Full text: Nach der Schicht (24)

Heft /1928 
herstand. Ihre große, kräftige Gestalt, nament⸗ 
lich ihre energischen Fäuste, die sie nicht zu 
schonen pflegte, wenn die Jungen es einmal 
allzu toll trieben, verschafften ihr den ge— 
bührenden Respekt. Daß die Liebe auch nicht 
kurz kam, dafür sorgte die unermüdliche 
Aufopferung Nannis, ihr warmes, hilfsbereites 
—7 Die Gruberbuben wußten recht gut, wer 
ie in ihren Krankheiten pflegte, wer ihre 
ene Joppen und Hosen flickte und die 
sten Krapsen und Buchteln für sie zu backen 
verstand. 
Wenn die Nannf eimal wetterte, so hatten 
sie es sicher verdient, und wenn es schlueßlich 
im Gemitter einschlug, so war es auch noch 
ihre Schuld. Denn unangemeldet kam der 
Schlag ja nie. Wie Blitz und Donner dem 
Wolkenbruche, so ging regelmäßig die Warnung 
voraus: „Ich bin schon am Punkt!“ Danu 
wußten die Grube.ischen, daß Nannis Gedulds⸗ 
faden aufs höchste gespannt war. Der Kluge 
nahm sich dann zusammen. 
Heute wollte das aber der Lenzl nicht ver⸗ 
stehen. Schon dreimal hatte ihn die Nanni 
mit einem energischen Puff von Sopherls 
Wiege fortgeschafft, daß er wie ein Federball 
in die Ecke zurückflog, in der er augeolich au 
seinen Schulaufgaben saß. in der Tat aber 
papierene Heuschrecken faurizierte, um s.e seinem 
Schwesterchen auf Augen, Nase und Mund 34 
sehen. Warum heulte das dumme kleine Ding 
mmer gleich so, daß die Nanni aus der neben⸗ 
liegenden Stube wie ein Rachegeist heraus⸗ 
gelockt wurde und zornig auf der Türschwelle 
erschien! 
„Das, wenn du mir noch einmal tust, du 
Menschenquäler, du Raubmörder du!“ drohte 
sie mit dem Ausklopfer. 
Aber den Lenzl plagten jetzt auch die Rache⸗ 
seie in seinem Innern. Einmal mußte er 
em Sopherl das grundlose, unzeitige Geschret 
doch vergelten; dann würde er es in Ruhe 
lassen. Ein bischen Zwicken würde das dicke 
Wickelkind schon nicht umbringen. Gedacht, ge⸗ 
an. Die Nanni klopfte ebden mit vielem Rach⸗ 
druck einen Teppich aus, da stand der Lenzl 
—D — 
diesem einen blauen Jleck in das runde Aerm— 
chen. Das Geschrei des Wickelkindes hätte jetzt 
ein ganzes Dugend klopfender Mägde über— 
tönt ..Wie der Bliz fuhr die Nanni herbei. 
Mit einem Blick überschaute sie die Situation. 
„Du Malefizbub! hab' ich nicht gefagt, daß 
du ein Raubmoͤrder bist und das Hascherl noch 
umbringen wirst? Und noch dazu am Kar— 
freitagl“ Und damit begann der Pracker auf 
dem Rücken Lenzls zu tanzen, daß diesem 
Hören und Sehen verging. Cin Glück für ihn, 
daß sein Geheul das Nickelkind zu neuer Kraft⸗ 
leistung begeisterte; denn in der Befürchtung, 
das Sopherl möchte sich einen Schaden an— 
schreien, eilte die Nanni jetzt besorgt zum 
Wiegenkorbe. Als der Lenzl sah, mit wescher 
Zärtlichkeit der Grund all seines Mißgeschickes 
geherzt und beschwichtigt wurde, mehrte sich 
ein Zorn. Grollend kauerte er sich in die Ecke 
und dachte über sein erlittenes Unrecht nach 
Wie ganz anders würde sihh das Leben ge— 
stalten, wenn die Nanni nicht immer dazwischen— 
führe, so oft er sich einen unschuldigen Spaß 
erlaubtel Früher war es viel gemütlicher ge— 
wesen; aber seit das Sopherl erschienen, konnte 
man es einsach nicht mehr aushalten. Alles 
drehte sich um das Fatschenkind. Wenn die 
Buben sanzgen, hieß es: „Stad sein, das 
Sopherl schläft!“; wenn sie im Zimmer herum⸗ 
prangen: „Gebi's a Ruh, ihr werft das 
Sopherl um!“ So ging es den ganzen Tag. 
Er und die Brüder galten rein nichts mehr 
Um meisten hatte es zu Nanni aber auf ihn 
Mach der Schicht“ 
— 
2 4 
vuũünschen wir allen Lesern und Le- 
serinnen, Mitarbeitern und fFreunden 
Gottes reichsten Segen. 
ir bringen für unsero Lesesschafi, die 
2uch im eizten Jarhre um mehçere Tausend 
zugenommen hat, im neuen dahre eine 
freudige Ueberraschung 
n Gostatt einer Bitderbeilage, die intoressanto 
Dastenungen von Personen und Ersignissen 
aus ato MWeit in hobschem Tiefdruck bingen 
vird. Di⸗ Benago wied 8 Seiten umfassssen 
and monatiich einmat (2 Nummern im 
lahre) ,Nach der Schicht“ beinegsn. Das 
Angenehme dabsei füör unsere Leser wird 
aria bestehön, dass wir die Séeilage 
ohne Erhöhung 
dos Heftpreissess belegen Dem Vertag or— 
wvächst dadureh eine Mehrausgabe von vieten 
au Jι Mark; wie werden diese beadéutende 
Menhnrbeasturg nur dann ortragen können. 
vsehn dee Auf ge von .Naen der Schicht“ oine 
btarke Echönung erfänrt. Wir bitton deshaib 
alle unsere Leser 
und Leserirnen 
unsoro Aufforderung und unser Angebot in 
Jon otzton Heften zu beachten und sich an 
dom eifrigon 
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neuer Abonnenten 
Ur AMaeh derSchicht“ betoitigen æu wotlen. 
Verlag und Redait'on „ach der 
Schentes, Wiobelsirehon (Saar). 
— ⏑“ 
Wgesehen; ihn hatte sie förmlich zum Mörder 
hres Schütlings auserkoren. Es war gewiß 
uch nur aus Rache, daß sie ihn heute wegen ein 
ischen Halsweh mit dem Iritz zu Hause be⸗ 
zalten, während die Mutter mit den anderen 
Zrüdern die heiligen Gräber anschauen ging. 
zmmer mehr steigerte sichh sein Zorn, nicht gegen 
»as Sopherl — das dumme Ding war ja doch 
iur ein Jatschenkind, das nichts vecstand — 
iber die alte Nanni hätte gescheiter sein müssen 
ind sich nicht so zu ändern brauchen. Sie 
var ja rein vernarrt in das Sopherl. Er hatte 
inmal gehört, im Alter würden die Leute kin— 
disch, und die Nanni war alt, gewiß fing es 
bei ihr auch schon an. Die Nanni war alt. 
Fortsetzung folgt. 
—E 
vom vener aus de Palz 
ei Plauderei üwer Hindeburgs 80. Ge— 
F J burtsdag hat m'r e Berefj aus 'm 
1Kreis Wadern inngebracht. Do schreibt 
Vle Leser von „Nach der Swcicht“: Lieder 
* Setter aus de Palz, ich lese Ihre 
Vr vescichte immer in „NRach der Schiqht“, 
auc, in Nr. 45, da lese ich die schönen Worle 
iber den Reichsprasisenten von unserem 
—KDDDVVD 
groß, abe — — — — Und nun schil⸗ 
Seite 13 
dert mir unser Abonnent sei Schicksal als 
in Lothringen ausgewiesener Reichsdeutscher, 
der mit seiner sechsköpfigen Jamilie Haus 
un Hof, das er sich dorch Fleiß und Spar— 
amkeit erworb hat, hat wider verlasse müsse. 
Er wohne jetzt wider in seim Geburtsort, in 
re menschenunwürdigen Wohnung usw. Er hätt 
iich in seiner Not schon an de Herr Indete 
gewandt, aber der hätt' 'm a net geholfe u 
etzt deht er sich emol an de Better aus de Palz 
vende ob der m net heife könnt. Obwohls 
ↄ gar net in de Rahme von meiner Plaudereit 
gehört, will ich dem Briefschreiwer doch e Ant⸗ 
vort gewe off sei Anfrage. De Vetter aus de 
Palz kann do so wenig helfe wie jeder annere, 
dann er isch selbscht nur e kleener Handwerks⸗ 
nann,. der de Krieg un die Inflationszeit hart 
nitgemacht hat un sei Gesundheit als sei gan— 
zer Reichtum betracht. Daß 's de ausgewiesene 
Reichsdeutsche net besonnersch gut gang isch 
uin dauß se meischtens net das bezahlt kriegt 
yan, was se verlor han in Lothringe, sell wisse 
n'r allegar. Das hängt awer net von einzelne 
Persone. wie zum Brispiel vom Hindenburg 
ab, daß das so gang isch, dodran isch die Ge— 
jetzgebung schuld, dorch die wo das alles ge— 
zegelt isch un die Gesetzgeber han sich bei 
Feschtlegung von de Entschädigungssumme noh 
de Mittele richte müsse, wo 's Reich zur Ver— 
jügung hat. Daß die Ausgewiesene im Darch— 
cmitt sehr schlecht eweg kumm sinn un net 
das kriegt han, was se reclor han, schteht fescht. 
Awer liewer Freund, s war doch Kröeg. 
Wer kann dann de Eltere ihr Söhn, de Fraue 
ihr Männer voll un ganz ersetze, wo se im 
Krieg verlore han? Wer kann dann ail die 
hunnertdausende arme Krüppel so bezahle, daß 
se e Ausgleich for ihr gesunde Glieder hätte, 
wo se 'm Vaterland geopfert han? Fragen se 
ꝛeni Mutter ob se net ihr Hüttche un ehr Alles 
gern hergäb wann se ihren Sohn wider m 
die Arme nemme könnt. Dann denke se emol 
in all die wo in de Inflationszert ehr sauer 
erdiente Ersparnisse verlore han un heut 
Zunger leide müsse, well 's Vaterland eensach 
iet in de Lag isch die verlorene Gelder wider 
o off sewerte oder serücksegewe wie 's recht 
vär. Mir all sinn Kriegsopfer un 
nüssen so lang wie m'r lewe an de Kriegsfolge 
rage, mei liewer Freund, ich und alle Andere, 
die net zu de Kategorie der Kriegsgewinnler 
gehöre, auch sie, liewer Freund. Mir siehn 
hvoch täglich, daß unser Regierung un anser 
Harlamente droff aus sinn sor noh un noh alles 
vider gut se mache un könne feschtitelte, daß 
chon manches besser wor isch in der Beziehung. 
Awer mir han ewe doch de Krieg verlore un 
jan uns me Friedensvertrag beuge müsse unner 
dem m'r all timol sesammebreche, wann r net 
»ald revidiect werd. Sie neane sich ein unglück⸗ 
icher Deutschher well ihne net alles ersetzt wor 
sch, was se in Lothringe veclor han. Wie soll 
sich dann der neane, der im Keieg sei Auge 
oder sei Hände verlor hat. Wie solle sich 
dann die nenne, die dausende Soldate, die 
heut noch als unheilbar ecklärt, in Kranke— 
)auser lewe un dahin siohe, die so ver— 
tümmelt sinn, daß ke Mensch sie mehr siehn 
darf. Also, liewer Freund, die Sach isch nir 
jalb so schlimm, wie sie sich die Geschicht in 
de Kopp sege. Ich bin sogat der Ansicht, daß 
mir a glücklich un zufriede lewe kann, wann 
n'r ke eige Haus hat. Un daß mit der Woh— 
iungsnot werd sich a schon gewe, bald werte 
nol wieder Recht un Gerechtigjkeit off de Welt 
jerrsche un viellciht alle Mensche sefriede werre. 
AUwer nur net erum gehn un de Kopp hänge 
osse un heule un jammere wie e alti Fraa, well 
toch net alles Unzent aus de Keiegszeit gut 
gemacht isch. De Kopp hoch un 'm Herrgott
	        
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