „Also 
windstill, heller Tag, weit von hier, Leute genug — doch 
laß die Knechte gehen, auch den Pferdejungen, schließ den 
Hof ab — ich bleib' liegen.“ 
Damit drehte er sich auf die andere Seite, und sie 
ging geräuschlos weg. Aber ein plötzlicher Gedanke triel 
ihn doch für einen Äugenblick aus dem Bette. Das Schlaf—⸗ 
zimmer lag nach der Straße zu; „es brauchen's nicht ge— 
rade alle Leute zu merken!“ brummte er, und öffnete die 
Fensterladen. In dem nämlichen Augenblicke that der lange 
Geometer, der ihm gegenüber wohnte, dasselbe, und er— 
röthete, als er sich daruͤber betroffen fand. Der Löwen— 
wirth verzog keine Miene, sondern rief gravitätisch: „Guten 
Morgen, Herr Nachbar!“ und zog sich dann wieder in sein 
vortreffliches Bett zurück. 
Nun muß Niemand glauben, ich wollte die beiden be— 
sonders loben oder als Musterbilder hinstellen. Fast die 
einzige schöne Seite bei einem dem Allgemeinen drohenden 
Unglück ist ja die allseitige Theilnahme an der Bekämpfung 
und Abwehr desselben. Wenn bei einer Feuersbrunst Reich 
und Arm in der Reihe der Eimerlanger steht, wenn bei 
einer Wassernoth Juug und Alt um die Wette Steine 
und Erde zum bedrohten Damme schleppt, dann wird man 
so recht inne, daß wir schwachen Menschen im Kampfe 
gegen die gewaltigen Elemente solidarisch sein müssen, um 
irgend welche Hoffnung auf Erfolg zu bhaben. und daß auch 
..Die Resultate der Vermögenswirthschaft selbit folgen zum Schluß 
dieses Rückblicks in der nächsten Nunms! 
vielleicht ein fröhlicher Aufblick zu „Ihm“ nicht schaden 
kann, der zu den stolzen Wogen spricht: Bis hierher und 
weiter nicht! Der die Winde zu seinen Boten und zu seinen 
Dienern die Feuerflammen macht. Wenn bei einer solchen 
Gelegenheit sich hier ein armer Mann durch seine Leibes— 
stärke, dort ein Springinsfeld durch seinen Muth, und end— 
lich ein Ungelehrter durch seine Besonnenheit und Weisheit 
auszeichnet, so erkennen wir wieder einmal deutlich, daß 
es im Grunde weniger darauf ankommt, was wir haben, 
als was wir sind, daß weder Geld noch Gut, noch feines 
Benehmen, ja selbst Gelehrsamkeit den rechten Kerl macht, 
sondern vielmehr das, was innerhalb seiner vier fleischer— 
nen Wände steckt, die scharfen Augen, die starken, ge— 
wandten Glieder, die du siehst, und das tapfere Herz, der 
klare Verstand, die du nicht siehst, und doch bewundernd 
anerkennst. Solche Bewunderung aber thut dem Armen 
und Verachteten, solche Erkenntniß dem Reichen und Ueber— 
müthigen wohl, und schon deshalb hätte es dem Löwen— 
wirth nichts geschadet, beim Brande zu sein. 
„Er wird auch ohne mich gelöscht!“ dachte er sowohl, wie 
der Geometer. Und so geschah's denn auch. Indeß, wenn 
Jeder so gedacht hätte, so wär' das Städtlein ein Raub 
der Flammen geworden. 
Nach gethaner Arbeit galt es nun freilich, noch einen 
andern Brand zu löschen, nämlich den, der durch die eil— 
fertige Anstrengung in der warmen Morgensonne und beim 
flammenden Holzwerk und qualmenden Heu in den Kehlen 
eutstanden war, und dazu hot das tiefe und kühle Schenk— 
zimmer des Löwenwirths die passendste Gelegenheit. Er 
war natürlich nun auch längst in der Wehr, hatte seinen 
zuten Kaffee in Ruhe geschlürft, seine beiden Milchbrödchen 
genossen, und dirigirte, eine weiße Schürze vor die mäch— 
tige Brust gebunden, auf einer Erhöhung in der Glas— 
nische sitzend von wo aus er Flur und Zimmer zugleich 
iberschauen konnte, die Bewegungen der Mädchen und Brau— 
burschen, die das Verlangen der vielen Gäste kaum zeitig 
befriedigen konnten. Immer mehr müde, trink- und sprech⸗ 
lustige Menschen drängten sich herein, Herren vom Stadkt— 
Rathe und junge Arbeiter in Hemdärmeln; das Ereigniß 
hatte für eine kurze Weile die Standesunterschiede verwischt, 
mmer lauter schwollen die Wogen der Unterhaltung an. 
Der Klügste hatte schon gestern Abend einen verdächtigen 
Geruch gewittert, und glaubte er an eine Selbstentzündung 
des gährenden, vielleicht zu naß eingebrachten Heus; ein 
Anderer wollte wissen, man habe eine Pfeife, ein Dritter, 
man habe Zündhölzchen in der Scheune gefunden; ein Arg— 
wöhnischer zog die Schultern in die Höhe und gab durch 
kurze Worte und seltsame Grimassen nicht undeutlich zu 
verstehen, es wäre nicht mit rechten Dingen zugegangen, 
doch wurde er bald überstimmt, denn das Gebäͤude war 
nur niedrig und der Inhalt gar nicht versichert. 
Auch der lange Geometer hatte es gewagt, sich nach 
einem raschen Blick auf die Brandstätte zum Frühschoppen 
zu begeben, und da ihn Niemand beim Löschen bemerkl 
hatte und er jetzt seiner fragelustigen Zunge nicht zu ge— 
bieten vermochte, so kam es bald heraus, daß er sich gar 
nicht bei der Arbeit betheiligt hatte. Kein Mensch haͤtte 
sich noch erkühnt, den hochachtbaren Löwenwirth deßhalb 
zur Rechenschaft zu ziehen. Mit dem leichtfüßigen Geo— 
meter, dem allzeit lustigen Gesellschafter, war's eiwas An— 
ders, und Alle fielen jetzt, ihre eigenen Leistungen mit prah— 
lerischer Demuth aufzaͤhlend, einmüthig über den Unbeson— 
nenen her. 
„Laßt mich in Ruh!“ rief er endlich mit komischer 
Verzweiflung, ‚ich gestehe es ia aher wenn ihr hbübsch niss—
	        
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