Saarkalender für das Jahr 1929
Eine Erzählung aus der Zeit kurz nach dem Erlaß der Proklamation beweiſt uns,
wie die französischen Truppen nach diesem Erlaß handelten. Ein evangelischer Geistlicher
eines nicht weit von Saarbrücken gelegenen Dorfes (gemeint iſt offenbar Völklingen) .
wurde öfters von Offizieren des damals im Köllertal liegenden preußischen roten Huſaren-
Regimentes besucht, die bald ein Frühstück, bald ein Veſperbrot von dem durch und durch
deutsch gesinnten Manne ſich erbaten. Da wurde dann manches über die auf dem anderen
Saarufer kampierenden republikanischen Truppen gesagt, das im Interesse des Pfarrers
in so gefährlicher Nähe besser nicht durch Tür- und Wänderitzen gedrungen wäre. Sicher-
lich mag auch nicht jedes Gläschen aus des Pfarrers Keller auf das Wohl der französischen
Sans-Culottes getrunken worden sein. In einer finsteren Nacht, als die deutschen Offi-
ziere nach einer schönen fröhlichen Sitzung beim Pfarrer in das Köllertal zurückgekehrt
waren, wurde das Pfarrhaus von einem Piquet französischer Soldaten, die durch die Saar
gegangen waren, umſtellt. Die Türe des Pfarrhauſes wird gewaltsam geöffnet und eine
Order vorgezeigt, dergemäß das eintretende Piquet den Citoyen Paſteur gefangen nehmen
und nach Metz vor das Tribunal abführen solle, weil der Pfarrer sich, wie es hieß, in
eine zu intensive Bekanntschaft mit besagten Huſaren-Offizieren eingelassen habe und den-
selben allerlei von dem, was unter seinen Augen auf dem anderen Saarufer vorging, er-
zählt habe. Der Pfarrer hatte zwar, von dem Lärm aufgeschreckt, sich noch in den Tauben-
ſchlag flüchten können. Nachdem man aber das ganze Haus durchsucht und zum Teil ge-
plündert hatte, fand man den alten Mann durch Verrat eines seiner Pfarrkinder im
Taubenschlag. Die Wüteriche ergriffen ihn bei den Haaren, schleppten ihn die Stiege hinab
in den Pfarrhof. Da ergab sich, daß der gefundene traître à la République vom Schlage
gerührt, wie leblos war. Da man nun keine Order hatte, einen Leichnam vor das Tribu-
yg! in Metz zu ſchleppen, ließen die Republikaner ihn liegen und zogen mit Beute be-
aden ab.
Ein Nachbar, ein ehrſamer Hufschmied, kam noch rechtzeitig herbei und rettete dem
Pfarrer durch Oeffnen einer Ader das Leben. Der Pfarrer, der wieder zu sich kam und
bald wieder geſund wurde, zog kurze Zeit darauf mit dem Rest seiner Habe und seinen
fünf Kindern in das preußiſche Lager und wartete dort bessere Zeiten ab. Ä
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Aus dem Revolutionsjahr 1848.
Original im Beſitze des Herrn Iulius Becker. ;