Full text: Nach der Schicht (24)

Heft 12/1928 
e. Die Schmuggler. 5 
Von F. Schrönahamer-Heimdal. 
8 m Poststübl zu Walddorf sitzt die all— 
8* uabendliche Gesellschaft beisammen: der 
XPfarrer, der Zollinspektor, der Lehrer, 
der Sörster und die zwei Studenten, der 
Hochmoser Toni und der Wildberger 
Franzl, die im Heimatdorfe ihre Ferien ver— 
eben. Zu tun haben sie nicht viel, und so 
innen sie Streiche aus. 
Diesmal haben sie es auf den Zollinspektor 
abgesehen, der sich durch einige Härten gegen— 
iber der Grenzbevölkerung etwas unbeliebt ge— 
macht hat. Der Beamte ist noch nicht lange 
in Ort. Seit in den benachbarten Bezirken 
des Grenzstaates die Schweinepest ausgebrochen 
war und der Saccharinschmuggel in dortiger 
Gegend mehr als je blühte, fand es die Re— 
gierung geraten, einen Zollinspektor nach Wald— 
dorf zu schicken. In der Auswahl des Zoll— 
nnspektors Geßl hatte die Regierung keine 
zlückliche Hand. Er witterte hinter jedem 
harmlosen Einheimischen einen ve kappten 
Schmuggler, hielt jdden des Wegs Kom— 
menden an und unterzog ihn einem hoch⸗— 
riotpeinlichen Verhör. Einheimische und 
Fremde beschwerten sich wiederholt, aber 
es half nichts. Herr Geßl war ein pflicht— 
treuer Beamter, und im Nachbarstaat 
yerrschte die Schweinepest. Die Schweine— 
pest! Das war die Hauptsorge des Herrn 
Zollinspektors und seit einigen Abenden 
schon das Hauptgespräch am Herrentisch 
im Poststübl zu Walddorf. Man sprach 
über Balkankrieg und Zeppelin, über 
Wetter und Tarockspiel, über Frauenmode 
und teuere Zeiten, aber zwischen all dem 
drängte sich doch wieder das Gespenst 
des Herrn Zollinspektors Geßl durch und 
kam oben auf: die Schweinepest in 
Desterreich. 
Die beiden Studenten, der Hochmoser 
Toni und der Wildberger Franzl, brach— 
ten — wie absichtlich — die Rede immer 
wieder darauf, was den Herrn Inspektor 
zu den seltsamsten politischen Extratouren 
beranlaßte. „Meine Herren,“ pflegte er sich 
dann zu äußern, „bei aller Bundestreue und 
Waffenbrüderschaft, die das Reich dem Nach— 
barlande gegenüber bekundet, ist es doch sozu— 
sagen unverantwortlich, von der jenseitigen Re— 
zierung, wenn sie ihren Untertanen das Her— 
äberschmuggeln von Schweinen nicht einfach 
derbietet und mit strengen Strafen ahndet. 
Bedenken Sie, meine Herren, welch ungeahnte 
Nachteile uns daraus erwachsen. Und welche 
Kosten! Am ganzen Grenzgürtel mußte infolge 
der Schweinepest das Personal verdoppelt wer⸗ 
den, was dem Staate allmonatlich fünfzigtau— 
end Mark mehr kostet. Ganz abgesehen von 
den persönlichen Unbequemlichkeiten, die ein— 
zelne, insbesondere wir höheren Zollbeamten, 
zu erdulden haben: wir müssen Weib und Kind 
nn der Hauptstadt zurücklassen, uns hier in 
rauher, unwirtlicher Gegend, wo es nicht ein— 
nal Kaviar und Spargel gibt, mit derber Kost 
ind schlechter Unterkunft begnügen —“ 
„G'stochen!“ schreit der Hochmoser Toni, der 
mit dem Lehrer und dem Sorstpraktikanten 
am unteren Tischende tarockt. 
„Nach der Schicht“ 
,„So, jetzt ist das Spiel aus!“ 
Laut und bedeutsam sagt der Student diese 
Worte, als ob nicht nur das Tarockspiel, son⸗ 
dern auch ein anderes aus wäre. 
Niemand legt aber seinen Worten mehr Be— 
eutung bei, als sie in Anbetracht der einfachen 
imstände verdienen. Nur der Wildberger Franzl, 
ein Kommilitone, dem er unbemerkt zublinzelt, 
ersteht ihn. 
Die zwei sind über einen Leisten geschlagen 
ind einer errüt die Gedanken des andern. Da 
zraucht es nicht viel Reden. 
Wie der Zollinspektor auch heute wieder 
einer Unzufriedenheit mit den einfachen, aber 
n jeder Weise gediegenen Verhältnissen in 
Walddorf Luft macht — wiewohl er je Tag 
rußer seinem Gehalt fünfzehn Mark Zulage 
)at —, steht es bei den Studenten fest, daß 
sier gründlich Wandlung geschaffen werden 
nüsse. 
Da die Regierung den unliebsamen Beamten 
nicht versetzt. so wollen sie seine freiwillige oder 
—⸗ 
A landef suf —E — 
Erste an dent i Aufnahme von der Landung der „Los 
Angeles (3. R. III) auf dem Flugzeugdeck des Flugzeug— 
mutterschiffes „Saratoga“ vor der ätlantischen Külte. 
infreiwillige „Veränderung“ selbst in die Hand 
iehmen und ihn auf ewige Zeiten in Walddorf 
inmöglich machen. 
Nach Beendigung des Spiels begeben sich die 
eiden hinaus, während drinnen der Inspektor 
deiter lamentiert. 
„Hörst ihn wieder?“ meint der Toni. 
„Mir wachst es schon zum Hals 'raus!“ 
agt der Franzl. 
‚Da muß was geschehen dawider.“ 
.Und bald.“ 
Diese Tatsache steht fest — da beißt keine 
Maus einen Faden ab. 
Wenn sich die zwei was vornehmen, dann 
vird es etwas. Von Haus aus helle Bauern⸗ 
uben, haben sie, was Spitzbüberei betrifft, im 
Umgang mit Professoren und mehr oder minder 
leichartigen Kameraden in der Studienstadt 
ioch dazu gelernt. So ein Student ist oft not⸗— 
jedrungen auf allerlei Schliche und Schelmereien 
ingewiesen. Und so kommt es, daß sich bei 
nanchem ein gewisser Sinn für lose Streiche 
serausbildet, die selten schaden. aber manchmal 
ützen 
Seite 183 
„Halt,“ sagt der Toni nach einer Weile 
leberlegens, „ich hab's! Wir schwärzen (ört— 
icher Ausdruck für Schmuggeln) eine Sau über 
zie Grenz' herüber.“ 
„Aber was für eine?“ 
Der Toni flüstert dem Franzl ein paar 
Worte ins Ohr, worauf dieser einen Luftsprung 
nacht. Das weitere Wie und Was wird noch 
hnell verabredet, dann begeben sich die beiden 
yieder ins Herrenstübl und bringen, wie unab— 
ichtlich, das Gespräch wieder auf die Schweine— 
oest. 
Der Zollinspektor am oberen Tischende spitzt 
»ie Ohren. Er muß es auch, da die beiden 
eise reden, so, als ob es der Zollinspektor 
nicht hören dürfte. 
„Denk' dir,“ fängt der Toni an, „heut' 
var meine Mutter auf Besuch bei einer Ver—⸗ 
vandten in Talberg (Nachbarort); die hat einen 
anecht, der liegt im Sterben. Du kennst ihn ja. 
den Peschl Muckl.“ 
Freilich kenn' ich ihn. So ein kraftstrotzen⸗ 
der Kampl! Und im Sterben liegen? 
Unglaublich! Was fehlt ihm denn?“ 
„Schweinepest!“ 
„Wie — was? Schweinepest? Wie 
zann denn ein Mensch die Schweinepest 
aben?“ 
„Ganz einfach: Wenn einer das Fleisch 
ziner verseuchten Sau genießt, dann kriegt 
er halt auch die Pest und muß elendiglich 
zugrunde gehen, wenn er nicht mit dem 
deben davonkommt.“ 
„Ja, aber wie kann ein Bayrischer die 
Schweinepest bekommen, wo doch unser 
Hebiet — dank der Wachsamkeit unseres 
Herrn Zollbeamten — noch völlig seuchen— 
rei ist?“ 
„Unsere Schweine sind ja, Gott sei 
Dank, noch nicht infiziert. Aber es werden 
)em Vernehmen nach täglich verseuchte 
Tiere aus Oesterreich eingeführt. In 
Schwarzenberg soll sich sogar eine Aktien⸗ 
gesellschaft für den Export infizierter 
Tiere gebildet haben, die den Vertrieb 
iach Bayern an ganz gewiegte Schmugg⸗ 
ler vergeben hat. Von drüben bringen sie 
die Schweine, und hinüber schaffen sie 
Zaccharin. So verdienen die Leute doppelt. 
In Passau haben sie ihre Hauptniederlage. Und 
hort war es auch, wo sich der Knecht meiner 
Base, als er eine Fuhre Flachs hinbrachte, in 
inem Gasthaus den sichern Tod angegessen hat.“ 
„Aber wie kommen denn die Schweine, da 
voch die Grenze Tag und Nacht besetzt ist, zu 
ins ins Land? Hoffentlich nicht im Luftschiff?“ 
„Mach' keine dummen Witze, Franzl. Du 
veißt doch den Habichtsriegel?“ 
„Und ob! Das ist ja die Waldstelle, wo 
ich Füchse und Hasen gute Nacht sagen. Da 
jeht nicht einmal ein Schmuggler durch. Die 
ꝛeute fürchten das unheimliche Eulengeschrei 
»ei Nacht, und sogar bei Tag soll es dort 
iicht recht geheuer sein. Man hört allerlei 
nunkeln.“ 
„Und ich sage dir, gerade über den Habichts— 
iegel gehen die Schmugglerzüge; über den 
dabichtsriegel kommen die Schweine, über den 
dabichtsriegel kommt die Pest, kommen Tod 
und Verderben zu uns ins Land. Und wer 
veiß, wie lang' es noch dauert, dann rafft sie 
rch uns dahin. die Schweinevest“
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.