Saarkalender für das Jahr 1930
Jean Lüttgens, Rheinlands Eiche.
Von Geheim. Bergrat Dr. Hilger.
In meiner Dudweiler Referendarzeit ereignete ſich eine Epiſode, die faſt
einen Schatten auf mein bergmänniſches Daſein geworfen hätte.
Wir waren eine ungewöhnlich vergnügte Geſellſchaft von Referendaren
und Befliſſenen, die unter dem im Dienſte ſtramm, aber außer Dienſt ſehr
verſtändig und menſc<lih denkenden, jovialen Bergwerksdirektor Morit
Heyder eine reizende Zeit in Dudweiler verlebte. Tages Arbeit, abends
Gäſte, ſei es im Hotel Zix, ſei es auf der „Menage“ in der Hirſchbach bei der
trefflichen alten Frau Schneider. Ueberall kamen wir, was die leibliche Ver-
pflegung, Eſſen und Trinken, anbetrifft, glänzend auf unſere Rechnung und
ſchwangen den Humpen, daß es eine helle Freude war.
Zwiſchen den einzelnen Berginſpektionen beſtand ein ſehr netter Verkehr.
Bald fuhren wir nach Heini, dann waren die Heinitzer bei uns, dann war
in der Hirſchbach „Zores“ =- der Name für eine geſellige Vereinigung ulk-
kafleſter Art, bei der auc< Pantomimen und Aehnliches dargeſtellt wurden.
Ih erinnere mich, daß wir, als auf der Grube Dudweiler unter den Pferden
die Roßzkrankheit ausgebrochen war, den Roß ſymboliſch darſtellten. Wir liehen
uns dazu ein Karuſſellpferd = in Dudweiler gab's damals viel fahrendes
Volk, bei dem ſolche Dinge zu haben waren. In jedes Naſenlo< von dem
wundervollen Schimmel leiteten wir das Ende einer gebrauchten Telegraphen-
rolle und konnten nun aus jedem Naſenloch ſo etwa einen Kilometer Rotz
herausziehen.
Mit fahrendem Volk paſſierte aber auch folgende Geſchichte.
In Dudweiler war ein Wanderzirkus, der alle möglichen Spezialitäten
batte, auch einen Ringkämpfer, der unter dem Namen „Jean Lüttgens, Rhein-
lands Eiche“, ähnlich wie der Rieſe Goliath, jeden Menſchen aufforderte, mit
ihm in den Ringkampf einzutreten, und der dem Sieger fünf Taler gleich
15 Reichsmark zuſicherte.
- Wir ſaßen abends mit unſerem Chef, dem Bergrat Heyder, dem dama-
ligen Berginſpektor, ſpäter als Berghauptmann verſtorbenen Georg Graeff
und anderen ordentlichen Männern, zu denen auch der Direktor Hallwachs
von der de Wendelſchen Kokerei auf der Hirſchbach gehörte, in dem Zirkus.
Gegen Schluß erſchien dann Rheinlands Eiche mit der troßzigen Herausforderung
an Gott und alle Welt, mit ihm zu ringen und ſich fünf Taler zu verdienen.
Eine Reihe von jungen Leuten wagte die Sache, wurden aber von Jean Lütt-
gens, Rheinlands Eiche, glatt in den Sand der Manege gelegt.
Nun verfügte ich damals über ein niht ganz gewöhnliches Maß von
Körperkräften und hatte auch im Ringen eine gewiſſe Erfahrung und Gewandt«-
heit. Auf einmal ſagte der Bergrat Heyder zu mir: „Hilger, gehen Sie mal
herunter und ſchmeißen Sie den Kerl! Wenn Sie ihn ſchmeißen, kriegen Sie
von mir noh qenf Taler!“ Alſo ich runter in die Arena. Rock aus, Weſte aus,
Kragen ab. y hatte mir längere Zeit in drei oder vier Vorkämpfen den Trick
von „Jean Lüttgens, Rheinlands Eiche“ angeſehen und mir ganz kurz einen
Pian gemacht, wie man ihn hinlegen konnte. Der Plan gelang vollſtändig,
denn auf das „Los!“ kriegte ich ihn glatt an den Nacken, drehte ihn herum
und legte ihn hin.
Das Freudengehoul von der Zirkusgeſellſhaft, die meiſt aus Bergleuten
unſerer Berginſpektion beſtand, mußte man hören! Rheinlands Eiche be-
hauptete zwar unter energiſcher Zuſtimmung des Zirkusperſonals, die Sache
ſei niht kommentmäßig verlaufen. Aber die geſamten Os nahmen noch
energiſcher meine Partei. Jh verzichtete großmütig auf die fünf Taler von
Zu