Saarkalender für das Jahr 1929
Urgroßväter mit ſteifen, die Ohren kitzelnden Vatermördern und den dicken ſchwargz-
ſeidenen Halstüchern im Schmuck ihrer buntseidenen Gillets. Die werten Ehehälften neben
ihnen, die kleidſamen Schillerlocken um das ernſte Gesicht, den Oberkörper eingeengt in
Schneppentaillen. Alle lauſchten in den erſten Jahren meiſtens uns heute ganz unbegreif-
lichen Machwerken, Schmarren erſter Güte. Die Titel einiger Dichtungen genügen: ,„Die
fröhliche Punſchgesellſchaft“, „Die Seeschlacht und die Meerkatze“, „Einbruch oder die er-
tappten Räuber“, „Der Bär und der Baſſa“, „Der Achtgroſchenvetter“ uſw.
Einige Jahre später werden aber auch ſchon im Muſentempel in der Talſtraße tapfere
Verſuche unternommen, dem „hochgeschätzten Publiko“ gutes zu bieten. So wird Webers
„Freischütz“ hier bereits 1823 gegeben, drei Jahre nach der Vollendung dieses volkstüm-
lichſten aller deutschen Opernwerke. Auch Webers Oberon und Prezioſa, ſodann Werke
von Mozart, Rossini, Auber werden angekündigt. Daneben finden wir Namen edelſten
Klanges: Schiller, Grillparzer u. a. Wir haben daher Ursache, mit Achtung auf das erſte
bürgerliche Schauspielhaus der Heimat zu blicken. Dankbar gedenken wir der mutigen
Verſuche der damals noch kleinen und ärmlichen Heimat, der deutschen Kunſt eine Stätte
zu bereiten. Mit den gesteigerten Ansprüchen verließ man in den vierziger Jahren des
vorigen Jahrhunderts den Platz, der uns, wenn auch mit unzulänglichen Kräften, zuerſt
den Melodienſchatz deutſcher Meister offenbarte und in dem die Bühnenwerke unserer
Klassiker die Geiſter fesſſelte und fortriß.
Das Schauſpielhaus, das soviel Begeiſterung erlebt hatte, lag einſam und verlassen,
ſtatt der freundlichen Muſen zogen wieder Pferde ein und ihre Hufe klapperten, wo einſt
Händektlatschen und Beifallsrufe den Raum erzittern ließen. Später wurde das Gebäude
zum Heumagazin degradiert. Sein Schickſal mag dem alten Bau nahegegangen sein,
er zog Selbſtmord vor und brannte vor etwa 20 Jahren bis auf die Umfassungsmauern
nieder.
Ein Bild dieſes erſten bürgerlichen Theaters des Saarg ebiets
war bis vor kurzer Zeit nicht aufzutreiben. Der Zufall ließ es unseren gelehrten, eifrigen
heimischen Geſchichtsforſcher, Herrn Professor Dr. Klo e v ek o rn, auf einem alten
blechernen Bierunterſaz entdecken. In seiner liebenswürdigen Art überließ der Finder
mir das Bild für den Saarkalender. Ein en Th eaterzettel aus den R uhmes -
tagen der Talſtraß enbü hne fand in seinen Familienpapieren Herr Dr. med.
Bickelm ann. Auch er war ſofort bereit, mir die älteſte Ankündigung dieser Art im
Saargebiet für dies Buch zu überlassen. Das ehrwürdige Alter des Zettels, vor allem
die Art der Bekanntgabe muten uns ſeltſam an, und das unscheinbare Papier darf ſchon
aus diesem Grunde in der Raritäten-Sammlung unseres Jahrbuches einen Ehrenplatz
beanspruchen.
Aus bescheidenen Anfängen rankte sich ein Stück deutschen Kulturlebens im Saar-
gebiet zu seiner heutigen Bedeutung empor, denn ein vollwertiger Faktor in unserem Da-
seinskampfe um die Erhaltung deutschen Volkstums iſt die Bühnenkunſt geworden. Starke
Wurzeln unserer inneren Kraft birgt sie. Mit dem Aufgebot all’ unserer Mittel wollen
und werden wir sie hegen und pflegen, sie tröſtet, ſie hebt und treibt tauſendfältige Frucht
aus dem Mutterboden deutschen Geiſteslebens.
b
„Andenken aus China“. En s h ei m. Ein amüsantes, aber in allen Teilen wahres
Geschichtchen wird von den Bewohnern unseres Dertchens herzlich belacht. Ein Herr aus
Saarbrücken kam auf seiner Auslandsreise auch nach China. Als Erinnerung erhandelte
er sich dort schwarz lackierte Döschen, Käſtchen, Tabletts uſw. mit zarten chinesiſchen
Muſtern und Motiven, wie Reihern, Tempeln uſw. Er schleppte auf der Rückreise seinen
Pack unverdrossen mit, um auch seinen Freunden und Angehörigen zu Hauſe dieſe Pro-
dukte einer fremden Kleinkunſt und Handmalerei präsentieren zu können. Doch wer malt
sich seine Bestürzung aus, als er von diesen hören mußte, daß es ſich nicht um chineſsiſche,
sondern um eine gut deutſche Ware handele, die in dem keine zwei Wegstunden entfernt
liegenden Ensheim gemacht worden sind, wo dieſe Gegenstände heute noch wie schon vor
hundert Jahren fabriziert und nach aller Herren Länder exportiert werden. Der Poſten
Lackwaren hat also auf eigenartige Weiſe seinen Weg in die Heimat gefunden. Diese kleine
Begebenheit bietet wieder einen Beweis dafür, daß mancher die Erzeugnisse ſelbſt ſeiner
engeren Heimat nicht kennt.
A TE H Ä GI E E T G C C GG s
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