Full text: Nach der Schicht (24)

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vollwertige Arbeit leisten. Die meisten von 
hnen erreichen das, ja viele mehr, wenn die 
schlummernden Fähigkeiten geweckt sind. Sie 
schafsen Qualitätsarbeit, d. h. Besonderes und 
Schönes, das die Menschen erfreut. Aber ein 
Bitteres bleibt ihnen im Leben, will immer 
wieder von neuem ihre Daseinsfreude, ihre 
Schaffenskraft hemmen. Die Welt verwirft ja 
gedankenlos und grausam den Mißg stalteten, 
den Krüppel. Und doch sollten es sich alle tief 
ins Herz schreiben, daß im mißzestate!en Kör— 
per eine wertvolle, eine gar schöne, tiefe, ja 
oftmals reicher angelegte Menschenseele wohnt 
als im gesunden Menschen. Sie harrt nur 
der Hebung, kann durch Unterdrückung nicht 
gedeihen. Wenn sie sich dann argwöhnisch, 
mißtrauisch verschließt, so ist es meistens 
nur das Werk unkedachter, unb:herrschter 
Mitmenschen. Wohl ist es verständlich, daß 
der ästheische Sian des gesunden Menschen 
vor der haͤßlichen Hülle zurückschreckt; be— 
denken wir aber, daß sie eine wertvolle 
Seele, eine schlummernde Schasfenskraft 
birgt, so müssen wie sie achten, lieben, pfle— 
gen und heben lernen. Heilandslohn ist 
allen denen versprochen, die zur Hilfe der 
Armen sich bereit finden: „Das habt Ihr 
mir getan“. So kann gewiß ein Jeder dazu 
beitragen, dieses Unrccht der öffentlichen 
Meinung an diesen armen Zurückgesetzten 
nach Kräften wieder gutzumachen, vor allem 
durch liebevolle Aufklärung der Jugend, 
und, wenn es einmal sein muß, durch 
strenges Verbot. Ein Jeder wird wissen, 
auch den Erwach'enen, die oftmals unbe— 
dacht dieses Wort falsch benutzen, in Liebe 
überzeucend entgegenzutreten. Alle werden 
darin still ein großes Caritaswerk fördern, 
das tausend und tausend durch die Härte 
der Umwelt verkümmerte arme Menschen⸗— 
seelen einem froheren besseren Dasein zu— 
rückc ibt, das ihnen durch Hebung des Selbst⸗ 
bewußtseins Freude am Leben, Freude zur 
Arbeit wiedergibt. Bemühen wir uns, zu 
sehen, zu lernen, wie sie in Hingabe und 
Geduld ihr schweres Los, ihr großes Leid 
tracen und bringen wir ihnen, wenn sie 
verbittert sind durch Menschenworte und 
Menschentum, Freude und Liebe, suchtn wir 
sie von ihrem Wert zu überzeugen, geben 
wir sie dem Leben wieder. Kein dankbarerer 
Blick aus Menschenaugen mag es reicher 
lohnen. „Sesig sind die Barmherzigen, denn 
sie werden Barmherziakeit erlangen“. 
22060 
Der Kampf 
mit der Brandung. 
Won O. Boliahn. 
J Nachdeuck verboten. 
—S Hafen von San Franzisko (Kali— 
I fornien) lag ein stolzer Fänfmaster, der 
58 den Namen des bekannten großen See— 
S vogcels „Albatroß“ führte, zur Aofahrt 
mit einer Ladung Stückgüter nach Car— 
diff an der Westküste Englands bercit. Es 
war ein schönes, fast noch neues, aus bestem 
Stahl erbautes Schiff, auf das Kapitän und 
Mannschaft wohl stolz sein konnten, und dem 
sie sich mit autem Gewissen anvertrauen durften. 
„Nach der Schicht“ 
Die aus 43 deutschen Seeleuten zusammenge— 
etzte Mannschaft bestand meistenteils aus 
ilteren, erfahrenen Matrosen, denen man es 
uuf den ersten Blick ansayh, daz sie schon so 
nanchen Sturm erlebt, manche Gefahr seegrcich 
»ekämpft haben mochten. Auch der Kapitän 
var ein tapferer, zielbewußter, rujiger Mann 
Auffallend war aber der Augenausdruck des 
Steuermannes, der etwa 36 Jahre zählen mochte 
ind eher etwas fein als stark gebaut war. 
Wohl hatte sein ganzes Wesen überhaupt etwas 
Sympatl isches an sich; aber aus seinen Augen 
trahlte eine solche Fülle von Freund.ichkeit und 
Herzensgçüte, daß man sich unwi lkürlich fragen 
mußte. wie diese RNugen, oder ihr Ausdruck 
Moderne Kirchen-Architektur. Ein Prachtwerk mo— 
derner Kirchen-Baukunst ist kürzlich in Kopenhagen 
ertiggestellt worden, wo diese Kirche am 11. De— 
zember v. Is. feierlich eingeweiht wurde. Man 
hat der Vorderfront der Kirche die Form einer 
riesigen Orgel gegeben. 
dielmehr, wohl in das Gesicht eines rauhen 
und durch Sturm und Wogenbraus oft hart 
geworderen Seemannes kamen. 
Es war daqher wohl begreiflich, daß ihn 
nicht allein sein Kapitän, sondern auch die 
gesamte Mannschaft liebte, trotzdem er strenge 
Manneszucht, geraart mit Geduld und Nach— 
icht für diese oder jene besondere Schwäche 
)es Einzelnen an Bord aufrechterhielt. Die 
diebe der Schiffsbesatzung zeigte sich denn auch 
im Tage der Abreise, der auch zufällig der 
Helburtstag des Steuermannes war, dadurch, 
»aß sie mit der Erlaubnis des Kapetäns in 
iller Frühe heimlich das Schiff bis über die 
Topren mit Flaegen ge'chmückt hatten, so daß 
s bei der Ausfahrt einen herrlichen Anblick 
»ot. Der Lohn blieb auch nicht aus, denn 
ꝛer Kapi'än stiftete für den Adend eine steife 
Srogbowle, die bei dem wunderschönen Wetter 
zemeinschafilich auf denm Kapiäns- oder Quar— 
Heft 3 1928 
erdeck abends in vollster Harmonie geleert 
vurde. 
Keiner von ihnen, der jetzt noch fröhliche, 
deutsche Volksweisen mitsang, ahnte, was sie 
noch in wenigen Wochen schon ihrem Steuer⸗ 
mann zu danken haben würden. Keiner ahnte, 
wie furchtbar Schweres ihnen bevorstand. — 
Schon am vierten Tage, nachdem der Al— 
natroß den Hafen verlassen hatte, setzte ein 
chwerer, sich allmählich bis zum fliegenden 
Drkan entfaltender Sturm ein, der drei Tage 
und Nächte hindurch tobte und viele Ver— 
vüstuncen auf Deck anrichtete. Unter manchen 
onstigen Beschädigungen zer!rümmerte auch eine 
einzige Sturzser die drei größten Schiffszboote 
so daß nur noch das kleine Kapitänsboot, 
die Gig, übrig blieb. Deeses erfüllte alle 
mit um so größerer Besorgnis, als von 
nun an der Albatroß fortwährend mit 
schwerem und widrigem Wetter zu kämpfen 
hatte. Durch die vielen gefahrrollen Ar— 
beilen und Segelmanöver, die die gesamte 
Mannschaft wochenlang mit nur kurzen 
Schlafpausen, Tag und Nacht auf den Bei— 
nen hielt, kam dieselbe allmählich sehr von 
Kräften. Dennoch blieb die B.satzung bei 
culem Mut, denn Kapitän und Steuermann 
sparten keineswegs mit Anerkennung und 
allerlei Vergünstigungen hinsichtlich der Ver— 
pflegung. 
War der Kapitän an Deck und ließ die 
ceramte Mannschaft „purren“ oder herauf 
rusen, um ein größeres, gefahrvolles Segel— 
manörer zu machen, so war jedesmal der 
S!euermann der erste, der an Deck kam. — 
Wer hätte da wohl noch zaghaft sein kön— 
nen, wenn sein Steuermann, ja, sein Steuer 
mann, der Weib und Kind daheim hatte 
boranging! 
Unler schweren Schnee- und Hagelstürmen 
näherte man sich endlich nach sechzehn— 
vöchicger Reise der Küste Englands. Es 
var eine außerordentlich lange Reise, denn 
chon zweimal vorher war dieselbe in sechs 
»ezw. acht Wochen zurückgelegt worden 
And nun sechzehn lange, die Kräfte aufs 
iußerste aufrcidende Wochen. — — 
Dennoch wehrten sich Schiff und Mann— 
chaft tapfer gegen die oft turmhohe See 
Je mehr sie sich nun aber der englischen 
Küste näherten, um so mehr hatten sie nun 
auch mit ungemein dichtem Nebel zu 
zämpfen, was den Kapilän und Steuermann 
nit ganz besonderer Sorge erfüllte, da es tage— 
ang ganz unmöglich war, den Standpunkt 
des Schiffes festzustellen. 
So war wieder eine Racht herangekommen. 
ind alle dachten sie wohl an die liebe, teure 
eutsche Heimat, in der sie längst hätten sein 
zönnen, wenn die Reise in sechs bis acht 
Wochen, wie sonst, gemacht worden wäre. 
Nun standen sie durchnäßt und frierend auf 
ꝛem Schiff in tiefer Sturm- und Rebelnacht. 
Unçewöhn!ich hoch ging die See und stürzte 
zielfach wild über das Vorderschiff hin, es 
janz unter sich bezrabend. Doch das tat nichts, 
nenn der Albatroß machte seinem Namen alle 
Ehre, schüttelte das Wasser immer wieder von 
ich ab und erhob stolz und kühn stets wieder 
ein Haupt. Aber eine andere große Gefahr 
war inzwischen einge reten, nämlich man hörte 
zlar und deutlich das Brausen der nahen Bran—
	        
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