Aus dem Bergrevier.
Abfuhr. Die Grube X. iſt eine von der preußiſchen Bergverwaltung modern ein-
gerichtete Anlage. Es kamen und kommen fortwährend internationale Gäſte, die Zeche
zu beſichtigen. Eines Tages erſchienen, vom Diviſionär B. geführt, franzöſiſche Hochſchüler
mit ihren Lehrern, die vornehmlich eine neue Fördereinrichtung beſichtigen wollten. Aus
irgend einer Urſache klappte die Sache an dieſem Tage nicht. Der Diviſionär trifft in
Gegenwart ſeines Beſuches den Steiger und hält ihm in nicht gerade höflichen Worten
verſchiedenes vor. Der Steiger erwioert ihm ruhig, daß er nach Anordnung des früheren
Leiters gearbeitet habe und ihn ſomit keine Schuld treffe. „Wer hat das angeordnet,
war das ein Fachmann oder war es ein Schuſter oder ein Schneider?“ Schon wollte die
Zornesröte dem Steiger ins Geſicht ſteigen, ſchon wollte er heftig werden, als er fein
überlegend ſagte: „Die Anordnung für iden jezigen Ausbau hat, wie ich ſchon geſagt
habe, ein höherer franzöſiſcher Beamter gegeben, ob der ein Schuſter oder Schneider war,
das kann ich Ihnen leider nicht mehr ſagen, ich weiß es wirklich nicht.“ Der Diviſionär
biß ſich, verärgert über dieſe Abfuhr, auf die Lippen, ſ<wieg aber. Die jungen Studenten
mußten zum größten die deutſche Sprache verſtehen; während eine kleinere Zahl der
Bergbefliſſenen, die peinliche Situation nur ahnend, verlegen lächelte, blickten die übrigen
den ſchlagfertigen Steiger mit wütenden Blicken an. Seit jener, für ihn ſo unangenehmen
Stunde iſt der Diviſionär B. in ſeinen Reden ſehr zurückhaltend und vorſichtig geworden.
Ein Kapitel von franzöſiſcher Maſchinenbaukunſt. Es war 1925. Die franzöſiſche
Brubenverwaltung lieferte für die unterirdiſche Förderung der Grube V. Druckluftloko-
motiven aus Frankreich. Die bisherigen von Shwartzkoppen-Berlin waren ſehr gut und
bewährten ſich, aber die franzöſiſche Induſtrie ſollte ihre Leiſtungsfähigkeit gegenüber
den exakt arbeitenden deutſchen Firmen zeigen. Die neuen Maſchinen trafen ein und
wurden mit reichlihen Vorſchußlorbeeren von den franzöſiſc<en Beamten begrüßt. Ver-
pulvertes Geld, la gloire de France verſagte hier wieder einmal kläglich. Kolbenbrüche,
Achſenbrüche und Entgleiſungen waren die üblichen Tagesfreuden. Für die Grubenverwals-
ung bedeutete dieſes Pech eine enorme Förderverminderung, für das Maſc<hinenperſonal
eine Mehrarbeit und für die Bergleute einen Lohnausfall. Sachverſtändige kamen,
ordneten an und gingen heim. Eines Tages kamen ſie auch wieder. Die drei neuen
Lokomotiven ſtanden neben den alten im Schuppen. Irgend ein Spaßvogel hatte mit
voter Mennigfarbe auf die franzöſiſchen Fabrikate geſchrieben: „Zurück nach Frankreich“.
Die Stimmung ider franzöſiſchen Ingenieure war ſchon dadurch nicht roſig. Die Lokos»-
motiven wurden ſofort in den Betrieb genommen und mit gewöhnlicher Belaſtung ge-
fahren. Neben dem Lokomotivführer ſaß ein von ſeinen nicht vorhandenen Kenntniſſen
ſehr eingenommener franzöſiſcher Ingenieur. Plötzlich ein Ruck: der Zylinderdeckel flog
weg und die ausſtrömende Druckluft ziſchte. Am Nachmittag heftige Auseinanderſezung
mit dem deutſ<en Grubenbeamten, idem 'der Betrieb unterſtand. „Sie nicht aben der
ſchuldige Mann beſtraft!“ „I< darf doch nicht einen franzöſiſchen Jngenieur auf den
Strafzettel ſetzen,“ war die Antwort des zuſtändigen Grubenmaſchinenſteigers. Die
Maſchinen erhielten ihre Abkehr und der deutſche Steiger auch; ein ſchuldloſes Opfer
zur Rettung der höheren Ehre verfehlter Maſchinenkonſtruktion franzöſiſcher Baukunſt.
Die Jugend im Geſangwettſtreit mit Micumſteigern. Als Ziel für den diesjährigen
Ausflug der Grubenbeamten der Zeche „Seltenfroh“ wurde im Juni von hoher Seite
Karlsbrunn beſtimmt. Man mußte doch einmal den Warndtwald durchwandern, von dem
die deutſche Preſſe ſo viel Aufhebens macht, und ſich zugleich den Einwohnern von Karls-
brunn auYH von liebenswürdiger Seite zeigen. Man glaubte wohl, die guten Leute dort
würden in Vorausſicht eines guten Geſchäftes über das Erſcheinen einer Anzahl Fran-
goſen Purzeibäume ſchlagen. Einige deutſche Beamte mußten, der Not gehorchend, mittun.
Ihren Kohlenlungen bleibt übrigens Ausſpannung und Atmen in der Waldesluft ſicher
zu gönnen. Am Eichenkopf wird angetreten. Der geſamten Bergkapelle folgt der
Ingenieur Principal, Ingenieur Divisionaire, viel Ingenieures ordinaires, dann die beliebten
Micum-Herrſchaften uſw. Ueberall, wo Muſik iſt, fehlt auch die Jugend nicht, ſie erſcheint
in hellen Haufen und marſchiert in voller Ordnung am Schluſſe des Zuges wacker mit.
Die Einwohner von Karlsbrunn ſtaunen, was iſt das? Die Bergkapelle, hinter ihr
fremdländiſche Geſichter und idie Jugend aus voller Kehle ſingend: „Deutſch iſt die Saar!“
Im Zug wird man unruhig, man winkt der Muſik und ſie ſpielt den alten Steigermarſch:
„Glückauf, Glückauf, der Steiger kommt!“ Umſonſt verſuchen die zu „Franzoſen“ gewor-
denen „Steiger“ die fröhlich weiter ſingende Jugend zu übertönen und wiederholen
immer die Endſtrophe mit dem erhebenden Refrain: „Denn ſie tragen das Leder vor dem
A. bei der Nacht, denn ſie tragen das Leder vor dem A. bei der Naht!“ Vergeblich, die
Jugend ſingt, die hellen Stimmen laſſen nicht locker. Die Karlsbrunner klatſchen Beiiall,
die Gegner ſchweigen endlich, und immer noch jubelt die Kinderſchar friſc< hinaus:
„Deutſch iſt die Saar, deutſch immerdar!“
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