Full text: Der Bergmannsfreund (3.1873)

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lichen „grüß Euch Gott!“ sie anredete, welchen Gruß Wel— 
lenstein und Sohn dankend erwiderten. Der eben Ange— 
ommene war gekleidet nach Jägerart und trug eine Doppel— 
flinte nebst Pulverhorn über dem Rücken. Allem Anschein 
nach mußte es der Förster der Gräfllich von Kesselstatt'schen 
Waldungen sein, die sich ringgsum ausdehnten. Die äußere 
Erscheinung des Fremden machte den günstigsten Eindruck 
Seine Gestalt war edel, sein Auge mild wie die Maisonne, 
die einen zarten Schimmer über die Haide verbreitete, sein 
nzes Aeußere ließ eine besondere Herzensgüte leicht er— 
ennen. 
Inzwischen hatte sich aus dem Westen dunkles Gewölk 
herangezogen. Wenige Augenblicke genügten, die sonnige 
Haide wie mit einem grauen Zelte zu überwölben. Der 
Jägersmann blickte auf zum Himmel und musterte das Ge— 
wölk. „Das wird ein schweres Gewitter,“ meinte er nach— 
denklich — „wer da nur unter einem schützenden Dache 
wäre! Wir müssen uns eilen, daß wir noch jenen alten 
Buchwald am Ende der Haide erreichen, der in Ermanglung 
eines Hauses keineswegs zu verachten ist.“ 
Den Wald erreichten sie denn auch, noch ehe die ersten 
Tropfen fielen. Eine tiefe Stille lagerte mit einer eigen— 
thümlichen Feierlichkeit auf dem dichten Laubdache, nur hin 
und wieder unterbrochen von dem Zwitschern eines Vogels, 
der noch kein sicheres Obdach zu finden wußte und ängst— 
lich von Baum zu Baum hüpfend den nahen Sturm ver— 
fündete. Dicke Tropfen fielen jetzt auf die Blätter der 
Buchen nieder, und e nzelne Blitze durchzuckten auch bereits 
das düstere Gewölk. Den Blitzen folgte bald der Donner, 
Anfangs dumpf rollend, wie ein schwer beladener Wagen, 
wenn er über eine Brücke fährt, aber nach und nach lauter, 
dröhnender; schmetternd entlud sich bald Schlag auf Schlag, 
und es war nicht anders, als ob das in Flammen stehende 
Firmament über die Erde zusammenstürzen wolle. Dem 
furchtbaren Donnern folgte ein orkanähnlicher Wind, unter 
dessen Stößen hier und dort gewaltige Bäume mit sammt 
dem breiten Wurzelwerke aus dem Boden gehoben wurden. 
Schon bei den ersten Donnerschlägen hatte sich Arnold 
bei einem Baume niedergelassen, faltete seine Hände und 
betete laut. Der Jäger musterte ihn von Kopf bis zu den 
Füßen. Seine schönen- Augen, seine schlanke Gestalt und 
die Ehrfurcht, womit er sein Gebet verrichtete, ließen den 
Knaben fast wie einen Engel erscheinen. Schweigend be— 
trachtete der Jäger den Jüngling. An eine Unterhaltung 
war nicht zu denken, denn das Gewitter brach mit all seinen 
Schrecken los und fegte mit solcher Gewalt durch die Bäume, 
daß die Aeste wie Spreu umherflogen. Zwei Stunden 
fast dauerte es, bis sich der Sturm voͤllig gelegt hatte. 
„Guter Freund,“ unterbrach endlich der Jäger das 
Schweigen, „wo geht die Reise hin?“ 
„Ich und mein Sohn wollen uns Arbeit suchen am 
Bleiberge“, antwortete Wellenstein. 
Verwundert blickte der Jäger Wellenstein an, denn 
dessen ganzes Aeußere sah nicht aus wie das eines ge— 
wöhnlichen Arbeitsmannes. Obschen seine Kleidung alt 
und fadenscheinig war, so war sie doch reinlich und nicht 
derart, wie sie Arbeiter jener Gegend zu tragen pflegten. 
Seine Gesichtszüge waren zudem noch edel, obwohl der 
Kummer schon tiefe Furchen hineingezogen hatte. 
„Guter Mann“ meinte der Jäger, „dann seid Ihr 
aber nicht auf dem rechten Wege; denn Ihr geht von dem 
Bleiberge hinweg, anstatt drauf zuzugehen.“ 
„Ja, mein lieber Herr Förster,“ sagte Wellenstein, „ich 
Drucker und Verleger: Gebrüder Hofer in Saarbräcken. Expedition der Sgarbrücker Zeitung 
sehe das auch ein, aber ich wollte noch nach dem Schlosse 
Todtenburg und dem gnädigen Herrn mein Schicksal klagen. 
So viel mir bekannt ist, hat er schon manchen Hilflosen 
unterstützt. Es fällt mir gewiß schwer, zu betteln, und 
wenn ich selbst auch Hungers sterben müßte, würde ich es 
noch nicht thun. Aber hier mein unschuldiges Kind darben 
ehen zu müssen, das ist es, was mich zu einer That be— 
vegt, vor der ich schon längst zurückschauderte, wenn ich 
nur daran dachte.“ — Eine Thräne konnte er nicht unter— 
drücken. — „Sie sind vielleicht auch in Diensten des Herrn 
Grafen von Kesselstatt?“ hub Wellenstein nach einer kleinen 
Pause wieder an. „Jawohl“, antwortete der Jäger, den 
Wellensteins Worte gleichfalls bis zu Thränen gerührt 
hatten, „mein Weg geht auch nach Todtenburg. So können 
wir miteinander gehen.“ 
Während Wellenstein nun dem Jäger seine ganzen Ver— 
jältnisse erzählte, kamen sie allmählig bis in die Nähe des 
Schlosses. Hier verabschiedeten sie sich. Der Jäger eilte 
dann starken Schrittes zur Schloßpforte hinein. Wellenstein 
sah ihm nach, bis er in den Schloßhallen verschwunden war. 
Dann entschloß er sich, sein Vorhaben auszuführen. Seinem 
Sohne befahl er, unterdessen an dem Schloßportale zu ver— 
veilen, bis er von dem Grafen zurückgekehrt sein werde, 
und ging dann bangen Schrittes zum Portale hinein. Er 
wußte selbst nicht, wie ihm war. Seine Zunge schien ihm 
wie gelähmt und seine Füße versagten ihm fast den Dienst. 
Als er nun an die Hauptpforte des Schlosses gelangte, 
war es ihm nicht mehr möglich, mit aller Kraftanstrengung 
einen Fuß vor den andern zu setzen. Seiner Sinne kaum 
mehr mächtig, begann er unwillkuͤrlich, mit lauter Stimme 
das „Vater unser“ zu beten, daß es mächtig in den Schloß— 
hallen widerhallte. 
Plötzlich erschien ein gräflicher Diener und befahl, daß 
Wellenstein und sein Sohn eintreten und ihm folgen 
sollten. Er führte sie in einen Saal, wo eine bereitstehende 
Tafel ihrer nur zu warten schien. Bald kam auch der 
Braf selbst und hieß sie freundlich Platz nehmen au der 
Tafel. Aber wie erstaunten Wellenstein und sein Sohn, 
als sie in dem Grafen Niemand anders als den Jäger 
wieder erkannten, der während des Gewitters sich bei ihnen 
aufgehalten hatte. Ein Stein war Wellenstein damit vom 
Herzen gewälzt, er brauchte ja jetzt nicht erst dem Grafen 
eine Verhältnisse auseinanderzuseßen, er hatte sie ihm ja 
vorhin schon als dem vermeintlichen Jäger geklagt. 
Auf des Grafen Befehl griffen die hungrigen Wanderer 
tüchtig von den Speisen zu und mußten duch über Nacht 
bleiben. Am andern Tage erst verließen sie reich beschenkt 
das Schloß Todtenburg. Jetzt ging die Reise etwas besser 
von Staͤtten, und am dritten Tage gegen Mittag erreichten 
sie die ersten Gruben. 
In dem Dorfe Schäfen gesellte sich ein alter Mann 
zu ihnen, dem die seltsamen Wanderer aufgefallen waren. 
— Wellenstein Vater trug nämlich einen Frackrock von 
dunkelblauem Tuche, der in jener Gegend gar nicht Mode 
war. — (Fortsetzung folgt). 
Marktpreise am 25. Ottober 1873. 
xu Saarbrü⸗en. zu St. Jehann. 
⸗n - 
— — 29 — 
— 124 — 
— 9 6
	        
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