Saarkalender für das Jahr 1939
Zu Hauſe angekommen, verſenkte er den Schlips ſtill in eine Schublade.
Was meinſt Du, Erna, ſagte er am nächſten Morgen, als ex ſich raſierte, Dein Vater
kleidet ſich gern modern und jugendlich, wenn man ihm den Schlips. . .
Aber natürlich, rief ſie erfreut. Er wird ihm prächtig ſtehen zu ſeinem ſchwarzen Bart.
TH werde ihn aufbügeln, Du haſt ihn ja kaum zweimal angehabt. . . .
Der Schlips machte ſeinen Weg durc Pommern über Schneidemühl, er fuhr dur< die
Uckermark an Küſtrin vorbei und Berlin, erreichte Frankfurt am Main, wurde um-
geladen, überquerte den Rhein und ſetzte ſeine Reiſe an der Nahe entlang fort und fuhr
ſaarabwärts, bis er die Mſoel erreichte, das kleine Kreisſtädt<hen und das altmodiſch ſtatt-
lihe Haus am Markt des Weingutsbeſizers Wentenich in Bernkaſtel. Am dritten Feier-
tag lag er auf dem Weihnachtstiſch.
Donnerwetter, ſagte Herr Wentenich, als ihm der Schlips entgegenfunkelte. Dieſe
Farben müſſen in Putzig Mode ſein, ſowas haben die hier noch nie geſchaut. . . Er band
ihn gleich um und ging zum Stammtiſch. Man bewunderte den Schlips allgemein. Durch
da= Aufbügeln waren die Regenbogenfarben nur noh ſtrahlender geworden, die Zimt-
farbe brüllte nur ſo. . . Nur ſein Ueberzieher paßte nc<t dazu, fand der arrogante
Aſſeſſor. Zu dieſem Schlips paßte nur ein kubiſtiſ<er Mantel.
Jeder hatte ſeine Bemerkung über den neuen Schlips zu machen, das Dienſtmädchen,
die dumme Gans, ſtemmte beide Arme in die Seiten und lachte ſchallend. ... Dunnerkeil,
hörte er den Briefträger in der Haustüre ſagen, wat hat dann euer Herr ſich for en Kra=-
watt umgeſchnallt? So en Farb han ich in meinem Läwe no nit geſiehn.
Und die Leute drehten ſich auf der Straße fortwährend nach ihm um, wenn Herr
Wentenich mit ſeinem neuen Schlips erſchien. . . Eines Tages begegnete Herr Wentenich
ſecmer kleinen Nichte Maria, die inmitten einer Schar Freundinnen mit ihrem Scul-
ranzen in einer verſchoſſenen grünen Tellermüße dahergetrollt kam. Und er ſagte zu
ſeiner Frau. . . Dat Maria hat immer ſo häßliche Hüt auf, ich mein, man ſollt mal wat
für dat Kind tun. Der Schl1ps, das gäb en feiner Haarſchlopf für dat Maria. . .
So kam es, daß Maria Wentenich eines Morgens in der Klaſſe erſchien mit einer kühn
aufrecht ſtehenden, ſtarren Elſäſſerſhleife in Regenbogenfarben. Und die ganze Klaſſe
ſtarrte ſprachlos dieſe Schleife an. . .
Rein, Maria, ſagte die Lehrerin. . . So etwas kann man nicht auf den Kopf ſetzen,
das geht nicht, da wird. es mir grad ſchleht. Sag das Deiner Mutter. Und die Kinder auf
dem Heimwege ſagten es auch. Maria heulte jedesmal, wenn ihr die Mutter die neue
Schleife umband, ſchließlich verſchwand die pompöſe Schleife in einer Schublade unter
den Morgenhauben.
Als das nächſte Weihnachtsfeſt nahte, erinnerte ſich Marias Mutter, daß die Tante
in Sulzbach noch nichts von hr bekommen hatte und es fiel ihr plößlich die ſchöne Scleife
ein, die „ſo gut wie neu“ war. Sie arbeitete eine warme Morgenhaube aus friſc<hgeſtärkten
Spitzen und ſchmückte dieſe mit der Schleife, und der Regenbogenfarbige trat wieder ſeine
Reiſe an in einer weißen Schachtel.
Er fuhr an der Moſel entlang bis Trier, wurde umgeladen, ſchlüpfte dur< unzählige
Tunnels und glitt über Brücken, bis er Saarbrücken erreichte und fuhr mit dem Perſonen-
zug nach Sulzbach. Und eines Morgens hielt Tante Alwine zu ihrer Verwunderung eine
Morgenhaube in der Hand, auf der wie ein großer farbenſchillernder Schmetterling eine
ihr wohlbekannte Scleife ſaß. . . Sie ſetzte die Haube vor dem Spiegel auf, aber ebenſo
raſch ſette ſie ſie wieder ab. So pietätvoll Tante Alwine auch war, dieſe Haube ſtand ihr
wirklich nicht. . . Da in dieſen Tagen gerade ein Wohltätigkeitsfeſt ſtattfand, ſtiftete ſie
die Haube für die Tombola.
Einige Tage nach der Verloſung, als die Tante am Fenſter ſaß, ſah ſie im gegenüber-
liegenden Schaufenſter des Friſeurs auf dem Kopf einer Wachsfigur ihre Haube prangen.
Sie „Fiirzi in der Sonne und alle Leute blieben davor ſtehen. Ste war wirklich nicht zu
en.
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