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reicht Großes, wie man am Beispiel der Sam—
melstelle in Püttlingen sehen kann. Diese hat
in den zwei letzten Jahren nach dem Bericht
des Boni,ariusbiattes mit Hilfe eines Kraft—
wagens soviel Material, Silberpapier, Alumi—
nium, Kupser, Eisen, Briefmarken usw. zu—
sammengebracht, daß man an den Bonifatius—
Sammelr etein ansehnliche Summen zur Unter⸗
stützung der Diaspora-Seeisorge abliefern
konnte. Auch wurden zahlreiche Liebesgaben,
Kleidungsstücke, Spielsachen an die einzelnen
Waisenhäuser gesandt, so daß die Sorgen der
armen Schwestern um das leibliche Wohl der
Kinder wesentlich erleichtett wurden. Möge
dieser Geist der Liebe zu den Glaubensbrüdern
immer mehr erstarken. Ja, das wäre ein großer
Segen für beide Teile. Gibt es doch nichts
auf der Welt, was so glücklich macht, wie
das Wohltun und zugleich wird der Not ab—
geholsen. Wer soll uns aber näher stehen, als
die Glaubensgenossen im eigenen Vaterlande?
Die deutschen Bischöfe haben es wiederholt
ausgesprochen, wie sehr ihnen die Bonifatius—
sache am Herzen liegt: „Der wichtigste Mis—
sionsverein heißt Bonisatiusverein“. „So wird
es in Deutschland mil der katholischen Kirche
bestellt sein, wie sich der Bonifatiusverein ent—
wickeln wird.“ Bischof Schreiber von Meißen
schreibt 1922: „Wenn ich auch nur einiger—
maßen geordnete Seelsorge in Sachsen her—
stellen will, muß ich heute am Tage wenigstens
hundert neue Kirchen bauen.“ So groß ist die
Not. Gemiß, mancher Diasporaseelsorger hat
mit großer Klugheit und Umsicht selber für
Kirche und Pfarrhaus gesorgt. Doch die große
Zahl von Bettelbriefen, die all,ährlich ins Haus
geflogen kommen, bewcisen zur Genüge, wie es
steht. Die Zentrale des Vonifatiusvereins ist
eben nicht imstande, den Anforderungen zu
genügen, die an sie gestellt werden. Und doch
wäre das eigentlich das Ideal, wenn von
Paderborn aus, wo die Fachleute des Vereins
zusammenkommen, die ganze Hilfsaktion ge—
regelt werden könnte. Wenn alle deutschen
Katholiken zusammenhelfen, wird allenthalben
neues Leben erblühen.
J—
F
t
J
Verlossen
Roman von 8Sa. MDocgner.
——
Nachdruck verboten.
1. Kapitel.
D Des Sreundes Vermächtnis.
Fyn einer der schönsten und vornehmsten
8 Straßen Londons, deren fast ausschließ—
— lich von der hohen Aristokratie Englands
bewohnte Häuser oder richtiger gesagt,
H Paläste sich durch Großar.igkeit und
Erhabenheit sowohl in ihrem Umfang als
in ihrer Architektur einander zu überbieten
schienen, befand sich ein Gebäude, welches
von den übrigen in auffälliger Weise
abstach. NRicht, daß es in seiner Dimension
oder seiner Bauart hinter den anderen
zurückgestanden wäre: aber es war seit
„Nach der Schicht“
Univs
Saarbrüoke
Heft 1/1928
rachtete er nie danach, sich Freunde zu er⸗
werben, und war besonders kalt gegen das
veibliche Geschlecht, welches für ihn nicht da
zu sein schien. Wohl hatte er seine Bekannten,
die bei ihm vorsprachen und mit denen er im
dlub und in der Gesellschaft verkehrte; aber
ntimen Umgang hatte er nur mit einem ein—
igen Manne, dem Obersten Reginald Harding,
ind selbst dieser konnte sich nicht im wahren
Zinne des Wortes seinen Freund nennen.
Lord Sylvan Temple war Eigentümer meh—
erer großer Besitzungen und Lundhäuser, um
zie er sich jedoch niemals kümmerte; er bezog
»araus seine Renten, legte aber die Abrech—
iungen fast regelmäßig ungeprüft beiseite, und
sich selbst einmal von dem Stand der Dinge
an Ort und Stelle zu überzeugen, fiel ihm
nicht ein. Während ihn einige geizig nannten,
)a er auf sein Aeußeres nur wenig hielt und
ein prachtvolles Gebäude auf so unverantwort—
iche Weise verfallen ließ, galt er bei anderen
als Verschwender, da er den Bedürf.igen oder
auch Nichtbedürstigen, die aber Unverschämtheit
genug besaßen, seine Freigebigkeit zu miß—
drauchen, stets mit vollen Händen zu helfen
bereit war. In dem einen Punkte aber waren
jie alle einig — und besonders bei der Damen—
welt stand das unumstößlich fest: Lord Temple
war ein Sonderling. Er wußte sehr wohl,
welche Meinung man von ihm hatte, tat aber
aichts, um sie zu beseitigen, weil sie seinen
Adelsstolz nicht verlezzte.
Wähiend er noch eifrig lesend dasaß, wurde
die Tür geöffnet und der Diener trat mit einem
Billett auf einem silbernen Teller herein.
Sir Sylvan sah auf und fragte, indem er die
Zeitung auf den Tisch legte:
„Was bringen Sie, Walker?“
Walker näherte sich scinem Herrn und über—
reichte ihm das Billett; dieser nahm es und
varf, nachdem er das Kuvert entfernt, einen
Blick auf die Unterschrift.
„Sherwin!“ rief er verwundert, „Sherwin
n England — hier in London!“
Hastig überflog er die wenigen, mit zitternder
dand geschriebenen Zeilen. welche wie folgt
auteten:
„Mein lieber Sylvan!
Erinnerst Du Dich noch eines Freundes,
er Dich vor vielen Jahren Deines Glückes
eraubte, dem Du aber damals vergabst mit
en Worten: „Nimm sie hin, die meinem
derzen so teuer ist! Sie hat Dich mir vor—
jezogen, darum kann ich Dir nicht zürnen.
Sei glücklich mit ihr und strebe danach, auch
ie glücklich zu machen. Laß diese Entscheidung
nicht zwischen unsere Freundschaft treten und
edenke, daß Du nach fünfzig Jahren so wie
etzt dich noch auf mich verlassen kannst als
iuf einen alten treuen Freund.“ Wenn Du
Ddeine Gesinnung im Laufe der Zeit nicht
zeändert hast, wie ich annehme, so eile zu mir.
ͤber schnell, ehe es zu spät ist.
Dein alter Freund
Fred Sherwin, im Marienhospital.“
Sir Sylvan starrte eine Weile regungslos
auf das Billett; ein schmerzlicher Zug lagerte
ich um seine Lippen und seine Augen trübten
ich. Dann sprach er halblaut:
„Armer Fred! in einem öffen!lichen Kranken—
‚ause! Es muß schlimm mit ihm stehen! Ich
will sogleich zu ihn — Walktzer“ rief ⸗*
ielen Jahren keine erhaltende und verschö—
iernde Hand angelegt worden. Die Mauern
varten geschwärzt, die reichen Verzierungen des
prachtvollen Portals und der hohen Bogen—
enster beschädigt, von den vielen Sstatuen, die
zum Teil becühymte Männer darstellten, waren
inige ganz verschwunden und die Feuster waren
nit wenigen Ausnahmen von innen mit be—
täubten und von der Sonne verblichenen, dicht
zerschlossenen Vorhängen verhüllt, ein Zeichen.
aß die Zimmer nie benutzt wurden.
Das Innere des Hauses entsprach dem
leußeren: überall die größte Vernachlässigung
ind Unordnung. Nur ein Teil der Parterre—
äumlichkeiten und einige Zimmer des ersten
Stockes waren komfortabel eingerichtet und
in wohnlichem Stande erhalten; um die übri—
gen Räume künmerte sich niemand, sie waren
derschlossen und seit Jahren hatte sie kein
menschlicher Fuß betreten.
Der Besitzer dieses Hauses war Lord Sylvan
Temple, welcher es mit einem geringen Haus—
saltungspersonal bewohnte.
Wir finden ihn beim Beginn unserer Er—
ählung, an einem heiteren Oktobermorgen, in
einem Zimmer am Jrühstückstisch. Das Mahl
var beendet und Sir Sylvan hatte sich in den
veichen Lehnstuhl zurückgelchnt, in seine Zei—
ung, die „Times“, vertieft. Er war ein Mann
on zweiundrierzig Jahren, vron mittlerer Größe
nit-hübschem. von einem Backenbart halb
imrahmten Ge'icht, dem cin fast melanchol scher
Zug etwas besoaders Anziehendes verlieh. Er
var reich und versagie sich keinen Genuß, zu
em sein Rang und sein Reichtum ihn berech⸗
igten; er hatte seinen Klub. besuͤchte das
Theater. Konzerte und Gesellschaften. Igssoi