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von nachgeäfftem oder Scheinbischof wählte. Man nahm
dazu meist einen von den Chorknaben der Pfarrkirche, und
die Chorknaben waren es auch, welche den Wahlakt voll⸗
zogen. Der kleine Bischof wurde mit angemessenem
Gewand, mit Bischofsmütze und Bischofsstab und außerdem,
um ihm ein würdiges Ansehen zu verleihen, mit einem
langen weißen Barte versehen. Außerdem wurde er mit
der nöthigen Amtsgewalt bekleidet, die er mehrere Tage
lang zur großen Freude seiner Kameraden ausübte. In
der erwähnten Vermummung und von seinen Kameraden,
den übrigen Chorknaben, begleitet, zog er durch die Straßen
der Stadt, hinter sich eine Schaar jubelnder Gassenjungen
als Gefolge.
Mit welcher Zähigkeit sich mancher Volksbrauch in
allem Wechsel der Zeiten und Sitten forterhält, beweist
eben das Fest des heiligen Nikolaus. Noch heut zu Tage
besteht in allen katholischen, und theilweise auch in prote—
stantischen Ländern der Brauch, daß sich Knaben am Abend
des 5. oder 6. Dezember als ‚Nikolaus“ vermummen, in den
Häusern herumgehen und braven Kindern Aepfel, Nüsse
und ähnliche Dinge spenden, natürlich gegen nachträgliche
entsprechende Remuneration, wenn der Nikolaus“ nicht
von einem Familiengliede, sondern von armen Buben ge—
macht wird, die dabei Etwas zu verdienen hoffen. Die
hübsche Sitte wird sich hoffentlich noch lange erhalten, und
wenn man heute über Beibehaltung oder Abschaffung des
„Nikolaus“ eine Volksabstimmung veranstalten würde, so
ist Hundert gegen Eins zu wetten, daß die überwiegende
Wajorität von Alt und Jung für die Beibehaltung stimmen
würde.
Feengeschenke.
Von G. Diethoff.
(Schluß.)
So wuchs das Mädchen heran in einem hellen, schaf—
—VD—
gute Feen um ihre Wiege gestanden, denn so lachend wie
ihre Augen und so rührig wie ihre Hände gab's fast keine
mehr im Ort. Das war das gute Geschenk der ersten
Fee, aber die zweite kam auch bald nach und tauchte die
Seele des Mädchens in gaukelnden Perlmutterschimmer. Ob
sie nun am Spinnrad saß oder am Melkkübel, so geschah
es oft, daß sich die heiteren Augen in Dämmerung hüllten
und die rührigen Hände in den Schooß sanken. Und aus
dem bunten Nebel des wachen Träumens traten dann aller—
hand Gestalten, von denen sie gehört in alten Liedern und
Mährchen, von denen sie gelesen in den prächtigen neuen
Büchern, die alle gedruckt waren in „diesem Jahr“. Königs—
töchter, die verbannt als Mägde irrten, edle Ritter und
Grafen, die mit Drachen kaämpften, Prinzen, die sich ver—
irrten auf der Jagd und eines Bauern Dirn' zur Königin
machten; von andern Sprossen aus königlichem Geschlecht,
die verzaubert in allerlei Gestalten des Wortes und der
Stunde harrten, die ihren Banu lbsen sollte. In all' die
Herrlichkeiten blieb sie eingewiegt, bis die Mutter mahnend
ihr zurief: „Lustig, Lisbeth, lustig, schlaf' mir nicht ein
über der Arbeit! Vu mußt es noch inne werden, Madchen.
was im Schaffen für ein Segen steckt!“
Da fuhr wohl die Lisbech auf aus dem Sinnen wie
aus schwerem Schlaf, strich sich das Haar zurück und griff
wieder nach der Arbeit. Aber es ward ihr gar sauer, und
sie meinte, sie könne wohl auch was Besseres verrichten, als
Mägdedienst; dazu kam ihr die Stube so eng vor und so
räucherig, ihre Kleider so grob und so pPluimnd Wenn —
vas vor Alters passiren konnte, daß ein vorbeiziehender
Prinz eine Magd, die das Vieh hütete oder die am Bache
vusch, auf's Roß heben konnt' und sie in rothgoldenen
Kleidern zur Königin küren, warum sollt's nicht auch heut
noch geschehen können? Und warum nicht auch ihr? So
dachte die Lisbeth. Und wenn's just auch kein Prinz ist
oder ein Graf, so sollt's doch ein Herr sein, und sie meinte,
es könne auch gar nicht anders werden, als daß sie eine
Dame würd', denn sie dünkte sich etwas Feines und Apar—
tes, weit höher und besser, als Alles, was um sie war. So
tam es, daß sie nimmer wußt', was Hoffnung und was
Lerdienst sei, und daß sie eines mit dem andern verwech—
elte, bis sie sich so kostbar vorkam und zu so Großem be—
rufen, daß es sie selber Wunder nahm, daß sie uur daheim
hlieb. Wär' die Lisbeth ein Stadtkind gewesen, so hätt'
ie vielleicht gesagt, sie sehne sich nach ihrem Ideal — dieses
Bewerb oder diese Person kam aber nicht vor in den Geschichten
der Lisbeth, so blieb's eben beim Prinzen oder Grafen,
aber sie sagte Nichts davon. Der Vater sagte: „das Mädel
vird mir noch hintersinnig,“ wenn sie im Weinberg, statt
Ankraut zu jäten, die Hände über der Hacke faltele und
jinaussah auf die Landstraße, ob kein Reiter kommen wolle
»der ein hellschimmernder Zug aus dem Hohlweg. Die
Mutter schüttelte den Kopf, wenn die Milch in's Feuüer lief,
vährend die Lisbeth den Funken nachsah, die den Schlot
zjinauflogen, und der Conrad, des Müllers Sohn, der sie
lieb hatte wie sein eigen Leben, zuckte schmerzlich zusammen
ind seufzte tief, wenn die Lisbeth steif und stolz an ihm
vorüberging und jeder Zug ihres Gesichtes, jede Falte ihres
vehenden Rockes ihm zu sagen schien: du bist mir viel zu
gering!
Eben war er ihr wieder begegnet, wie sie ihren Eimer
am Brunnen füllte, da wollt' er ihr aufhelfen, sie aber
faßte hurtig nach dent Gefäß und lief an ihm vorüber, daß
das Wasser zu beiden Seiten herauspatschte und sie nur
einen halbgefüllten Eimer ärgerlich im Flur absetzte. „Nein,“
dachte sie bei sich, „Müllerstuch ist mir doch zu grau und
zu grob.“ Der Conrad sah ihr lange nach, und es wollt'
hm schier das Herz abdrücken, daß das Mädchen sich seiner
o wenig kümmerte. „Ich muß mit ihr doch einmal ernst—
jaft reden,“ dachte er, „wenn ich nur wüßt', wie ich's an—
angen sollt.“ Dabei blickte er auf den Vergißmeinnichtstrauß,
den er am Mühlbach gepflückt. „Ihr seid umsonst ge—
hrochen!“ sprach er, denn er hatte die Blumen der Lisbeth
zeben wollen, kam aber nicht dazu, weil sie gar so rasch
davon lief; nachwerfen konnt' er sie ihr doch nicht. „Da!
da lieget!“ sagte er und legte den Strauß auf das Fenster—
sims. „Mit heim nehmen thu' ich euch nimmer!“
Derweil war die Lisbeth in die Stube gegangen, rückte
das Spinnrad an's Fenster und dachte, sie wolle sich's jetzt
angenehm machen, denn sie war allein zu Hause, so konnte
sie Niemand stören in ihren Gedanken.
Da kamen sie denn auch wieder m schimmerndem Glanz
alle die gaukelnden Bilder, auf den rothen Wolken des Abend—
zimmels schwebten sie und auf den Tönen des Waldhornes
chwammen sie herab, schmeichelnd und weich. Wie das
Waldhorn klang! Der Förster hielt seine Andacht, das heißt,
er blies in die Welt hinein das einzige geistliche Lied. das
er kannte: „Nun ruhen alle Wälder.“
Die Töne machten das Mädchen aufmerksam. Es ist
doch was Schönes um einen Jäger! Jäger kamen in den
Liedern gar viele vor und fast immer waren es verkappte
Prin zen oder Grafen. — Wie das Jagdhorn rief! — Aber
nein, bei dem Förster konnt' man sich Nichts denken, das
war ein alter Junggeselle. der den armen Leuten Vrotokolle