Full text: Der Bergmannsfreund (0.1870)

Der gespenstige Stollen. 
Aus den „Dorfgeschichten“ von W. O. von Horn. ) 
. 
Wer an einem Sonntagabend in milder Jahrgszeit in ein 
Dorf auf dem Hunsrücken tritt, der findet überall vor den Thü— 
ren die Nachbarn beisammen sitzen und traulich plaudern vom 
Stande der Früchte, des Flachses, von Krieg und Frieden, von 
Diesem und Jenem. Das nennt der biedere Hunsrücker „Maien“. 
So maien die Alten bei einander, etwa hier, und die Jüngern 
dort; streng aber scheiden sich Verheirathete und Unverheirathete. 
Im Kreise des jungen Volks erschallt wohl ein heiteres Lied, 
ein sogenanntes Schelmenlied. Kommt die Jahrszeit, wo der 
Wind über die Stoppeln weht, dann wird in der Stube ge— 
maiet. Die zusammensitzende Gesellschaft heißt „die Maie“. 
In solch' eine Maie führe ich jetzt meine freundlichen Leserinnen. 
Die Maie ist klein. Es sind nur drei Personen und drei Män— 
ner, die, weil der Mond im ersten Vieriel steht, und ein mat⸗ 
les Licht durch die graue Wolkenschichte, die den Himmel deckt, 
hindurchdringt, im Dunkeln ihr Pfeifchen Rollenknaster mit ein— 
ander schmauchen, der freilich nicht sehr lieblich duftet. 
Draußen deckt ein Herbslnebel die Gegend, und er legt sich 
mit jeder Minute tiefer herab auf Wald, Flur und die Wohn— 
stätten der Menschen mit ihren schweren Strohdächern. Sehen 
wir uns die drei Männer einmal genauer au. 
In einem hölzernen Lehnstuhl mit strohgeflochtenem Sitze 
neben dem Ofen ruht eine Gestalt von kräftigem Bau. Es ist 
der alte Steiger Leopold, der einst einem Werke vorstand, das 
längst als unergiebig einging. Er ist der Herr des Hauses, 
ein Wittwer, dessen einziges Kind, die lieblich? Ottilie, hier zu 
Land Util gesprochen, der ihrem Gespielen ist. Leopold trägt 
Schuhe mit silbernen Schnallen, weiße Wollstrümpfe, kurze, blau⸗— 
grüne Manchester-Hosen, eine dunkle Tuchweste und ein Wamms 
von schneeweißec Wolle gestrickt, eine Arbeit seiner getreuen 
Hausfrau, die Gott zu frühe für Leopold abgerufen. Seine 
silberweißen Haare deckt das grünsammine Müßchen mit dem 
Pelze des Buchmarders verbrämt, dem er selbst das Lebenslicht⸗ 
lein ausgeblasen, denn er ist selbst jenseit seiner Siebzig noch ein 
wackerer Nimrod vor dem Herrn, und wer ihn ansieht, kann 
ihn kaum für einen starken Fünfziger halten. Man sieht den 
raschen Bewegungen des Mannes, dem lebhaft blitzenden Auge 
an, daß er kurz angebunden, an rasches Handeln gewöhnt ist 
und sein Jähzorn leicht aufflammt; aber dabei liegt doch in 
dem Gesichle des Mannes, bei allen Kennzeichen scharfen Ver— 
standes, auch gar viel Gutmüthigkeit. 
Auf der Bank, welche zur Seite des viereckigen großen 
Plattenofens, über dem das Reck angebracht ist, eine gar ge— 
müthliche Ofenecke bildet, sitzt des Steigers Gevattermann und 
Nachbar, der Leinenweber Lehnert, auch ein Greis, der die Sech— 
zig auf dem Rücken hat, eine ruhige, gutmüthige, etwas dreh⸗ 
bändelige (so sagt der Hunsrücker, wenn er eine phlegmatische 
Natur bezeichnen will) Menschenseele, aber ehrlich und ireu, wie 
Einer. Seine Kleidung ist der des Steigers ähnlich; nur sind 
die Schuhschnallen von Messing, die Hosen von Hirschleder, das 
Kamisol von dunkelblauem Tuche. Neben diesem sitzt der Wag⸗ 
ner Stumpf, Lehnert's Schwiegersohn. Er ist jung, trägt lange, 
blaue Tuchhosen, die über die Flehmstiefel reichen, eine rothe 
Tuchweste, ein kurzes blaues Wamms und eine roth und weiß 
gestreifte, gewobene Beutelmütze mit dickem Klunker dran, der 
mäjestätisch zur Seite herab hängt, fast am linken Ohre. 
Die Unterhaltung ist lebhaft, sie behandelt einen Gegen— 
stand, welcher das ganze Dorf in diesen Tagen bewegt und die 
Furcht vor den nahenden Franzosen, den Bringern der Freiheit 
Mit besonderer Erlaubniß des Verlegers. 
nnd Gleichheik, etfdas in den Hintergrund gedrängt hat. Lau— 
schen wir ihrer Nede. 
„Bei meiner Seele! Cumpeer (Gevatter, Compére) Steiger,“ 
sagte Lehnert, den des Steigers Einwand aus seiner Ruhe ge— 
bracht, „ich hab's mit meinen leiblichen Augen gesehen, und 
meine Augen sind noch so gut, daß ich das feinste Gebildmuster. 
das ich webe, ohne Brille sehe.“ 
„Ach was,“ sprach der Steiger heftig. „Du kamst von 
Simmern und hattest einen Schoppen Moseler oder Rheiner ge— 
trunken. Da sehen die Leute überalb Gespenster, und wenn man's 
in der Nähe betrachtet, ist's ein alter, fauler Baum.“, 
„Ei, da soll mich doch gleich der“ — rief Lehnert, — 
aber der Steiger fiel ihm in's Wort und sagte scharf verweisend: 
„Nicht gleich sich verheißen, Cumpeer Lehnert! Ist's wahr, so 
ist's nicht nöthig; istis nicht wahr, so wird's dadurch nicht wahr. 
Sprtich ruhig und erzähle Deine Geschichte.“ 
„Ei, was;“ sagte Lehnert ärgerlich. „Ihr seid ein Frei⸗ 
geist. Ihr glaubt einem so etwas nicht.“ 
„Ich glaube Alles, was wahr ist, Lehnert, erzähl' nur 
'mal!“ sagte ruhiger der Steiger. 
„Nun, Schwieger,“ sprach Stumpf, „so erzählt's denn doch 
einmal ordentlich; daß man daraus klug werden kann.“ 
Nach einer kleinen Pause, in der er seine aufquellende Pfeife 
niederdrückte, hob endlich Lehnert an: 
Ihr wißt alle Beide, daß, wemn die Menschen ein Berg— 
werl aufgeben, der Teufel sogleich sein Revier drin hat, sammt 
seinem Anhang. — So ist's auch mit dem Stollen, den Ihr 
vor fünfzig Jahren eingetrieben und seitdem habt liegen lassen. 
Wißt Ihr die Geschichte von der alten Bille, die bei des Kas— 
pars Vater gedient hat 7 Der Steiger schwieg; aber über sein 
Gesicht flog eine finster Wolke bei dem Romen Kaspar's. 
Stumpf sagte aber neugierig: „Nein!“ — Nun,“ fuhr Leh—⸗ 
nert fort, „etwa fünf Jahre nach dem Eingehen des Bergwer— 
kes, da lebte der alte Fried noch, des Kaspar's Vater. Der 
war ein Wittmann (Wittwer) und die alte Bille, die immer so 
rothe Augen hatte wie eine Erzherxe, hielt ihm und seinem 
Sohne, dem Kaspar, Haus. Der Fried war ein Mittelschlag 
von Bauer, hatte ein kleines Haus und fuhr mit zwei Kühen 
im Acker. 
„Einmal, es war im Advent, hatte der Fried sich des 
Hannes⸗Peters Buben zum Dreschen auf Wiederhelfen bestellt, 
und es war damals Neumond und so dunkel Nachts, daß man 
keine Hand vor den Augen sah; da krähte der Fried's Hahn 
und die Bille, die alte Hexe, wird wach und denkt, es ist drei 
Uhr und die Drescher kommen bald. Sie denkt aber nicht dran, 
daß ihr neuer Hahn ein Wetterhahn ist, der kräht, wenn's an⸗ 
deres Wetter gibt, steht auf, zieht ihr Röcklein und Kittel an, 
und guckt zum Fenster hinaus, ob nicht Euer Schwieger hier im 
Hause schon Licht habe, daß sie das ihre anzünden könnte; aber 
alles ist stichedunkel und mäuschenstille, als wäre das ganze 
Dorf mausetodt. Da sieht sie im Slollen Licht. Das sind die 
Kesselflicker von Gontershausen, sagt sie zu sich, die hab' ich ge— 
stern ins Dorf kommen sehen, die schon an der Arbeit sind. 
Das sind manierliche Leute. Du gehst hin und sagst: Guten 
Morgen, und nimmst Dir ein paar Kohlen!“ 
Gedacht, gethan! Meine alte Bille nimmt ihr Lanternchen 
Caternchen) und wackelt mit einem Tödchen die Hadde hinau 
in den Stollen. Da sitzen zwei himmellange, schwarze Kerle 
bei dem blutrolhen Kohlenfeuer und ein grausam großer, schwar⸗ 
zer Pudelhund liegt dabei und knurrt und brummt. 
„Kusch, kusch! Sultanchen,“ sagt die Bille, und bietet den 
Männern den guten Morgen. „So fleißig schon so frühe?“ 
sagt sie und bitlet um ein Köhlchen. „Nimm Dir Deinen 
Tovpf voll.“ sagt der Eine. und die Milssle sseckt ihr Vanterchen
	        
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