Saarkalender für das Jahr 1939
Der Sriederikenſhienenweg.
Das älteſte Projekt einer Eiſenbahn mit Lokomotivbetrieb in Deutſchland ſtammt aus
dem Jahre 1816 und ſollte im Saargebiet verwirklicht werden. Leider ohne Erfolg. Der
„Saarkalender“ hat in einem der früheren Jahrgänge näheres hierüber gemeldet. Das
veranlaßte einen höheren Bergbeamten, der einſt die Akten in dieſer Sache genau ſtudiert
hat, noch einige intereſſante Notizen darüber dem Jahrbuch zu übermitteln.
Bei der erſten Generalbefahrung durc< Oberberghauptmann Gerhard, Berghauptmann
Graf Beuſt und Bergamtsdirektor Sello im Jahre 1816 wurde angeordnet, daß zur
Verbindung der Grube Bauernwald (ſpäter mit der Grube Großwald zur heutigen Grube
Gerhard vereinigt) mit der Saar ein 8000 Fuß, gleich 2% Kilometer, langer gußeiſerner
Schienenweg hergeſtellt und der Transport auf demſelben durch einen „Dampfwagen“
vermittelt werden ſollte.
Letzterer, von dem ein kleines Modell bereits angefertigt und der Königsgrube in
Oberſchleſien zur Probe überwieſen worden war, ſollte in der königlichen Gießerei in
Berlin gebaut werden.
Man begann bald mit der Herſtellung der Bahn, welche den ſtolzen Namen „Friede-
rikenſchienenweg“ erhielt, und zwar zunächſt auf hölzernen Schienen, auf welche ſpäter
die nach einem Berliner Modell in der königlichen Eiſengießrei zu Geislautern anzu-
fertigenden Eiſenſchienen befeſtigt werden ſollten.
Am 22. September 1818 gelangte der Dampfwagen, wohlverpackt in acht Kiſten und
174 einzelnen Stücken in einem Geſamtgewicht von 8740 Kilogramm, in Berlin zur
Abſendung, und zwar auf dem Seewege. über Hamburg--Amſterdam, Köln, Koblenz,
Trier nach Geislautern, wo er am 4. Februar 1819 anlangte.
Unverzüglich ging es an die Zuſammenſetzung = eine ſchwierige Aufgabe für die
damalige Zeit, zumal man in Berlin keine Zeichnung beigelegt hatte. Welch ein Kopf-
zerbrechen das verurſachte, iſt aus einer alten Rechnung zu erſehen, laut welcher 3. B.
zum Dichten des Keſſels und der Zylinder u. a. nachſtehende ſchöne Sachen verbraucht
worden ſind: 1 Pfund Hanf, 2 Stück Käſe, 24 Pfund Oel, s Ellen Leinwand, 15 Pfund
Kitt, ein Kübel Rindsblut, 10 Pfund Mehl, 2 Maß Eſſig u. a. m.
Endlich war die Montage beendet und nun ſollte am 28. Juni 1819 der erſte Fahr-
verſuch beginnen. Man heizte nach allen Regeln der Kunſt, bis daß den Beteiligten
Kitt, Leinwand, Oel und Waſſermengen um die Köpfe flogen. Allein zu einer Be-
wegung war das edle Dampfroß nicht zu veranlaſſen und erſt unter
Zuziehung von a<ht Mann und einigen Winden gelang es, dasſelbe überhaupt ein wenig
vom Plate zu bringen.
- Der leitende Ingenieur gab als Urſache dieſes ſeltſamen Eigenſinns an: der Kolben
ſtoße an die Radgeſtelle (!), die Zahnräder hätten ungleiche Zähne (!) und der Dampf
ſtehe gleichzeitig an beiden Seiten des Kolbens (!). Uebrigens dürfte der Verdacht nicht
ungerechtfertigt ſein, daß die Herren in Geislautern bei der Montage doh wohl etwas
verſehen hatten. Bei einer Probefahrt auf dem Hofe der königlichen Eiſengießerei in
Berlin ſoll der Wagen auf einer 100 Fuß langen Probeſtrecke ſich tadellos vor- und rück-
wärts bewegt und dabei einen Anhänger mit 8000 Pfund Bomben gut gezogen haben.
„Mit der Lokomotivförderung auf der neu hergeſtellten „Strecke wurde es alſo nichts.
Das Ungetüm ſelbſt wurde von den gelehrteſten Leuten in die Kur genommen. Es gelang
auch allmählich, dasſelbe zu einer beſcheidenen Selbſtbewegung zu veranlaſſen. Einen
Wagen hat es nie gezogen. Im Jahre 1835 vollendete es ſeinen irdiſchen Lebenslauf, indem
Zn 334 Taler, 6 Sgr., 7 Pfg. als altes Eiſen verkauft wurde. 3116 Taler hatte es
gekoſtet.
So kam die Saargegend um den Ruhm, die erſte Lokomotive des Kontinents gehabt
zu haben. Erſt 31 Jahre ſpäter lief die erſte Saarbahn von der bayeriſchen Grenze bis
Heiniß, die im Jahre 1852 bis Saarbrücken und zur franzöſiſchen Grenze erweitert wurde.
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