Full text: Nach der Schicht (24)

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reicht Großes, wie man am Beispiel der Sam— 
melstelle in Püttlingen sehen kann. Diese hat 
in den zwei letzten Jahren nach dem Bericht 
des Boni,ariusbiattes mit Hilfe eines Kraft— 
wagens soviel Material, Silberpapier, Alumi— 
nium, Kupser, Eisen, Briefmarken usw. zu— 
sammengebracht, daß man an den Bonifatius— 
Sammelr etein ansehnliche Summen zur Unter⸗ 
stützung der Diaspora-Seeisorge abliefern 
konnte. Auch wurden zahlreiche Liebesgaben, 
Kleidungsstücke, Spielsachen an die einzelnen 
Waisenhäuser gesandt, so daß die Sorgen der 
armen Schwestern um das leibliche Wohl der 
Kinder wesentlich erleichtett wurden. Möge 
dieser Geist der Liebe zu den Glaubensbrüdern 
immer mehr erstarken. Ja, das wäre ein großer 
Segen für beide Teile. Gibt es doch nichts 
auf der Welt, was so glücklich macht, wie 
das Wohltun und zugleich wird der Not ab— 
geholsen. Wer soll uns aber näher stehen, als 
die Glaubensgenossen im eigenen Vaterlande? 
Die deutschen Bischöfe haben es wiederholt 
ausgesprochen, wie sehr ihnen die Bonifatius— 
sache am Herzen liegt: „Der wichtigste Mis— 
sionsverein heißt Bonisatiusverein“. „So wird 
es in Deutschland mil der katholischen Kirche 
bestellt sein, wie sich der Bonifatiusverein ent— 
wickeln wird.“ Bischof Schreiber von Meißen 
schreibt 1922: „Wenn ich auch nur einiger— 
maßen geordnete Seelsorge in Sachsen her— 
stellen will, muß ich heute am Tage wenigstens 
hundert neue Kirchen bauen.“ So groß ist die 
Not. Gemiß, mancher Diasporaseelsorger hat 
mit großer Klugheit und Umsicht selber für 
Kirche und Pfarrhaus gesorgt. Doch die große 
Zahl von Bettelbriefen, die all,ährlich ins Haus 
geflogen kommen, bewcisen zur Genüge, wie es 
steht. Die Zentrale des Vonifatiusvereins ist 
eben nicht imstande, den Anforderungen zu 
genügen, die an sie gestellt werden. Und doch 
wäre das eigentlich das Ideal, wenn von 
Paderborn aus, wo die Fachleute des Vereins 
zusammenkommen, die ganze Hilfsaktion ge— 
regelt werden könnte. Wenn alle deutschen 
Katholiken zusammenhelfen, wird allenthalben 
neues Leben erblühen. 
J— 
F 
t 
J 
Verlossen 
Roman von 8Sa. MDocgner. 
—— 
Nachdruck verboten. 
1. Kapitel. 
D Des Sreundes Vermächtnis. 
Fyn einer der schönsten und vornehmsten 
8 Straßen Londons, deren fast ausschließ— 
— lich von der hohen Aristokratie Englands 
bewohnte Häuser oder richtiger gesagt, 
H Paläste sich durch Großar.igkeit und 
Erhabenheit sowohl in ihrem Umfang als 
in ihrer Architektur einander zu überbieten 
schienen, befand sich ein Gebäude, welches 
von den übrigen in auffälliger Weise 
abstach. NRicht, daß es in seiner Dimension 
oder seiner Bauart hinter den anderen 
zurückgestanden wäre: aber es war seit 
„Nach der Schicht“ 
Univs 
Saarbrüoke 
Heft 1/1928 
rachtete er nie danach, sich Freunde zu er⸗ 
werben, und war besonders kalt gegen das 
veibliche Geschlecht, welches für ihn nicht da 
zu sein schien. Wohl hatte er seine Bekannten, 
die bei ihm vorsprachen und mit denen er im 
dlub und in der Gesellschaft verkehrte; aber 
ntimen Umgang hatte er nur mit einem ein— 
igen Manne, dem Obersten Reginald Harding, 
ind selbst dieser konnte sich nicht im wahren 
Zinne des Wortes seinen Freund nennen. 
Lord Sylvan Temple war Eigentümer meh— 
erer großer Besitzungen und Lundhäuser, um 
zie er sich jedoch niemals kümmerte; er bezog 
»araus seine Renten, legte aber die Abrech— 
iungen fast regelmäßig ungeprüft beiseite, und 
sich selbst einmal von dem Stand der Dinge 
an Ort und Stelle zu überzeugen, fiel ihm 
nicht ein. Während ihn einige geizig nannten, 
)a er auf sein Aeußeres nur wenig hielt und 
ein prachtvolles Gebäude auf so unverantwort— 
iche Weise verfallen ließ, galt er bei anderen 
als Verschwender, da er den Bedürf.igen oder 
auch Nichtbedürstigen, die aber Unverschämtheit 
genug besaßen, seine Freigebigkeit zu miß— 
drauchen, stets mit vollen Händen zu helfen 
bereit war. In dem einen Punkte aber waren 
jie alle einig — und besonders bei der Damen— 
welt stand das unumstößlich fest: Lord Temple 
war ein Sonderling. Er wußte sehr wohl, 
welche Meinung man von ihm hatte, tat aber 
aichts, um sie zu beseitigen, weil sie seinen 
Adelsstolz nicht verlezzte. 
Wähiend er noch eifrig lesend dasaß, wurde 
die Tür geöffnet und der Diener trat mit einem 
Billett auf einem silbernen Teller herein. 
Sir Sylvan sah auf und fragte, indem er die 
Zeitung auf den Tisch legte: 
„Was bringen Sie, Walker?“ 
Walker näherte sich scinem Herrn und über— 
reichte ihm das Billett; dieser nahm es und 
varf, nachdem er das Kuvert entfernt, einen 
Blick auf die Unterschrift. 
„Sherwin!“ rief er verwundert, „Sherwin 
n England — hier in London!“ 
Hastig überflog er die wenigen, mit zitternder 
dand geschriebenen Zeilen. welche wie folgt 
auteten: 
„Mein lieber Sylvan! 
Erinnerst Du Dich noch eines Freundes, 
er Dich vor vielen Jahren Deines Glückes 
eraubte, dem Du aber damals vergabst mit 
en Worten: „Nimm sie hin, die meinem 
derzen so teuer ist! Sie hat Dich mir vor— 
jezogen, darum kann ich Dir nicht zürnen. 
Sei glücklich mit ihr und strebe danach, auch 
ie glücklich zu machen. Laß diese Entscheidung 
nicht zwischen unsere Freundschaft treten und 
edenke, daß Du nach fünfzig Jahren so wie 
etzt dich noch auf mich verlassen kannst als 
iuf einen alten treuen Freund.“ Wenn Du 
Ddeine Gesinnung im Laufe der Zeit nicht 
zeändert hast, wie ich annehme, so eile zu mir. 
ͤber schnell, ehe es zu spät ist. 
Dein alter Freund 
Fred Sherwin, im Marienhospital.“ 
Sir Sylvan starrte eine Weile regungslos 
auf das Billett; ein schmerzlicher Zug lagerte 
ich um seine Lippen und seine Augen trübten 
ich. Dann sprach er halblaut: 
„Armer Fred! in einem öffen!lichen Kranken— 
‚ause! Es muß schlimm mit ihm stehen! Ich 
will sogleich zu ihn — Walktzer“ rief ⸗* 
ielen Jahren keine erhaltende und verschö— 
iernde Hand angelegt worden. Die Mauern 
varten geschwärzt, die reichen Verzierungen des 
prachtvollen Portals und der hohen Bogen— 
enster beschädigt, von den vielen Sstatuen, die 
zum Teil becühymte Männer darstellten, waren 
inige ganz verschwunden und die Feuster waren 
nit wenigen Ausnahmen von innen mit be— 
täubten und von der Sonne verblichenen, dicht 
zerschlossenen Vorhängen verhüllt, ein Zeichen. 
aß die Zimmer nie benutzt wurden. 
Das Innere des Hauses entsprach dem 
leußeren: überall die größte Vernachlässigung 
ind Unordnung. Nur ein Teil der Parterre— 
äumlichkeiten und einige Zimmer des ersten 
Stockes waren komfortabel eingerichtet und 
in wohnlichem Stande erhalten; um die übri— 
gen Räume künmerte sich niemand, sie waren 
derschlossen und seit Jahren hatte sie kein 
menschlicher Fuß betreten. 
Der Besitzer dieses Hauses war Lord Sylvan 
Temple, welcher es mit einem geringen Haus— 
saltungspersonal bewohnte. 
Wir finden ihn beim Beginn unserer Er— 
ählung, an einem heiteren Oktobermorgen, in 
einem Zimmer am Jrühstückstisch. Das Mahl 
var beendet und Sir Sylvan hatte sich in den 
veichen Lehnstuhl zurückgelchnt, in seine Zei— 
ung, die „Times“, vertieft. Er war ein Mann 
on zweiundrierzig Jahren, vron mittlerer Größe 
nit-hübschem. von einem Backenbart halb 
imrahmten Ge'icht, dem cin fast melanchol scher 
Zug etwas besoaders Anziehendes verlieh. Er 
var reich und versagie sich keinen Genuß, zu 
em sein Rang und sein Reichtum ihn berech⸗ 
igten; er hatte seinen Klub. besuͤchte das 
Theater. Konzerte und Gesellschaften. Igssoi
	        
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