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Arbeitskästchen und einige Bücher — sonst
nichts.“
„Nimm dein Arbeitskästchen und deine
Bücher, wenn sie dir teuer sind,“ sagte Sir
Sylvan gutmütig; „das andere laß hier. Du
wirst die Kleider, die du hier getragen hast, in
London nicht brauchen.“
Er hatte sich bereits daran gewöhnt, in
zärtlicher Weise zu dem Mädchen zu sprechen.
Es war ihm, als habe er sie nicht erst vor
kaum einer Stunde kennen gelernt, sondern
schon seit langen Jahren gekannt.
Alice war ergriffen von dem herzlichen Ton
seiner Worte und von seinem liebevollen, ein⸗
nehmenden Wesen. Ihre Augen waren
feucht. als sie dieselben bittend zu ihm
aufschlug, indem sie sagte:
„Es wöre mir lieb, wenn Sie mir
erlauben wollten, den Koffer mitzuneh⸗
men, wie er ist.“
Sir Sylvan läüchelte.
„Ist sein Inhalt denn so wertvoll?“
fragt er.
„Er wird mich stets an die alten Zeiten
erinnern.“
„Und war diese Zeit so schön, daß du
wünschest, an sie ermnert zu werden?“
zraate er, indem er sie freundlich forschen?
ansah. „Doch komm, mein Kind, wir
wollen die Zeit nicht mit unnützen Wor⸗
ten vergeuden. Du sollst deinen Koffer
samt seinem Inhalt behalten, und wenn
ich ihn selbst tragen sollte; aber das wird
nicht nötig sein, denn wir werden wohl
einen Wagen bekommen.“
„Das wird schwer halten,“ entgegnete
Alice. „Ich weiß im ganzen Dorfe nie—
mand, der uns einen Wagen zur Ver—⸗
ügung stellen würde.“
„Dann müssen wir die eine Stunde
gehen,“ sagte Sir Sylvan; „und wenn
wir uns beeilen, können wir auch noch
zur rechten Zeit vor Abgang des Zuges
in Langford ankommen. Sieh, da ist ein
Bursche, der kann uns den Koffer tragen.“
Er rief dem Burschen, der auf dem
Felde beschäftigt war, zu sich und fragte
ihn, ob er den Koffer nach der Eisen⸗—
bahnstation bringen wolle. Anfangs
zeigte dieser wenig Neigung; als ihm
aber der Baron ein Geldstück reichte, das
mehr wert war, als er in einer Woche
verdienen konnte, fand er sich sofort
bereit, den Auftrag auszuführen.
„Bleib so lange bei dem Koffer, bis
wir kommen,“ sagte Syr Sylvan.
Der junge Mann nickte und machte sich mit
dem Gepäck sofort auf den Weg.
„Hast du von deiner Tante schon Abschied
genommen, Alice?“ fragte Sir Sylvan.
„Ja!“ antworte?e Ursulas trockene, hohle
Stimme an des Mädchens Stelle. „Alles, was
ich Ihnen, Lord Sylvan Temple, und ihr noch
zu sagen habe, ist: Leben Sie beide wohl, und
was sich auch ereignen mag, bedenken Sie,
daß ich Sie gewarnt habe!“ J
„Ich danke Ihnen, Miß Pitt! Und nun
leben Sie wohl!“ erwiderte Sir Sylvan und
machte eine höfliche Verbeugung, die von ihr
in etwas steifer Weise erwidert wurde. Dinn
nahm er Alices Arm, legte ihn in den sei—⸗
nigen und entfernte sich mit ihr; sie hatte fast
„Nach der Schicht“
nechanisch von ihrer Tante Abschied genommen.
‚Wie meine arme, liebe Alice unter dem
itrengen Regiment gelitten haben mag!“ dachte
er, als er fühlte, wie sich das Mädchen so
oertrauensvoll an ihn klammerte. „Ihr Geist
ist gewaltsam niedergedrückt, aber er wird sich
»ei dem anregenden Umgang mit gebildeten
deuten bald zur schönsten Blüte entwickeln
Und was Alice selbst betrifft, so sehe ich, wie
chön sie in ihrer einfachen ländlichen Tracht
st. und kann es mir lebhaft vorstellen, wie
dezaubernd sie in moderner städtischer Kleidung
sein wird. Ich bin fest davon überzeugt, sie
wird eine Zierde der Salons sein! Welch eine
Ein Schuhmachermeister baut eine Drahtseilbahn. In
Ebensee (Salzkammergut) wurde eine der kühnsten Draht—
seilbahnen eröffnet, die ein fast unerschlossenes Hoch—
plateau, das Höllengebirge, mit der Bahnstation Ebensee
bderbindet. Das Originellste an dieser Bahn aber ist, daß
ein biederer Schuhmachermeister Ippisch, der Schöpfer
dieser Bahn ist. Unser Bild zeigt die Endstation der
Ebenseer Hrahtseilbahn mit ihrem Schöpfer, dem Schuh—
machermeister Ippisch
wunderbare Veränderung doch diese beiden Tage
in meinem Leben gebracht haben! Gestern
morgen stand ich noch einsam und allein da
in der weiten Welt, ich kam mir inmitten
neines Reichtums arm und verlassen vor, die
zostspieligsten Vergnügungen schienen mir lang—
veilig — und heute! Heute dünke ich mich
o reich, heute bin ich so glücklich, fühle ich
nich wie neugeboren. Das Leben lacht mich
vieder an, die Welt scheint sich mir plötzich
n ein Paradies verwandelt zu haben. Ich
ühle mich so wohl und kräftig! Alle meine
zleinen Leiden sind wie durch einen Zauber—
chlag geschwunden; selbst dieser stundenlange
Marsch kommt mir wie ein Spaziergang vor!“
(Fortsetzung folgt.)
Heft 3192
Bilder aus
der Kirchengeschichte.
Fort etzung.
d 3. Die römischen Katakomben.
*0 8 war an einem Junitag des Jahres
— s 1578. da verbreitete sich in Rom die
* Nachricht von einer me kwürdigen Ent—
XRX deckung. Einige Arbeiter, die an der
—* Salarischen S.raße nach Porzellanerde
zruben, stießen auf unterirdische Mauerreste und
anden, daß tief in den Boden hinein sorg—
fältig ausgehauene Gänge führten, die mit einer
großen Zahl von griechischen und lateini—
schen Inschriften bedeckt waren. Man
forschte weiter. Und siehe da, von dem
einen Gang, den man bloßgelegt hatte,
zweigten noch rechts und links eine ganze
Menge von Seitengängen ab, die wie—
de um endlos sich fortsegten und schließ—
ich ein ganzes Netz von unte.irdischen
Hängen bildeten. Nicht selten führten
don diesen ersten Gängen Treppen in die
Tiefe. Und als man hinavbstieg, fand
man, daß unter dem ersten Stockwerkß
noch ein zweites, manchmal ein drittes.
oiertes und fünftes angelegt war.
Wer hat diese rie igen unterirdischen
Gänge und Gewölbe geschaffen? Wozu
dienten sie? — Eine Menge von Ge—
lehrten machte sich an die Arbeit und
drang — nicht seiten mit eigener Lebens—
gefahr — in die dunklen, wie ein Laby⸗
rinth durcheinanderlaufenden Gänge ein.
Zugleich forschten die Gelehrten in den
zeschicht ichen Büchern nach und steilten
daraus eine ganze Geschichte dieser unter⸗
erdischen Gänge zusammen. Und so wissen
wir es heute, daß diese unterirdischen
Hänge und Gewölbe die Katakomben
iind, in welchen die Christen in der
Zeit der großen Verfolgungen ihre Toten
negruben. Durchschnittlich eine halbe
5tunde von den Mauern Roms entfernt
iehen sich diese unterirdischen Begräbnis—
tätten in einem heiligen Kranz um die
ewige Stadt herum. Einige von diesen
Begräbnisstätten wurden schon zu Jeiten
der Apostel angelegt. Man kennt jetzt
in der Umgebung von Rom mehr als
50 verschiedene Katakomben, und wenn
man die Gänge alle aneinanderfügen
könnte, ergäbe sich ein Weg von 800
bis 1000 Kilometern.
Reiche Mitglieder der römischen Chri—
tengemeinde waren es, welche auf ihren Be—
itzungen außerhalb Roms die ersten Kata—
zomben anlegten. Von ihren Gründern haben
die meisten Katakomben ihre Namen bekommen.
. B. die der Prisci!la, Domitilla, des Präter⸗
atus. Der körnige Tuffstein, der in der Um—
jebung von Rom unter der Erde sich befindet,
ignete sich vorzüglich zur Anlage der Kata—
romben. Ausgeführt wurde die Anlage der
inte irdischen Gänge und Gräber von einer
dafür eigens geschaffenen Handwerkerzunft, den
Fossoren oder Totengräbern. Dieselben waren
ugleich auch die Wächter der Katakomben
ind hatten als solche besonders das Ein—
)ringen fremder Elemente zu verhindern. Da
)er Ankauf von Grundstücken und die Anlaade