soll sich auf wenige, aber vortreffliche Gedichte beschränken.
So verfehlt es wäre, dem Kinde durch verfrühte Lektüre
ihm noch fremde Gefühle künstlich aufzudrängen, so falsch
wäre auch eine zu große Vorsicht. Was die Schule nicht er—
klären kann, wird das Leben oft mit starkem Gehalt erfüllen
und deuten.
Die Lektüre dramatischer Dichtungen kommt weniger in
Betracht, da die meisten deutschen Dramen für das Bürger—
schulalter zu schwer sind. Doch hat die Erfahrung gelehrt,
daß in gut geförderten Abschlußklassen bei günstigen Ver—
hältnissen einige dramatische Meisterwerke unseres Schrift—
tums, vor allem Schillers „Wilhelm Tell“ und wohl auch
Uhlands „Ernst Herzog von Schwaben“ mit gutem Erfolg
gelesen werden können.
Neben der Kindertümlichkeit in Gehalt und Gestalt muß
die künstlerische Vollwertigkeit des Lesegutes ausschlaggebend
für seine Verwendung sein. Denn auch die allgemein päda—
gogischen, die intellektuellen, die ethischen und die religiösen
Werte der Dichtung gelangen um so stärker zur Wirkung
auf Geist und Gemüt des Kindes, je vollendeter sie gestal—
tet sind. Nicht sollen die didaktischen Erwägungen des Leh—
rers, der stoffliche Inhalt der Dichtung, die löblichen er—
zieherischen Absichten des Berfassers über starke künst—
lerische Mängel hinwegsehen lassen. Damit ist nicht vernent,
daß auch didaktische Erwägungen bei der Auswahl der Lese—
stoffe mitsprechen sollen. Von sonst gleich guten und
geeigneten Dichtungen wird man, solche bevorzugen, die An—
knüpfungspunkte für den Unterricht bieten oder in religiös—
ethischer Hinsicht besonders wertvoll sind. Diese Grundsätze
können auf der Bürgerschule um so eher durchgeführt wer—
den, als einmal die schon fortgeschrittene Lesefertigkeit der
Kinder nicht mehr so viele Rücksichten verlangt, als zum an—
deren geeignete, in jeder Beziehung wertvolle Stoffe für
Lesebuch und Klassenlektüre gegeben sind.
Zur unterrichtlichen Behandlung einzel—
ner Stilgattunmgen. Für alle Arten der Dichtungen
gilt der Satz, daß die Art der Behandlung in der Schule
viel mehr Sache der Persönlichkeit als irgend einer Methode
ist. Immer kommt es darauf an, wie weit das Wort des
Dichters dem Lehrer zu plastischer Anschauung gelangt ist,
wie weit und stark die Bilder der Dichtung seine Seele
füllen. Ein Werk, zu dem er kein inneres Verhältnis hat,
sollte er lieber nicht bieten. Denn nur aus wirklicher Ergrif—
fenheit strahlt der Vortrag mit der zwingenden Gewalt des
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