Full text: 12.1934 (0012)

Andere Zeiten, andere Sitten! So streng Fürst Johannsen dachte, um so 
leichter nahmen seine Genossen späterer Zeit auf dem Thron Nassau-Saarbrück 
die ernste Angelegenheit. Wilhelm Heinrich war in dem berührten Punkt nicht 
gerade ein Held, wenn auc nicht von dem Zynismus seines Sohnes. Fürst 
gudwig antwortete ganz offen seinen beiden obersten Räten auf deren ernste 
Vorstellung über sein „Verhältnis“ zur Gänsegretel „Mein Herz will ein 
Attachement*) haben, dieß habe ich gefunden und. hätte 
keinbesseresfindenkönnen...Mankanneinguter Fürst, 
einehrlicher Mann seinund do<h ein Shäßgen haben.“ Seine 
Maitresse beruhigte über ihre Stellung der Hofrat Dern, der ihre freie Liebe 
den wahren, verehrungswüdigen Herzensbund vor dem inneren 
Altar nannte, einer Gemeinschaft, der man Statuen errichten müßte. Die 
Bürgerschaft entsetßzte sich über solche Verwilderung, sie schüßzte Arbeit und 
frommer Glaube vor dem Ausleben ihrer Wildlinge. Aus innerer Sauberkeit 
erwuchs hier Treue und Reinheit, die nicht dem Zwange der drakonischen Ge- 
see eines Johannsen gegeben war. 
Wer verheiratet unter seinem Szepter lebte, durfte nicht nach dem heute 
so beliebten Schlager handeln: „Nur einmal blüht im Jahr der Mai und neun- 
mal im Leben die Liebe.“ Bei kleinen Streitigkeiten in der Ehe griff schon 
die Behörde ein. Der schuldige Teil erhielt eine „längere harte Gefängnisstraffe, 
Speisung mit Wasser und Brot, Abnehmung einer Geld-Busse, ordentlichen Für- 
stellung in der Kirchen, auch etwan zeitliche oder ewige Verweisung des Landes 
und ist sonst mit allem Ernst zu straffen“. 
Eheleute, die sich viel zankten, wurden „gemeinsam in den Turm gesperrt“, 
bis sie „des langen Haders müde, erweichten ihren harten Sinn und machten 
endlich Frivde Es heißt da weiter u. a.: „Nachdem sich zu Zeiten zuträgt, 
daß Eheleut, so einander öffentlich zur Kirchen geführet, aus Zorn, Haß, Neid 
oder andern Unwillen, so der Satan als abgesagter Feind des Ehestandes, 
auch etwan böse unruhige und unartig Leut zwischen ihnen erwecken, nicht 
allein in stetigem Palg, Schlägerei, Uneinigkeit, Zank und Hader mit einander 
leben, sondern auch bisweilen von einander lauffen, so ist unser Befehl, daß 
die Pfarrer sie zunächst zu gebührlicher Buss ermahnen. Da aber eine Ütliche 
Vermahnung und Erinnerung bey ihnen nichts würcken wolte, so foll man, 
sütteinaten die Ehe ein unauflöslih Band der Seele, Leibs und Guts, auch 
jJöchste Lieb und Treu sein soll, nicht scheiden.“ Im Falle aber die Ehegatten 
sich in ihrem gemeinsamen Gefängnis im Turm nicht einigen konnten, wird 
nach dem Gesetz anscheinend der Frau die Schuld beigemessen, denn es heißt: 
„Im Falle aber eine Weibsperson so halsstarrig befunden würde, die sich in 
keine Weg mit ihrem Ehegenossen vertragen oder versöhnen lasse, sondern die 
darüber eingenommene Warnung und Straff in Wind schlagen und verachten 
wolte, gedenken wir gegen solhe muthwilligen Verächtern und Zerstörern ehe- 
lichen Stands mit UO Wen Ernst als Verweisung unseres Fürstenthums oder 
in andere Weg zu verfahren.“ 
„Das ist wenig freundlich gegen das schwächere Geschlecht. Welch erstauntes 
Gesiht würde Fürst Johannsen gemacht haben, wenn ihm ein Sciller hätte 
vorharfen können: „Ehret die Frauen, sie flechten und weben, himmlische Rosen 
ins irdische Leben“, oder ein moderner Poet: „Kommt den Frauen zart ent- 
egen!“ 
- Das Heiraten zu jenen Zeiten war überhaupt nicht so einfach wie in unseren 
Tagen. Da erweist sich trozdem der Jsegrimm sogar als Reformator. Bis 
dahin war es Sitte und Recht, daß junge Leute, die gemeinsam bei einer Taufe 
Pate standen, sich nicht verheiraten durften, „da sie nunmehro Geistlich eynander 
verwandt seyend“. Dieses uns völlig unbegreifliche Gesetz hebt Johannsen auf, 
„dieweil solches keinen Grund weder in Heiliger Göttlicher Schrift nod) sonsten 
in der Vernunft hat: Sondern zum Theil aus Aberglauben, zum Teil aus der 
Geldsucht hergeflossen und dann, wann solche Ordnung gelten sollte der Ehe- 
* ) Vattachement, im modernen Deutsch: das „Berhältnis“. 
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