Full text: Vaterlandsliebe

es in den ersten Versen der Bergpredigt (math. 5, 3212) ausgesprochen 
ist, die Katholiken den Eid als einen Akt der außerordentlichen Gottes— 
verehrung darzustellen. Das deutsche Thema lautete: „Was ist von der 
Klage zu halten, daß die Zukunft den Menschen verhüllt sei?“ Gewiß ein 
sehr passendes Thema, nicht bloß für das Examen, sondern für jene ernste 
Zeit, um bei einigem Nachdenken zur Überzeugung zu gelangen, wie weise 
und heilsam es von der Vorsehung eingerichtet ist, daß der Mensch nicht 
in die Zukunft sehen kann. Wenigstens würden zwei von uns AÄbiturienten 
damals nicht mit so großer Ruhe im schriftlichen Cxamen gearbeitet haben, 
wenn sie vorher gewußt hätten, daß sie kurz nach Beendigung der letzten 
ichriftlichen Arbeit militärisch einberufen würden, was tatsächlich geschah. 
Am 13. Juli war die Kriegsgefahr wieder verschwunden. Die Zeitungen 
brachten an dem Tage die Nachricht, daß der Erbprinz von Hohenzollern 
bon der Kandidatur zurückgetreten sei, da er erkannt habe, welche Gefahr 
für den europäischen Frieden seine Königswahl haben würde, und daß 
König Wilhelm diese Entsagung gebilligt habe. Alle Welt atmete auf; 
der Friede schien gesichert, da nun jeder Anlaß zur französischen Empfindlichkeit 
beseitigt war. 
Für uns Abiturienten war dieser Tag gerade nicht der angenehmste, 
denn der lateinische Aufsatz lag uns schwerer im Magen, wie die Kandidatur 
hohenzollern. Das Thema lautete: „Ea data Romanis sors fuit, ut 
magnis omnibus bellis victi vincerent (Civius).“ Daß man durch große 
Niederlagen zum Siege gelangt, klingt anfänglich paradox. Indessen 
beweist die Geschichte der Römer — man denke nur an die punischen 
Kriege — die Richtigkeit des Satzes vollkommen. Mit Recht haben die 
größten Kriegsmeister aller Zeiten die römische Feldherrnkunst, insbesondere 
die eines Cäsar gepriesen, der nach einer Niederlage wieder schlagfertig 
dastand, da er nicht in der Masse der Streitkräfte, sondern in der 
Geschwindigkeit ihrer Bewegungen, im raschen, verwegenen handeln die 
Bürgschaft des Sieges fand. Galten doch die Franzosen lange Zeit als 
die Nation, in der vorzugsweise das römische Volk in politischer, militärischer 
und geistiger Beziehung seine Wiedergeburt feierte, wenn auch der keltische 
Nationalcharakter durch die Einflüsse der römischen Kultur auf Gallien nie 
ganz verwischt wurde. Dies gilt besonders von der Kriegslust und Raubsucht 
der Kelten, die man mit Recht die „Landsknechte des Altertums“ genannt 
hat. Und nun sollte dieses Prestige der soldatischen Tüchtigkeit des 
französischen heeres in unserer engen heimat auf Spicherns höhen die 
erste Erschütterung erleiden, ihr unerschüttertes Ansehen geschwächt, und der 
Nimbus der Glorie, der in dem Seitalter Ludwigs XIV. und dem des 
großen Napoleon ihre Fahnen geziert hatte, zerstört werden. In der Tat, 
eine großartige Wandlung in dem Schicksal einer Nation, eine Wandlung, 
die die glorreichste Cpoche in der Geschichte unseres deutschen Vaterlandes
	        
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