Saarkalender für das Jahr 1929
Zwei Polenaufſtände.
Erinnerungen zweier Saarbrücker, Großvater und Enkel.
Don Helmut Kung.
1848.
Der im Frühjahr 1928 im Alter von 98 Iahren verſtorbene Herr C. A. Stolz
erzählte noch kurz vor seinem Tode in seltener geiſtiger Friſche Einzelheiten aus
dem Polenaufſstand 1848.
Im Frühjahr des Iahres 1848 war ich als Gutseleve auf dem Gute des Herrn
v. Winterfeld bei Gneſen. Die Märzrevolution war auch in den Provinzen des
Oſtens nicht ſpurlos vorübergegangen. Das Volk murrte ob der hohen ihm auf-
erlegten Steuern. Die Ariſtokratie und die Großgrundbesitzer waren beinahe ſteuer-
frei. Kein Wunder, wenn Bauern und Mittelſtand den Gedanken der Freiheit be-
geiſtert aufnahmen. Da glaubten auch die polniſchen Autonomiſten ihre Stunde
gekommen. Jedes polniſche Rittergut wurde eine Sammelſtelle für ein aufzuſtellen-
des Dolksheer. Geheime Sendboten kamen und gingen von Gut zu Gut, von Dorf
zu Dorf. In den Muartieren der polniſchen Schnitter und Landarbeiter floß abends
der Mutki in Strömen. Rotweiße Kokarden wurden ſchon ſichtbar an den Kopf-
bedeckungen getragen.
Die Luft wurde immer ſchwüler. Ein deutſcher Gutsbesitzer nach dem anderen
packte das Wertvollſte, was er beſaß, auf Wagen und flüchtete nach der Feſtung
Poſen, die eine ſtarke preußiſche Garniſon hatte. Mein Brotherr v. Winterfeld
packte ebenfalls acht Wagen voll und ließ mich und einen alten Dogt allein auf
dem Gute zurück. Bald wurde es auch in unſerer Umgebung munter. Kleinere
Scharen von Inſurgenten zogen vorüber, aber bisher war unser Gut noch nicht
heimgeſucht worden.
Wir bekamen dann eines Tages auch Zwangseinquartierung. Polniſche
Kavallerie erſchiee. Es war der Aufstandsleitung gelungen, einige Ulanenregi-
menter aufzuſtellene. Trotz der ſtrengen Abſperrung der Grenzen durch die Ruſſen
batten die Insurgenten doch vielen Zuzug von jenseits der Grenzen erhalten.
Uamentlich die jungen Söhne der polniſchen Gutsbeſizer und Bauern traten in
diese „Freiwilligen Ulanenregimenter“ ein. So war es kein Wunder, daß das
Pferdematerial dieſer Regimenter ganz vorzüglich war. Namentlich die Offiziere
hatten Raſſepferde, an denen man ſeine helle Freude haben konnte. Von Einheit-
lichkeit in der Kleidung – Uniform konnte man das wirklich nicht nennen – war
natürlich keine Spur. Die Offiziere hatten die reinſten Fantasieuniformen an.
Aber sie trugen wenigstens alle die „Czapka“, den Ulanenhelm. Blinkende Säbel
und verhältnismäßig gute Piſtolen vervollſtändigten die Bewaffnung der Offiziere.
Aber bei den Mannſchaften sah es inbezug auf die Waffen triſte aus. Da kam einer
mit einer alten Muskete daher, der hatte ein paar alte Reiterpiſtolen, der andere
hatte, wie die Mehrzahl, nur eine Lanze. Uns war es klar, daß ſie mit dieser
Bewaffnung nicht gegen die tadellos bewaffneten Preußen beſtehen konnten. Die
. polniſche Einquartierung war für die nächſten Wochen Herr auf dem Gute. Die
Herren Offiziere belegten das Herrenhaus und ließen es ſich gut ſein. Die Mann-
ſchaften machten es ſich in den Ställen und Geſsindehäuſern bequem. Alles was an
Derpflegung und Futter für die Pferde entnommen wurde, darüber wurde eine
ſaubere Muittung, ein Requisitionsſchein, ausgeſtellt. Ein Ochſe nach dem anderen,
ein Schwein nach dem anderen, wurde geschlachtet. Daß unsere vielen Gänse und
Hühner natürlich ebenfalls daran glauben mußten, war ſelbſtverſtändlich. Die
Herren Offiziere hatten natürlich den Weinkeller beſchlagnahmt. Für die Mann-
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