Full text: Nach der Schicht (48)

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„Zwei rote Tupfen, eın schwarzer 
Tupfen und ein weißes Pünktchen 
auf einer grünen Wiese, was ist das, 
Bawettchen?”" Traut Hallbach stützte 
sich auf ihre Hände und schaute deı 
kleinen Bawett von unten herauf la- 
chend in die Augen. „Denk mal gut 
nach, Bawettchen! Schau dich ma: 
um, Bawettchen! Dann siehst du es.‘ 
Die beiden Mädchen saßen in 
einem Quertal der Leuk auf der 
Waldwiese unter dem Felsen und 
scnauten über das grüne Land. Die 
Herbstsonne hüllte den schwarzer 
und den blonden Kopf ın ihren gol- 
denen Strahlenmantel, sie spielte mıl 
den blonden Strähnen und mit der 
dunkelseidigen Locken, die sich hier 
und dort unter den weißen Kopf- 
tüuchern hervorgestohlen hatten. Das 
Strickzeug, mit dem beide bisher 6c 
eifrig geklappert hatten, lag im Gras 
Bawettchen mußte jetzt so viel nach- 
denken über das Rätsel. und Traui 
mochte ihr mit der ganzen Kraft 
ihrer klugen und strahlenden Augen 
dıe Lösung in die Seeıe und auf die 
Lippen legen. Doch Bawetts Gesicht 
nlieb dunkel, wie der Geist dieses 
zleinen, neunjährigen Mädchens. Die 
Acuglein irrten hilfioe umher, danr 
schuttelte es den Kopf: „Weiß net‘ 
Turmelte es, und dann hob es die 
Stricknadeln vom Boden auf. 
Das war nun Bawetts erste Kunst 
und Traut hatte sie ihr beigebracht 
dus Stricken von rechten Maschen 
Einen ganzen Sommer lang hatte die 
Sechzehnjährige die kleine Nach- 
barın mit auf die Weide genommen 
natte die ungeschickten Hände zwi: 
schen den ihren gehalten und ohn« 
Verdruß die vier kleinen Komman-:- 
ins gegeben: Einstecken, Umschlä- 
yon, Durchziehen, Abheben! Immer 
weder mußte aufgezogen, neu ange- 
fangen werden, gerutschte Maschen 
Wurden sorgsam aus dem Keiler ans 
Licht gehoben. um dann gleich wie- 
der in der Unterwelt zu verschwin- 
da. Bawett war trage, was sollte 
de Qualerei? Es ging ja nichts in 
ihren armen Kepf hinein, das Strik- 
ken nicht und das Lesen und Schrei- 
ben noch viel weniger. vom Rech- 
nen gar nicht zu reden. In der erster 
Zeit lief sie fort und versteckte sic] 
hinter den Holzsteß oder im trok- 
kennen Bachbett, wenn die Traut zum 
V ehaustreiben rief. Lichber Zing Sie 
e ne ganze Hoette vol] krauten für d.e 
Geß oder Achren rsafıen oder mit 
der Stuanze Acpfel glennen”. 
Aber die Traut hei nicht locker 
„Du mußt etwas lernen, Bawett- 
chen“, sagte sie, „ich lasse dir keine 
Ruhe. Du mußt dich }a schumen 
wenn du gar nichts kannst. Alice 
I» ate Lachen dich aus, und kein 
Mensch will etwas von dır wissen 
J der sagst dann: Ach die Bawelti 
Pe ist dumm und faul S:e kann nur 
Proet essen, sonst nichte Aber wenn 
dd stricken kannst Strumpfe. We- 
sin. Unterröcke, dunn kammt die 
Ami Gret und sazt: Bawettchen 
su /t se, du kannst doch sooo schöne 
S ıhen stricken, strick mir doch mal 
eine Weste, eine hımmelblieie mit 
sühernen Knupfen Ich geb dir auch 
einen Taler dafur Der Bartels On- 
hei bestellt sıch en Paar Socken, das 
Seine Resichen ein-n roten Schal mit 
geidenen Fransen Und du. Biuweit- 
chen, stiickst den Leuten alıes, Was 
sie haben wollen Dann sind se so 
fCh on VI r ia Ai res sm 
‚ach der Schichv 
3anzen Sack voll Geld. Dann ist 
jeine Mutter aber stolz auf dich.“ 
So redete die Traut, wenn sie die 
zleine Widerspenstige an der Hand 
führte, nein, mehr zerrte und zog als 
"ührte. Im Anfang wenigstens. So- 
jald die Bawett nach einem langen 
ınendlich geduldigen Unterricht 
>ndlich ganz allein eine Masche zu: 
vege gebracht hatte, da wuchs ihı 
Zelbstbewußtsein ins Ungemessene 
Jnd jetzt strickte sie einen Wasch- 
appen. Es war sogar schon nich‘ 
nehr nötig, daß das ganze Gesich!' 
nitstrickte, bei „Eins“ Stirnrunzeln 
jei „Zwei“ Zunge heraus, bei „Drei‘ 
Zunge herein, bei „Vier“ Backer 
ıufblasen, nein, nur die Zungenspitze 
jewegte sich kaum sichtbar und wie 
riumphierend zwischen den Lippen 
So auch jetzt, nachdem sich die 
Stirn wieder ohne Denkrunzeln vom 
/ergeblichen Rätsellösen über den 
jeckigen Lappen beugte. Aber die 
Praut war eine Zähe. „Zwei rote 
Tupfen, ein schwarzer Tupfen und 
>in weißes Pünktchen auf der grü- 
ıen Wiese, was ist das, Bawett‘ 
oorschte sie, und gleichzeitig hob sie 
ijen Kopf, um die leibhaftige Lösung, 
ıämlich die zwei roten Kuühe, das 
‚schwarze Rind und die weiße Ziege 
ıuf der grünen Weide zu sehen. Ach 
la fehlte ja ein Tupfen! Der 
schwarze war weg. Lotichen, das 
eichtsinnige Rind. war wieder ein 
nal seine eigenen Wege gegangen 
Und wie die Traut unter vorgehal- 
‚ener Hand ringsum spähte. rief Ba- 
vett in ihrer noch immer kindlich 
ınfertigen Sprache: Oben auf Fel- 
:en is Lott! 
„Dann bleib du schön hier sitzen“ 
‚ugte die Große, „ich mul sie ganz 
‚orsichtig heruntertreiben. Wenn sie 
erschrickt. epringt sie ab und bricht 
noch den Hals. Damit eilte Trau! 
auch schon um die Biegung, um de, 
Z01t von einer andern Seite her der 
Weg zur Felsspitze abzuschne:ider 
ind sie den weniger steilen Wald- 
ang herunter zu treiben. Von hier 
us konnte man den Lauf des Fluß- 
’nens eine Strecke weit übersehen 
lerseits kletterte der bunte Herbst- 
Wald die Berge hinauf. Über seiner 
aipfein ruhte der Horizont. er wa: 
JEUtE ein wen geirubt von den auf- 
steigenden Nedelin und dem Rauch 
der Karteffeifeuer, dıe auf den Ack- 
<ern brannten. 
Vier Festxleider hat der Wald, das 
draächtigste trägt er im Herbst. Ein 
schiliernder Farbenrausch im m'lder 
Licht der mude gewordenen Senne 
st dieses Gewand. Fıne Maskernade 
var dem Sterben. denken die vor 
Lehen Ernttauschten. wenn ihre Au- 
sen über die bunte Herbstlichkeit 
zleiten. 
Traut Hallbach war froh und un- 
jeschwert, ihr Blick umfaßte mit 
Zntzücken das farbenfrohe Bild und 
lieb dann auf dem buntbewegten 
Leben zu Füßen der bewaldeten Hö- 
nen haften. Unten, an den Leukwie- 
zen, tummelte sich eine ganze Schaı 
(ustiger Viehhirten. Traut sah, wie 
sie sich an den Händen faßten und 
ıber das halb ausgetrocknete Bach: 
Jett sprangen, Plötzlich gab es einer 
Streit, die Buben liefen den Müäd- 
zhen mit geschwungenen Peitscher 
aach, Doch diese brachten sich bei 
len Kartoffelausmachern auf einerr 
nahen Feld in Sieherheit, Von die- 
ser Freistatt aus sangen sie mit hel- 
em Hohn die alten Neckverse zu 
hren Gegnern hinüber: 
Sieh die Küh’ im grünen Klee! 
Wer hüt’sie denn?, cin alter Mann 
Was kriegt er denn?, ’ne Leinenhos 
Die Jungen. die sind garnichtsnutz 
Die Mädchen kriegen die Eier 
geback, 
Die Jungen kriegen die Schalen. 
Die Mädchen liegen im Daunenbett 
Rund herum mit Rosenstock”. 
Die Jungen in der Stachelbeerheck‘ 
Rund herum mit Hüuhnerdreck. 
„Met Hihnerdreck, met Hihner- 
Ireck!“ spottete das Echo vor 
zchüsselfels, dessen Rucken das 
leichtfüßige Lottehen in einisen un- 
jewachten Minuten er<stiegen hatte 
Als Traut mit einer Weidlengerte 
in der Hand hactıg den waldbewäach- 
zsenen Berg hinaufstieg. da kam ih! 
an raschelndes Geruüusch entgegen 
Schau, es war der echwarze Ausrei 
Zer, „Du leichtsinniges Fraumensch“ 
vief sie atemlos, aber es blieb be 
dieser Anrede. denn hinter dem Rınc 
auchte die Gestalt eines Müunnc- 
auf, des Zigeunerbarons, wie dc 
cute ihn nannten. Er war eir 
schlanker, wa divibie uhrieee 
Mann, dankelnautı gg. Mit sCQ4ubZei 
Augen und brauner Hautfarbe, de 
als hochmutig und verschlivssen ver: 
schtien wär. Er wonnte mit seine: 
aiten Mutter. der Zigeunerbalonin 
n einem schlobahnlichen Hause am 
Zunde eines Plateaus, einige hunde 
Meicr uber Feisenmunl dem Hei 
natdorf der beiden Viehmirtinn nn 
Dort hatte Frau Düunnir. so hieß die 
Zigeunerbharanin in Wirklichkeit 
anen ausgedehnten Besitz, der aber 
such dem frühen Tode ihres Gatter 
mmer mehr verwilderte. Viele Mor- 
sen chemauls fruchtharen Ackerlam« 
des hazen brach dıe Obstbäume wa: 
ven uralt und zum Teil schon we: 
zen mangelnder Pflege verkummert 
Nur der Wald. aus nerrlichen 
Eichen-. Buchen- und Fıchtenbe- 
ständen bedeutete immer noch einer 
beachtlichen Reichtum. 
Traut hutte den Baron schon oft 
aus der Ferne gesehen, wenn er m: 
seinen Hunden und dem Gewehr ir 
Arm uber die Sturzäacker geschuitlin 
war oder auch hinter dem Pflug und 
neben dem Wagen, denn auf der 
Hof war nur ein alter Knecht, und 
wenn die Arbeit drüngte, etliche 
Tagelehner, 
Sie erschrak, uls der duste1e Her. 
so unvermutlet hınter den schwur 
zen Rind auftäuchte, ..Das leicht: 
sinnige Fraumensch, dus nicht au 
wine Kühe aufpaßt, bist wohl du“ 
.ae%a Acır Macs bhsziecech Pr war 1et7' 
“OPFSCHMFT 
„ ww 
Erkaitungsrustände, Zahn. 
schmerz, Schlaflosigkeit, Rheuma, 
Schmerzen, Periodcabeschwerden 
WEIGEN Au!) 
m 
(HAFFLIKE HOLLN 
% ar u u 
prompt behoben 
Kalf-lıneg = HOLL + schul! gegen 
Schnupfen, Nerven, cht C'1eh ug 
GrunLe, — In alien Apz't Fcaen 
— A-bten Sie a! die yeselrzlich 
geschulzte Mala ce Kalt. lıne 
af 1x {V. 2419. P. 12002 
Nummer 
VON MARI 
— A, 
m 
y > 
A 
X 
aus den niederhängenden Aestei 
herausgetreten und warf einen miß- 
billigenden Blick auf das Mädchen 
Doch kaum hatte er es ins Auge ge- 
faßt, die hohe, noch kindliche Ge 
stalt. die großen erschreckten Auger 
im erhitzten Gesicht, die vom eili- 
gen Lauf zerzausten schwarzen Lok: 
ken, da verwandelten sich seine 
streng-gleichgültigen Züge. Er bliet 
stehen und starrte das Mädchen ir 
ungläubigem Staunen an. 
..Jeanette“. rief er fragend. .Jea 
nette, bist du es denn wirklich?“ 
„Ich heiße Traut, und mein Vater 
st der Rüädermacher Hallhach ir 
Felsenmühl‘, sagte die Hirtin ver. 
wirrt. „Ach so“, entzegne«te der 
Mann, .ich dichte — na, du has! 
mich an eine Bekannte erinnert‘ 
zetzte er kühl hinzv. „Es ist dun: 
kel hier im Gebüsch.‘ 
Damit drehte er sich um und ginz 
mit lanzen Schritten nach der ent- 
zegeng« setzten Richtung Auch Traui 
wandte sich und glitt uber den glat- 
ten, abschüssigen Waldhang. Als sie 
sich einmal umschaute, glaubte Sie 
am Rande des Gehölzes, an eineı 
Stumm gelehnt. den Ba:ıon zu seher 
me 
-i6se]} 
Saarbrücken, 
Dudweilersir 49a 
wie er ihr nachstarrte. Aber s“” 
konnte sich auch getäuscht haben. 
Am Abend erzählte Traut ihr klei- 
nes Erlebnis daheim und fügte hin- 
zu: „An was für eine Jeanette mag 
er wehl gedacht haben? Den Namer 
gibt es 1@ hier in deı Gegend gar 
Nicht.“ Matthias, ibr jüngerer Bru- 
der, zwinkerie mif seinen lustigen 
Augen und sagte: „Vielleicht an dd 
Jungfrau von Orluans, Sie War doc} 
eine Hırtın, und wr oiet ein Franzost 
Und wie du mis der Rut- neben del 
Lett etaznriest, er ist 2a imwper am 
Traumen, der Z.geunerbaren.“ 
Was naben wir doch lur einen SC 
scheiten Matti, spotterte dir Mutter 
Es wuide noch eine Weile uber de! 
Vorfall hın und heigeredet. und 
dann würde er Vergessc3h 
Erst Zwei Jahie spater Lam er di 
Traut wieder ins Bewuhtscin. Di‘ 
war. yis die Frau Danni- chen ar 
pH Burg Cine Divostrminen suchte 
Bei HaliLuchs Wur Jetzt die dritt! 
Tochter aus der Schule gekommen 
and die Mutter meinte, sie konnt 
zwei enzbehren, Die zwu0.1€ War Kın 
dermauadehen im Luhrzerhause, UN 
Traut selite irkendwohln in Stelhum 
gehen. Das hatte sie gein getan 
wenn sie damit nicht ıhr gelichte 
Heimuttal, das so warm und so gr? 
AWwischen den bewaldeten hohen Ber 
gen eingebettet lag. halte verlasse) 
mussun. Sie hielt es nun einmaä 
Nicht aus in der Walt vor Lwuter Ver 
landen Einmal wall sie am Rhbei 
be: entfernten Verwundten fe wese! 
vier Wochen soli!te der Auf-nthäl 
davern, mit einem Korb voll Kle:de 
und Wausche war sie abge: ückt, übe 
nach drei Tagen stand mie schen wie 
der ın der kieimen Stube in Folsen 
mun! Sie hatte es einfach nıcht ar 
gehalten, 
Die Kleinen Leute des Borfes 
der Umechung brauchten 
Diese ty Acc kom und oancderı 
MW dd)
	        
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