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Saarkalender für das Jahr 1939
Das Rezept .
Von Liesbet Dill.
Bis heute hat er noch nicht begriffen, weshalb ihm eigentlich gekündigt di
und weshalb der Herr des Hofes ihn damals mit ſo wütenden Augen angebrüllt
hat: „Hinaus, hinaus, mit Euch . . .“ und ſo oft ers im Wirtshaus den Freunden
erzählt, weiß er nicht, weshalb ſie das noh lächerlich finden. Denn es iſt gewiß
nichts Lächerliches dabei, wenn einer Halsentzündung bekommt, mitten in der
Weinleſe, wo man ſie wahrhaftig niht gebrauchen kann, beſonders wenn ein
geſegnetes Jahr iſt, wo ſie nicht Fäſſer, nicht Arme und nicht Kübel genug
hatten, um den Wein zu faſſen . ..
Es regnete und war kalt, wie meiſt zur Leſe an der Saar, die Männer
hatten Wollſ<hals umgewickelt, die Frauen ſtanden in dicken wollenen Jacken
zwiſchen den feuchten Reben. Und der Herr war überall dabei und beaufſichtigte
das Leſen, aber in hohen Waſſerſtiefeln und einer Lederjoppe.
Wenn man in der Stadt krank wird, holt man den nächſten beſten Doktor,
in zehn Minuten iſt er da mit ſeinem Auto. Aber hier auf dem abgelegenen
Hof, der keine Bahnſtation hat, iſt 5as nicht ſo einfach, ein Telephon beſeß
Bulles damals noch nicht, als die Geſchichte paſſierte. Alſo, der Herr hatte ſi
hingelegt, mitten in der Leſe und konnte nur noch ganz leiſe flüſtern, was
man an ihm wahrhaftig nicht gewöhnt war. Er glaubte ſchon, es ſei hin mit dem
Reſpekt, denn der Joſeph machte ſo ein albernes Geſicht, als er den Herrn im
Boit ſien ſah in den dicken Federkiſſen. das wollene Halstuch umgeſchlunger.
„Was grinſt Jhr, he?“ ſagte der Herr mit unnatürlich demütiger und leiſer
Stimme. „Was iſt da zu gloßen? I< hab Fieber, ich lieg niht zum Spaß im
Bett.“ Und er erteilte dem Sepp den Auftrag:
„So raſc<; wie möglich das Gefährt aus dem Stall, den beſten Schimmel
vorgeſpannt und zur Stadt gefahren, zum Doktor.“ Von dem ſoll er ſich das
Rezept für den erkrankten Hals geben laſſen und ſo fix wie möglich heim-
kommen. Und der Sepp hatte geſagt: „Jo, jo, Här, ich machenet ſchon ſo . . .“
Er bekam es noc<hmal expliziert von der dicken Amie, der Haushälterin, wo der
Doktor wohnte, denn der Joſepp war aus der Eifel und noch in ſeinem Leben
nicht in der Stadt geweſen. Und er fuhr los, in die neblig-feuchte Nacht hinein ..
Die Abendglocken läuteten, als er aus dem Hof fuhr, und der fiebernde
Harr mit ſeinem geſchwollenen, brennenden Hals rechnete aus: dreiviertel Stond
hin, dreiviertel zurück, eine Viertelſtunde für den Doktor, eine halbe in der
Apthek, alſo kann er in zweieinhalb Stunden zurück ſein. Und er legte ſich ver-
dieht wieder hin.
. Die Stunden rannen unendlich langſam dahin. Der Kranke ſah immerfort
nach der Hör: er fluchte leiſe -- laut ging es nicht mehr -- vor ſich hin. Die
Amie, die ihm heiße Milc< brachte oder ihm einen Löffel Honig aufnötigte,
verſuchte ihn zu tröſten. Sie fragte, ob ſie ihm etwas zum Zeitvertreib aus der
Bibel vorleſen dürfe, aber auc, dazu war Herr Bulles nicht in Stimmung.
Nicht einmal den „Saarkalender“ wollte er ſehen . . . Er wollte, daß der Kerl
aurückkäme und ihm die Arznei brächte, daß er ſein Halsweh loswürde und
wieder Stimme bekam. Er lauſchte angeſpannt auf das Rollen eines Wagens
und ſah fortwährend nach der Uhr .. . . Er ſchwißte und dachte an den Sepp
mit dem Schimmel, der oft ſeine Mucken hatte. Sollte etwas paſſiert ſein
unterwegs? Endlich, endlich hörte man das Rollen eines Wagens. Es näherte
ſiH. . . . Und bald darauf ratterte ein Wagen in den Hof. Oben auf der Treppe
ſtand die Amie und rief in den dunklen Hof: „Biſt Dau et, Sepp?“
„J9, ich bins,“ antwortete die Stimme des Knechts aus der Dunkelheit.
„Haſte alles Kritt 2“
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„1