Full text: Der Saarbergknappe (3 [1922])

„Selte 2. Rir 
Jede ungerechtfertigte Ausbentung der in der 
Heimindustrie beschäftigten Arbeitskräfte ist durch 
besondere Maßnahmen zu verhindern. 
Die Arbeiter und Angestellten müssen gegen Krank 
heit, Invalidität, Alter, Unsall und V. beitslosigkeit 
persichert sein. Die Unternehmungen können sich nich 
der Prämienzaählung entziehen.. 
Die Gesetzgebung zum Schutze der Sittlichkeit, 
Gesundheit und Sicherheit des Arbeiters soll aus 
gedehnt werden. Besondere Aufmerksamkeit ist den 
Berufskrankheiten und der Bekämpfung der Tuber— 
fulose sowie der Förderung der allgemeinen Hygien 
und der Krankenfürsorge zit widmen. 
Im Interesse der Gesundheit und der Sittlichkeit 
ist die Volkswohnungsfürsorge kräftigst zu fördern. 
Durch eine zweckmäßig geleitete und wissenschaftlick 
begriindete Bernfswahl sollen jedem Berufe die geeig 
netsten Arbeitskräfte zugeführt werden. 
Die Durchführung der sozialen Gesetzgebung ist 
durch kompetente Gewerbeinspektionen in Verbindung 
mit den beruflichen Organisationen zu kontrollierer 
und zu sichern. 
Die Festsetzung der Löhne, welche möglichst durch 
Taorif- und Gesamtarbeitsverträge erfolgen soll, haf 
nach folgenden Grundsätzen zu geschehen: 
a) Jeder erwachsene Arbeiter hat das Recht au— 
einen Mäindestarbeitslohn, welcher ausreich; 
für den Unterhalt seiner Familie; die Höhe desselber 
joll in Uebereinstimmung mit den Lebenskosten be— 
stimmt werden. 
b) Ueber das unantastbare Minimum hinaus soll 
der Anteil des Arbeiters an der Erzeugung der Lei— 
lrung des Arbeiters entsprechen und einen Entgelt 
lichern für besondere Gewandtheit und Tüchtigkeit wie 
für besondere Anstrengungen, Gefahren und Risikos 
Für die kinderreichen Familien sind 
Einrichtungen zu schaffen, aus welchen 
diesenentsprechende Zuschlägegewährf 
werden. 
Die Staatsgewalt soll durch objektive statistischt 
Erhebungen über die Lebenskosten usw. die Lohn 
gestaltung erleichtern. 
In Industrien, wo keine genügende Gewerkschafts 
hedvegung besteht, hat die Staatsgewalt durch Lohn 
kommissionen und dergleichen für die wirtschaftlich 
Eristenzsicherung der Arbeiter zu sorgen. 
Die 8 Körperschaften haben bei 
dem in ihrem Dienste stehenden Personal den oben— 
genannten Forderungen im Einvernehmen mit den 
zuständigen Organisationen Folge zu geben. 
Durch den Völkerbund sowie durch die inter— 
nationale Organisation der Arbeit oder durch andere 
Institutionen, welche hierzu als geeignet erscheinen, 
sollen die Vöolker im Geifte dieses Programms zusam— 
menwirken. 
Die internationale Organisation der Arbeit soll der 
Arbeiterschutz durch Uebereinkommen und Ratschläg 
fördern. 
Die bisherigen Uebereinkommen und Ratschläg 
der Konferenzen von Washington, Genua und Geni 
bedeatten erst einen bescheidenden Anfang für der 
wirksamen Arbeiterschutz, welchen die Arbeiterklasi 
ihrerseits erwartet. 
Sie soll sich nicht darauf beschränken, Einfluß zu 
iiben auf die Länder, wo soziale Gesetzgebung nicht 
besteht oder ungenügend ist, sondern sie soll ihre Wir— 
kung ausdehnen auf alle Länder im Sinne einer fort 
währenden Verbesserung dieser Gesetzgebung. 
Die Nustvanderung der Arbeiter soll organisiert 
werden auf der Grundlage der Gegenseitigkeit der 
sozigien Gesetze und der Gleichberechtigung der Ein— 
wanderer und der Landesangehörigen. Die Auswan— 
derung ganzer Gruppen soll nur ermöglicht werden 
im Einvernehmen mit den intereisierten Wirtschafts 
verbänden. 
Damit die in den internationalen Arbeitskonferen— 
zen festgestellten Uebereinkommen und Ratschläge die 
kräsftiast mögliche Wirkung haben, werden die dem 
Internationalen Bunde der christlichen Gewerkschaften 
angeschlossenen Landeszentralen sich darum bemühen 
in den betreffenden Ländern ihre Anwendung durck 
zusetzen. 
Damit die christliche Gewerkschaitsbewegung wirk. 
sam an dieser Aufgabe mitwirken kann, muß sie in 
der internationalen Organisation der Arbeit einen 
pollen und direkten Einfluß haben und in den inter 
nationalen Arbeitskonferenzen wie im Verwaltungs 
rat des internationalen Arbeifsamtes oine angemessen« 
Lertretung haben. 
Anf dem Gebiete der rechtmäßigen gewerkschaftlichen 
Forderungen ist der Internationale Bund der christ— 
fichen Gewerkschaften bereit, mit allen interessierten 
Organisationen zusammenzuwirken 
C. Ausbildung der Arbeiterschaft. 
Der Internationale Bund der christlichen Gewerk 
schaften fordert eine allgemeine wirtschaftliche und 
lechnische Ausbildung der Arbeiterjiugend. Sie be 
krachtet diese als eine Voraussetzung, um der Arbeiter— 
cchaft die sittliche, familiäre und soziale Wohlhfahrt zi— 
ermöglichen und die rationelle Entwicklung der Pro— 
duktion zu fördern. 
An die bis zum 14. Alterjahr verpflichtende Volks 
schuls soss ein Berufsunterricht angeschlossen werden 
Der Zutritt zum mittleren und köheren Unterrich 
loll iedem itrebsamen und talentvollen Menschen ohn 
„Der Saar⸗Bergknapbpe‘ 
— e e 
NVücksicht auf die finanzielle Lage seiner Eltern ermög 
icht werden. n 
Die Voraussetzung für den sozialen und wirtschaft 
ichen Aufstieg der Arbeiterschaft bildet das gründliche 
Studium aller Zusammenhänge und Verhältnisse des 
ozialen, wirtschaftlichen und staatlichen Lebens, eine 
gesteigerte Arbeitsfreudigkeit und ein vertieftesPflicht 
bewußtsein und Verantwortlichkeitsgefühl gegenübe 
Gesellschaft, Staat und Familie. 
Eine glänzende Rechtfertigung. 
Wie das bei solchen Anlässen immer geschieht, setzte 
m Ruhrgebiet seitens der Linksradikalen gegen den 
Sewerkverein eine scharfe Hetze wegen seiner jüngster 
daltung anläßlich der Ruhrbergarbeiterbewegung ein 
diese Kreise sind sehr erbost darüber, daß der Gewerk 
berein von seiner Selbständigkeit nicht abzubringer 
war und sich nicht vor den Karren linksradikaler Ele 
mente spannen ließ. Das Urteil dieser Kreise kanr 
den Gewerkverein ja auch furchtbar kalt lassen. Seine« 
Mitglieder standen geschlossen hinter der ausgegebener 
Parole und hießen die Stellungnahme des Gewerk 
vereins in Konferenzen und Versammlungen gut 
Eine Stichprobe diesbeßüglicher Entschließunger 
haben wir ja schon zur Kenntnis gebracht. Sogar 
sozialdemokratische Zeitungen verurteilten einen 
etwaigen Streik aufs schärfste, womit sie dem Gewerk 
verein die Richtigkeit seines Handelns bestätigten. Er 
reulich ist aber, daß auch die Jungmannen de— 
Fewerkvereins sich in seltener Einmütigkeit hinter di— 
Maßnahmen des Gewerkvereins stellten und die Hetz 
bersuche der Linksradikalen mit einer, eifriger 
Werbetätigkeit für den Gewerkverein 
»eantworten. Das ist die richtige Antwort! Sonst is 
nan ja leicht geneigt, die Rigend eines besonder? 
Samstag, den 19, Nugust 1023. 
die Haltung des Gewerkvereins bringt diese Abhand 
lung folgendes: 
„Die Konknrrenzorganisation des Alten Verbandes 
der Christliche Gewerkverein, hatte die 
vorherigen Schwierigkeiten des Verbandes am eigenen 
Körper (Erschüttterung des Vertrauens und der Auto— 
rität, was durch tattische Manöver — Vorbereitung 
er Kündigung — wieder gut gemacht werden sollte 
D. Red.) nur in sehr viel geringerem Maße erfahren; 
er geriet aber dann durch seine Ablehnung der Kün— 
digungsaktion selbst in eine sdavierige Situotion. Es 
bestand für ihn die Gefahr, daß die mit der Streik- 
agitation verbundene Radikalisierung der Massen auch 
seine Auhängerschaft ergreifen und damit die Position 
seiner Führer überrennen könnte. Die Haltung der 
Christlichen war sachlich ganz unanfechtbar; denn der 
insatz bei dem Spiel des Alten Verbandes war sehr 
ziel größer als seine Chance; aber auch in taktischer 
Hinsicht war der Gewerkverein nicht in so ungünstiger 
Stellung, wie die These des Verbandes, daß nur durch 
die Streikdrohung die Unternehmer zum Nachgeben 
gezwungen worden seien, es behauptete. Unmittelbar 
nach der Ermordung Raäthenaus hatte sich nämlich, 
bevor der Alte Verband seine Kündigungsaktion 
eingeleitet hatte, noch ein anderer Vorgang im Ruhr— 
gebiet zugetragen: der Führer der Christlichen Im- 
busch hatte den psychologischen Moment, den die 
erste Erregung über den Mord geschaffen hatte, schlag 
fertig benutzt, um bei den Zechenbesitzern eine Lohn 
erhöhung durchzusetzen, die für den damaligen Gegen⸗ 
stand sehr beträchtlich und jedenfalls weitergehend war, 
als man es vorher für möglich gehalten hätte. Da für 
den Bergarbeiter wie für alle Lohnempfänger die effek— 
tive Lohnhöhe schließlich wichtiger ist als alle im Tarif 
geregelsen Fragen der Lohnberechnung und Aehn— 
liches, so gab dieser ohne jede Kündigung und ohne 
Streikdrohung erzielte Erfolg dem Gewerkverein eine 
starke Karte in die Hand; außerdem hatte der Gewerk— 
verein danach eine positive Grundlage für seine Be— 
hauptung, daß der Zechenverband vermutlich auck 
ohne Streikdrohung für neue Zugeständnisse in der 
Tariffrage zu haben gewesen waͤre. Tatsächlich scheint 
denn auch der Gewerkverein die gefahrdrohenden 
lebten Wochen gut überstanden zu haben, und es wäre 
im Interesse der Gesamtbewwegung der Bergarbeiten 
und der Arbeitsgemeinschaft zu wünschen, daß die 
von neuem eingetretene Verfeindung zwischen der 
beiden Verbänden sich nicht weiter entwickelte.“ 
Das ist das Urteil eines Blattes, das noch nit 
freundschaftliche Regungen für die christlichen Gerverk— 
schafteu verspiirte. Eine glänzendere Rechtfertigung 
der Haltung des Gewerkvereins konnte gar nicht ge— 
geben werden. Wir freuen uns insbesondere der Fest— 
J daß die Leitung des Gewerkvereins schlag⸗ 
fertig für die Bergarbeiter, als es galt, zur 
Stelle war. Das ist für die Bergleute nützlicher, als 
wenn ihre Leitung mit dem Feuer spielt. Daß auch 
die Behauptung des Gewerkvereins, alle Verhand— 
lungsmöglichkeiten in der Manteltariffrage seien nock 
nicht erschöpft und es sei mit einem Nachgeben der 
Zechenbesitzer zu rechnen, richtig war, bewiesen die 
sochfolgenden für die Bergleute recht erfolgreichen 
Verhandlungen unter dem Voriitz des Reichsarbeits- 
ministers. 
Diese Ruhrbergarbeiterbewegung wäre abgeschlof— 
sen. Die Haltung des Gewerkvereins war einzig rich⸗ 
tig und hat sich für die Bergleute aut bewährt. Diese 
Zeugnisse sind von unbeteiligter Seite ausgestellt. 
Wir wollen nun alle so handeln, wie es die Jung— 
knappen des Ruhrgebietes beschlossen haben: durch 
eine Generalagitation möglichst viele 
Jameraden dem Gewerkperein z2ufüh 
r*o 171 
Durchs Kornfeld 
Ir 
4 
Das ist ein köstlich Wallen, 
Durchs hohe Korn zu geh'n, 
Wenn weit und breit die Felder, 
In goldnen Aehren stehn. 
F 
Die Lerche steigt zum Himmel, 
Horch, wie sie fröhlich singt! 
Sie lobet Gott mit Inbeln, 
Daßz weithin es erklingt. 
Georg Christian Dieffenbach. 
starken Hanges zum Radikalismus zu bezichtigen 
Das Verhalten unserer Jungrnannen zeugt aber von 
Begenteil. Sie haben den Beweis erbracht, daß sie 
sich sehr wohl der Verantwortung schon bewußt sind 
die auf der Gewerkschaftsjugend von heute gegenübe 
der Volksgesamtheit ruht. Die Erzichungsarbei 
unserer Jugendabteilungsbewegung hat damit einen 
großen Erfolg zu verzeichnen. Das sollte die Kreise 
umstimmen, die immer noch versuchen, unserern 
Jugendbeiwegung Knüppel zwischen die Beine zu 
werfen, und vor allem die Eltern der Bergmanns 
jugend aneifern, ihre Jungen, soweit das noch nicht 
geschehen, dieser Bewegung zuzuführen. 
Aber auch sonstige gewichtige Stimmen haben den 
Gewerkverein die Richtigkeit seiner Haltung beschei 
nigt. Die „Soziale Praxis“, das Organ des Verein,— 
für Sozialreform, die sich großen Ansehens in de 
sozialen Welt erfreut, bringt in ihrer Nunnier von 
19. Inli d. J. eine übersichtliche Darstellung über die 
von uns eingebend beleuchteten Vorgänge im Ruhr 
gebiet. Ihr Urteil faht sie wie folat zusammen: 
„Tiese angesichts der gespannten Stimmung in 
Riührgebiet doppelt mannhaften Worte und die unbe 
irrte Stellungnahme des christlichen Bergarbeiterver 
bhandes, der gerade in den letzten schweren Woche 
Jeugnis von hervorragender Geschlossenheit der Auf 
fassung von Führern und Massen gegeben hat, werdern 
der christlichen Arbeiterbewegung unvergessen bleiben.“ 
Man beachte wohl, daß es sich hier nicht um die 
rstbeste Zeitschrist bandelt, sondern um das Organ 
einer sozialen Gesellschaft, die sich Zeit ihres Bestehens 
nit aller Kraft für den sozialen und wirtschaftlicher 
Fortschritt der Arbeiterschaft einseßt, gewisser maßer 
als Bahnbrecher und Wegweiser in dieser Hinsicht 
virkt. Tarum ist auch das Urteil ihrer Zeitichrifj 
doppelt gewichtig. 
Gewichtig ist auch die Feststellung der „Frankfurter 
Zeitung“, die gewiß nicht zu den Freunden der christ 
ichen Gewerkschaftsbewegnung gezählt werden kann 
im Gegenteil, die freien Gowerkschaften wo nur ange 
bracht herqusstreicht. In ihrer Nummer 553 (27. Juli 
st eine längere Abbandlung erichienen, die sich mit 
dem Verhalten der beiden Bergarbeiterorganisgtioner 
nläßlich der Rubrbergbaubewegqung beschäftint. Uebe 
Indexziffern 
Indexzijfern spielen in den letzten Jahren, desonders in 
Zelen fstarker Schwankungen, eine große Rolle. Ihr Erx— 
Lühnen bei Tartsverhandlüngen und dergleichen läßt viele 
in ihnen eine Art gehermutsvoilen Schlüfsel zu den Gehäl— 
tern erblicken, deisen Ursprung und Mitandekommen di— 
meistsen jedoch nicht agenau kennen 
Die deutschen Bezerichnungen jür Inderzijfern „Teue— 
rungszahlben, Meßgiffern, Verhältniszahlen“ façgen, worum 
es sich handelt. Sie stellen einen Verjuch dar, die Lebens— 
baltung in Zahlen festzulegen und diese mit dem Feledens, 
stande 1914 zu vergleichen. Die Festitellung der Inderzif— 
fern geschiebt folgendermaßen: Der Ausgangspunkt, in den 
nreisten Fällen 1814, wird gleich 100 gesetzt. Der jeweilige 
Preis wird dann im Verhältnis zu 100 in der entsprechen⸗ 
den Zahl ausgedrückt, z. B. 1 Pfund Mehl kostete 1914 20 8 
also 20 — 100,1 int Mehi kostete (Mai 1922 aus 
Brotkarte) 750 9, 750 — 8750. Mebl kostete also (Mai 
1922) das 37,3fache des Friedenspreises, begw. der Preis 
ist um 3650 Prozent gestiegen. In der Weise werden an— 
hand bestimmier Berechnungsmethoden die Inderziffern für 
verschiedene Lebensmittel, bezw. für die Lebenshaltung auf 
Fen Die auf diese Art exrrechneten Zahlen sind stets 
crhältnis zahlen. Ebenso ist selbstverständiich die 
Feststellung der Kosten in Markbeträgen, also in absoluten 
Zahlen, möglich. Der Ausgangspunkt ist dann der tat— 
ächliche Preis in Friedenszesnen Außer diesen Inderzif— 
fern, die einen Maßstab für die Teuerüng darstellen sollen, 
aibt' cs ein sogenanntes Ericenminimum, d. h. die Zu— 
sammenstellung der Kosten side dai zur Erbaltung des Kör— 
vers Rud der Urbeilähiatae notwwendiaen Unterbalt
	        
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