Full text: Der Bergmannsfreund (3.1873)

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1. Verbreitung und Einschleppung der 
Cholera. — Die bisherigen wissenschaftlichen Forschungen 
haben zu dem Ergebniß geführt, daß bei uns die epide— 
mische Tholera niemals von selbst entsteht, sondern daß 
der Keim derselben jedesmal im Wege des menschlichen 
Verkehres zu uns eingeschleppt wird. Und zwar geschieht 
diese Verschleppung der Hauptsache nach eben nur durch 
die Excremente (Darmentleerungen, Stuhlgang, Koth) von 
Cholerakranken; daneben allerdings kann eine Uebertragung 
des Krankheitsstoffes auch durch Kleider, Betten u. s. w. 
welche der Kranke benutzt hat, ja selbst durch Nahrungsmittel, 
erfolgen. 
zast bei jedem einzelnen Erkrankungsfalle kann man 
mit Sicherheit nachweisen, daß die befallenen Personen die 
Abtritte der Häuser, in welchen Cholerakranke waren, oder 
solche, deren Mistgruben an die befallenen Häuser an— 
grenzten, besucht, oder daß sie mit Leuten aus jenen Haäu⸗ 
sern Abtritte gemeinschaftlich benützt haben. Es ist daher 
auch leicht verständlich, warum die Cholera, seitdem die 
Menschen mehr und schneller reisen, auch viel rascher als 
in früherer Zeit sich verbreitet, und erklären sich die weiten 
Sprünge, welche die Cholergepidemien oft machen, sehr 
leicht, wenn man bedenkt, daß ein Cholerakranker nur in 
denjenigen Plätzen den Keim der Seuche hinterläßt, wo er 
eben Stuhlentleerung hatte, während alle Zwischenstationen 
verschont bleiben. 
Nicht überall und allzeit gleichmäßig oder gleich ge— 
fährlich kommt indessen der eingeschleppte Cholera-Keim 
zut Entwicklung. Während er in einzelnen glürklichen 
Gegenden fast spurlos verschwindet, ruft er in den andern 
— und leider ist dies die größere Mehrzahl — sofort eine 
heftige Epidemie hervor. Auch ein und derselbe Ort kann 
in der einen Zeit sehr stark befähigt sein zur Aufnahme 
und Entwicklung des Cholerakeims, in der audern Zeit 
aber wieder gar nicht. J 
Es ist fast zweifellos, daß diese örtliche und zeitliche 
Verschiedenheit für die Entwicklungsfähigkeit des Cholera⸗— 
Keimes lediglich mit den Bodenverhältnissen im Zusammen— 
hang steht. Affenbar begünstigen gewisse eigenthümliche Ver— 
hältnisse der Bodenbeschaffenheit eines Ortes, des Grund— 
wassers u. s. w. den Ausbruch der epidemischen Cholera 
im höchsten Grade. Es liegt allerdings nicht in unserer 
Macht, die Bodenverhältnisse überall so zu reguliren, daß 
die Cholera keinen Anhalt zu ihrer Entwicklung finde. 
Doch gibt es andererseits erprobte Maßregeln, durch deren 
umsichtiges und pünktliches Ausführen sich erwarten läßt, 
daß. die Seuche nicht mehr in so heftiger und bedrohender 
Weise um sich greifen könne, wie in 8 Zeiten, wo 
man diese Verhältnisse nicht kannte. 
AVom getreuen Kunecht. 
Erzählt von E. Diethoff. 
Es war am Sonntag Nachmittag und noch dazu im 
Mai an einem Tage, der voll Sonnenschein und Vogel— 
sang war, der in den Wald hinaus lockte, an die kuhlen, 
schattigen Plätze, wo die Maiblumen aufblühten und die 
Erdbeerblüihen dem Sommer eine reiche Erndte versprachen. 
Da war es denn nicht zu wundern an so einem Tage, 
daß in der Christenlehre die confirmirten Buben und Maͤd— 
chen unruhig waren und mehr als billig nach der Kirchen— 
thüre blickten, oder nach den Fenstern, durch deren Spinn— 
gewebe die Sonne so verlockend funkelte, daß mehr Catechis— 
men und Gesangbücher auf den Boden rutschten und eif— 
riger von den Nachbarn wieder aufgehoben wurden, als 
gerade nöthig, ja daß manch Einer oder Eine das Gähnen 
nicht unterdrücken konnte, und im Allgemeinen eine Unruhe 
hertschte, wie gerade nicht zu loben. Aber es war doch 
zraußen auch gar zu sonnig und in der Kirche zu eng und 
dumpfig; denn es war die Kirche einer nicht großen Ge— 
meinde, die zumeist von Bergleuten bewohnt war. 
Der Pfarrer hatte gar eindringlich über das Gleichniß 
von den Knechten geredet, welchen der Herr so viel Pfunde 
übergeben hatte, um sie dann wieder zurückzufordern. Es 
war gar lehrreich, aber nur die wenigsten der jungen 
Leute hörten das mehr, ihre Gedanken waren für jetzt nur 
auf den Schluß der Christenlehre gerichtet, und die meisten 
Augen lenkten sich nach dem alten Küster, der in einer 
Seuenbank friedlich eingenickt war, ob er nicht bald auf— 
vachen wolle; denn das Rasseln des Schlüsselbundes, der 
Schlag der Kirchenuhr dünkle ihnen jetzt der liebste Ton. 
Nur ein Knabe von etwa fünfzehn Jahren hing mit 
Ernst und Andacht an dem Munde des Predigers. Und 
als dieser fragte: „nun, Gottlieb, kannst Du mir sagen, was 
der Herr zu dem letzten Knechte sprach, dem nur ein Pfund 
war überant wortet worden?“ — da antwortete der Knabe 
mit so hellem Auge, mit so wahrhaft freudiger Stimme, daß 
man wohl merkte, es war ihm ernst und er verstand, was 
er sagte — — „oh Du guter und getreuer Knecht, Du 
bist uͤber Weniges getreu gewesen, siehe, ich will Dich über 
Vieles setzen“. — „KRecht so, mein Sohn“, sprach der Geist- 
liche, „Jedem von Euch ist sein Pfund anvertraut, sorget 
und sehet dazu, daß Ihr es mehret im wahreu Sinne, denn 
es wird von Euch gefordert werden.“ 
Er wollte noch Mehr sagen, aber da hob die Uhr aus 
zum Schlage, und der Kuͤster griff erwachend zu seinen 
Schlüsseln. -— Der gute Pfarrer lächelte, als er sah, 
wie nun, nachdem geöffnet worden war, Alle sich hinaus— 
drängten zur Kirche, die Mädchen mit Gekicher und die 
Znaben mit freundschaftlichen Ellenbogenstößen. Nur der 
nabe, welchen der Pfarrer „Gottlieb“ genannt, blieb noch 
eine Weile stehen und drehte seine Kappe in den Händen, 
Jleichsam, als wolle er noch Etwas fragen und getraue sich 
zicht recht. Des Pfarrers milder Blick fiel auf ihn, aber 
ehe der Knabe noch den Muth zur Anrede gefunden, hatte 
tn schon ein Kamerad am Aermel gezupft: „jetzt mach!, 
Vottlieb, daß wir fortkommen, die Andern sind fast alle 
draußen —.“ Da ging er mit, und sie zogen hinaus, grup⸗ 
penweise, wie sie sich gerade zusammenschickten. 
Der alte Pfarrer sah ihnen nach, wie sie die sonnige 
Dorfstraße hinauf eilten, jung und fröhlich, Jedes mit sei— 
nem Pfunde begabt, und er dachte, wie viele von ihnen es 
wohl nützen möchten, ob ihrer viele als treue Haushalter 
möchten erfunden werden. — Ach! Er hatte schon so lange 
zelebt, hatte schon so manch ein jung Geschlecht eingesegnet 
und vermahnt, hatte für Viele Hoffnungen gehegt, und 
Wenige, gar Wenige hatten sie erfüllt. Nicht zu Vielen 
hätte der Herr sagen dürfen: „oh Du guter und getreuer 
Knecht!“ — Und dem alten Maune kam es zu Sinne, ob 
er es denn gewesen, ob das Pfund, das ihm war anver— 
traut worden, Zinsen getragen habe, ob er das Lob ver— 
diene, über das Wenige getreu gewesen zu sein. Er wollte 
fast kleinmüthig werden, denn als er vor Jahren jung hie— 
her gekommen und eine rohe, verwilderte Gemeinde getrof— 
fen, da war er voll frischen Muths an sein Tagewerk ge— 
jangen und hatte gemeint, Viel ausrichten zu können, Viel 
inders und besser zu machen. Wohl war sein jahrelanges 
Muühen nicht umsonst gewesen und er durfte sich selbst das 
Zeugniß geben, nicht lässig gewesen zu sein, aber was war
	        
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