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Ein Beispiel zur Nachahmung.)
In Hamburg lag vor etwa 30 Jahren bei armen Leuten
eine alte, schwer kranke Frau in Schlafstelle. Sie war
schwindsüchtig, stöhnte und hustete Tag und Nacht, und
verursachte durch andere Gebrechen große Beschwerden. Die
Leute, bei denen sie wohnte, hatten ihr in ihrer ohnedies
engen und luftlosen Wohnung einen Winkel angewiesen.
Dort stand das elende Bett, in dem die Jammergestalt,
jeder Krankeupflege und jeder Liebe entbehrend, in Schmutz
und Ungeziefer begraben lag. Es kümmerte sich keine Seele
um sie, und die Wirthsleute, denen es nur um die paar
Groschen zu thun war, welche sie allwöchentlich für die
Schlafstelle einnahmen, ließen es die Kranke in der rohesten
Weise fühlen, wie lästig sie ihnen sei und daß sie dieselbe
eigentlich weit lieber aus dem Hause werfen, als das ewige
Seufzen und Husten hören möchten.
Zufälliger Weise erfuhr davon ein Schiffszimmermann,
der in der Nähe wohnte. Er war auch ein armer Mann
und hatte nicht mehr, als was er mit seiner Hände Arbeit
verdiente. Ihn und seine wackere Frau dauerte die un—
glückliche Kranke, deren schweres Geschick durch die Unbarm—
herzigkeit jener Wirthsleute noch mehr erschwert wurde. Sie
gingen mit einander zu Rathe, ob sie nicht helfen könnten,
und entschlossen sich, das kranke Weib bei sich aufzunehmen
und es ihr so gut zu bereiten, als sie es irgend vermöchten.
Die Kranke wollte den Wechsel, den sie ihr anboten,
sich gerne gefallen lassen, denn, ob sie gleich den Schiffs—
zimmermann nicht kannte, wußte sie doch, daß es ihr nicht
schlimmer werde gehen können als jetzt. So wurde sie mit
Mühe und Noth in die neue Schlafstelle hinüber gebracht,
und da es um die Neujahrszeit und die Kälte sehr hart
war, so war der Transport qualvoll genug. In welchem
Zustande fand man die Arme! Sie starrte in Schmutz und
Ungeziefer. Da sie nur ein einziges Hemd hatte, so gab
die Frau des Schiffszimmermanns ihr eines der ihrigen.
Gern hätte sie dieselbe in ihrer kleinen Schlafstube gebektet,
aber das durfte sie des Ungeziefers wegen nicht, denn ihr
Mann hielt, wie sie, viel auf Reinlichkeit und er hätte es
auf dem Zimmerplatz mit seinen Collegen zu thun gehabt,
wenn dergleichen bei ihm vorgekommen wäre. Es blieb
also Nichts anders übrig, als das Bett des armen Weibes
auf den Flur zu stellen. So viel Widerwärtiges die Pflege
mit sich brachte, wurde sie von der Frau des Schiffszimmer—
manns doch aufs Treueste besorgt, und bei Tag und Nacht
war sie bei der e um jeden Dienst ihr zu thun und
jede Erleichterung ihr zu schaffen. Bald stellte es sich heraus,
daß diese das Schlafgeld nicht mehr zu zahlen vermochte,
aber trotzdem hörte sie kein hartes Wort und keine Mahnung,
sondern nur freundliche Worte des Trostes. Nur Eines
that den wackern Leuten wehe, daß sie ihr keine eigentliche
Krankenkost, sondern nur die Speisen von ihrem eigenen
Tisch zeben konnten, die wohl für Gesunde gut genug waren,
aber fuͤr einen Schwindsüchtigen nicht taugten. Deßhalb
wandten sie sich an einen Verein für Armen- und Kranken—
pflege, der einige Jahre vorher in Hamburg gegründet wor—
den war. Die Vorsteherin kam selber, um die Kranke zu
sehn und ihre Bedürfnisse kennen zu lernen. Da fand fie
das arme Weib in ihrem Elend und saß als Trösterin und
Helferin an ihrem Bette. Sie erklärte sich bereit, der
Kranken von ihrem Verein einige Hemden, eine wollene
Jacke und neues Bettzeug zu verschaffen, wogegen sich die
Schiffszimmermannsfrau bereit finden ließ, das alte Zeug
auszukochen und ihren Mann zu bitten, daß er dann am
*) Aus den Blättern für das Armenwesen. Stuttgart, 1873.
Sonntage die Bettstelle der Kranken in der Schlafkammer
nufschlage. Auch wurde nun der Arzt gerufen und Alles
gethan, was für eine Schwindsüchtige gelhan werden kann,
im ihre Trübsal zu erleichtern.
Als die treue Armenpflegerin einige Tage später ihren
Besuch erneute, fand sie die Kranke schon umgebettet, und
wie in einer neuen Welt. O, sagte sie, tief gerührt, diese
zuten Menschen haben, seit ich bei ihnen bin, so Viel an mir
gethan, daß ich es ihnen niemals vergelten kann. Ach, und
nun sehen Sie einmal das Schiff da! Sie zeigte mit ihrer
dürren Hand auf ein kleines, zierlich gearbeitetes Schiff, welches
auf dem Tische stand. Das hat er fuͤr meinen Albert gemacht,
agte sie. Der Albert war ihr jüngstes Kind, das im
Waisenhause sich befand. Und für meinen Robert hat er
auch eines gemacht! setzte sie mit ihrer keuchenden Stimme
hinzu. Dieser Robert war ihr älterer Sohn und wohnte
im Werk- und Armenhause. O wie muß einer fast sterben⸗
den Mutter zu Muthe sein, wenn sie an ihre Kinder im
Waisenhaus und im Armenhause denkt, und zu allen Tages—
tunden und zu allen Stunden der schlaflosen Nächte das
Wehe und der Jammer um sie ihr am Herzen nagt. Und
uun sind Menschen da, die nicht nur ihr, der Mutter, son⸗
dern auch den Kindern, den verwaisten, anstatt der Mutter
Liebe erweisen.
Durch Vermittlung der Armenpflegerin, die seitdem oft
mit Trost und Labung bei der Kranken einkehrte, fehlte es
letzterer auch an der Krankenkost und an mancher Erquickung
aicht mehr, aber die beste Erquickung war ihr doch immer
die Liebe ihrer Hausleute.
Eine Besserung des elenden Zustandes trat nur vor—
übergehend ein. Bald wurde es schlimmer, und die Pflege
wurde immer schwerer, aber der Schiffszimmermann und
seine Frau ermüdeten nicht. Halbe und ganze Nächte saßen
sie abwechselnd an ihrem Bette, und wurden auch nicht
ungeduldig, als die schwer Heimgesuchte, wie das bei Brust⸗
ranken nicht selten vorkommt und mit ihrer Krankheit ent—
scchuldigt werden muß, gegen ihre Wohlthäter murrte. Ja
ie entschuldigten das Murren der Armen und fuhren fort,
ie zu pflegen und zu tragen, als wenn sie ihre leibliche
Schwester wäre.
So war fast ein halbes Jahr verstrichen, ein schweres.
Im Juni, als der Zustand der Kranken sich in hohem Grade
verschlimmerte, drang der Arzt darauf, daß sie nach dem
Krankenhause gebracht würde. Auch da hörten die trefflichen
Menschen nicht auf, ihre aufopfernde Liebe zu beweisen, be—
suchten die Sterbende, die doch nicht sterben konnte, so oft
der Besuchstag kam, draußen im Krankenhause, brachten
manche Gabe ihr mit, die ihr eine Freude oder Erquickung
war, und wenn der Jüngste, der Albekt, im Waisenhause
die Erlaubniß zum Ausgehen bekam, so mußte er zu den
Schiffszimmermannslenten kommen, und sie nahmen ihn
jedesmal mit solcher Liebe auf, als ob er ihr eigenes Kind
wäre.
Wären solch edle Menschen nur häufiger, es würde
Vieles besser auf der Welt!
181 Erzäͤhlungen
von Wilhelm Fischer.
„Wer den Pfennig nicht ehrt,
Ist des Groschens nicht werth.“
Damit die jüngeren der geneigten Leser nicht etwa
leichtsinnig werden, muß ich sofort einen anderen Ton pfei—
fen und ein neues Stücklein erzählen.