Seite 216
„Nach der Schicht“
Heft 14/1928
—
„Schon gut, Frau Steen! Und: Kopf hoch!“
Da sagt sie es schüchtern, aber fest: „Und —
— frohe Ostern, Herr Doktor!“
Der Mann verzieht bitter die Lippen. Frohe
Ostern? Für ihn gibt es kein frohes Osterfest
— — nein — — ganz gewiß nicht!
Draußen ist fahle Abenddämmerung, als Dr.
Morwingen aus dem Hause teitt. Der Chauffeur
pringt vom Wagensitz. Da keucht einer heran.
„Herr Doktor — die Schwester sagt —“
„Peter, Du? Rasch! Neben den Führer!“
Das Auto patscht durch den Schmutz den
Weg zurück. Es fliegt dahin, fortgesetzt hupend,
daß die Leute entsetzt die Köpfe schütteln. Aber
s ist Or. Morwingen, als bewege es sich nicht
zom Platze. Sein Weib? Was ist mit ihm?
Hat er der alten Frau den Sohn gerettet, um
ein Weib zu verlieren? Herrgott, starb ihm
Inge, während er einen Anderen dem Tode
entriß? Da — —das Auto hielt. Or. Mor—
wingen riß den Schlag auf, ehe noch der
Fahrer seinen Sitz verlassen konnte. Die Haus—
für kreischt in den Angeln. Auf der obersten
Treppenstufe steht Schwester Magdalene.
„Herr Doktor — — Ihre Frau — —“
„Tot??“ keucht der Arzt.
Leise schüttelt die Pflegerin den Kopf.
„Nein! Ich schickte Ihnen den Jungen, damit
er Ihnen sagen sollte, es sei eine wesentliche
Besserung eingetreten! Hat der Benael denn
uichts bestellt?
Ungläubig starrte der Arzt die Schwester an.
„Ich .. ich ließ ihn gar nicht aussprechen
— —“ uUnd stürzt über den Flur zum Kran—
kenzimmer.
Nicht tot! Der plötzliche Umschwung von
riefster Qual zur unbeschre blichen Freude wirft
den starken Mann fast um. Behursam tritt
er ins Zimmer, an das Lager. Ein Blick ge⸗
aügt. Die Krisis ist überstanden. Auch sein
Weib wird wieder genesen.
Schwer stützt sich der Mann auf die Lehne
des Sessels am Bett. Mit feuchten Augen schaut
er auf die ruhig Schlunmernde herab. Sie
lächelt im Schlummer, als höre sie die Oster—
zlocken, die plötzlich machtvoll zu läuten be—
ginnen. Die Glocken läurn die Ostern ein!
Was hatte Frau Steen ihm gewünscht? „Und
frohe Ostern, Herr Doktor!“
Der Wolkenvorhang hat sich sacht hinweg—
geschoben. Zaghafies Rot glimmt hoffnungsfroh
am Himmel im Westen. Osterfeuer!
Die Drossel singt draußen in den Zweigen.
Nun weiß Dr. Morwingen, daß sie den Lenz
zündet und fröhliche Ostern
Schriftsteller
Eugen Buchholz.
dem lieben, verehrten ältesten Bruder zum treuen
Hedächtnis gewidmet von seinem jüngsten Bruder
Franz Buchholz, Studienrat i. Braunsberq.
Nm ungewöhnliches Dulderleben hat am
Freitag, den 17. Februar 1928 im
5 St. Elisabeth-Krankenhaus zu Wormditt
X seinen stillen Abschluß gefunden: Der
875 Schriftstelle Gugen Buchholz, ein
zeteran der ermländischen Presse und nimmer—
rüder Laienapostel, hat nach jahrzehntelangem
hweren Leiden ausgerungen. Bruder Tod trat
m sein Schmerzenslager und führte ihn mit
anfter Hand in jenes Reich, dem sein ganzes
zinnen und Trachten galt, wo Glauben über—⸗
jeht in Schauen, Hoffnung in Besitz ...
Das an äußeren Erfolgen und Ehren, an
Held und Gut herzlich arme, an innerem Wert
ind Gnade vor Gott aber sicherlich um so
eichere Leben des Verstorbenen verdient es
oohl, dem ermländischen Volke ausführlicher
ekannt zu werden, diesem und jenem zum
Trost, Nutz und Jrommen, ihm aber zum
ankbaren Gedächtnis.
Eugen Buchholz erblickte als das älteste
dind des damaligen Bäckermeisters und Acker—
ürgers August Buchholz und seiner Ehefrau
zertha geb. Thiel am 6. März 1865 in einem
er ältesten Bürgerhäuser zu Wormditt das
ꝛicht der Welt. Ein schwächliches, anfälliges
ind, wie vorahnend in mitleidigem Scherz
Schmerzenreich“‘“ benannt, weil es eine Zeit—
ing eine Genovefa betreute. Der begabte
dnabe wuchs in den Kulturkampf hinein, der
ekanntlich ebensoviele katholische Energien
beckte wie er Staatsfreudigkeit niederschlug.
Mit auffallender Anteilnahme verfolgte er an
dand der Ermländ. Zeitung die kirchenpolitische
entwicklung, begeistert zur Kirche stehend, für
ie er schon als Selektaner andersgläubigen
Mitschülern gegenüber als beredter Verteidiger
iuftrat. Eine Wallfahrt nach Dietrichswalde,
vohin im Sommer 1877 die Kunde von den
»underbaren Muttergotteserscheinungen unge—
ählte Pilgerscharen lockte, brachte den Zwölf—
ährigen zum erstenmal mit der slawischen
Welt in Berührung. Die eigenartigen Aeuße—
ungen der polnischen Frömmigkeit machten
inen starken Eindruck auf ihn. In wahrem
deißhunger verschlang der Knabe alle erreich—
„aren, zum Glück nur guten Bücher, die er sich
cz der halhen Stadt zusammenhorate Dabei
ielen ihm die Denkwürdigkeiten der Minsker
Tlosterfau Makryna Mieczyslawska üver die
Berfolgungen polnischer Nonnen durch die russi—
che Regierung in die Hände. Das Büchlein
»rachte jene Hinneigung zum Slawentum in
hm zum Keimen, die um so merkwürdiger ist,
ils sich unter seinen Vorfahren väterlicher⸗ wie
nütterlicherseits kein Tropfen slawischen Blutes
achweisen läßt. Von seinem zeitungliebenden
zroßrater Thiel, Mühlenbesitzer und Ratsherr
n seiner Vaterstadt, muß er wohl das unge—
bdöhnliche journatistische Interesse geerbt haben.
zereits als Zwölfjähriger unterbreitete er der
kedaktion der Erml. Itg. mancherlei Verbesse—
ungsvorschläge. „Schon damals schwirrten Ge—
anken über Zeitungsgründungen mit zugkräf—
igen Titeln durch seinen Kopf.
Da er den klassischen Sprachen an der
Vormditter Selekta nicht das nötige Interesse
ntgegenbringen konnte, bezog er mit 15 Jahren
die Danziger Handelsakademie, die er nach
)rei Jahren mit ausgezeichnetem Erfolge und
)er Berechtigung zum Einjährig-Freiwilligen
ibsolvierte. Von Danzig aus schrieb er bereits
dorrespondenzen für die Erml. Ztg. In dieser
in der Peripherie slawischen Volkstums liegen⸗
den Großstadt lernte er durch Privatunterricht
ie polnische Sprache. Als Bücherfreund ent—
hloß sich der 18jährige Absolbent für den
zuchhandel. Um seine polnischen Sprachkennt⸗
isse zu erweitern und festigen, wählte er für
eine Lehrzeit eine Posener Buchhandlung, die
r nach zwei Jahren als Angestellter mit einem
dattowitzer Jugendsch.iftenverlag vertauschte.
)em Aufenthalt in diesen beiden gemischt—
prachigen Städten verdankte er die völlige
Zeherrschung des Polnischen, aber auch die
denntnis der polnischen Art und Kultur. Kör⸗
erschwäche des Einjährigen bei den Königs—
erger Kronprinzen, die dem Unmilitärischen
ie Anstrengungen des Dienstes doppelt sauer
nachte, veranlaßte seine frühzeitige Entlassung
Nach einer kurzen Betätigung als Korrespon⸗
ent in einem Königsberger Kaviargeschäft, für
ie die Kenntnis der polnischen Sprache ver—
angt war, bot sich in Wartenburg, das ihn
vegen seines gemischtsprachigen Charakters be—
onders anzog, Gelegenheit zur Etablierung.
der 22jährige kaufte von dem Buchhändler
sapieralski in der Luisenstraße dessen Buch—-,
ßapier⸗,, Devotionalienhandlung und Buch—
inderei ab.
Heimatliebe und Interesse an dem polnischen
Bolkstum des südlichen Ermlandes veranlaßten
hn. im Jahre 1888 in einer führenden Posener