Saarkalender für das Jahr 1929
Geheimnisvoll-Militäriſches.
Von Dr. W. M., Wohlau.
1884 auf 85 diente ich mein Jahr bei der 4. Kompanie der 69er in Trier ab. Eines
Tages waren wir mitten im Exrerzieren auf dem Kasernenhof, und das Vergnügen ſollte
nach dem „Kompaniebefehl“ noch gut eine halbe Stunde dauern, als plötzlich seitens des
soeben auf der Bildfläche erschienenen „Häuptlings“, des gleichfalls aus Saarbrücken
ſtammenden Hauptmanns Bauer, das Kommando erſcholl: ,Stillgeſtanden! Alles hört
genau zu, was ich jetzt ſage und ich bemerke gleich, daß, wer auch nur im geringſten von
dem Befohlenen abweicht, ſchwerſte Strafe zu erwarten hat. Jeder Mann und jjeder
Unteroffizier ohne Ausnahme begibt sich jetzt auf seine Stube, die beiden Freiwilligen
ebenfalls, Sie gehen auf die Stube Ihrer Korporalſchaftsführer, und kein Mann verläßt
die Stube, ehe dazu ausdrücklich Erlaubnis von mir ſelbſt gegeben iſt, und wenn einer
mal austreten muß, besorgt er das jetzt ſofort – in zehn Minuten werden alle Stuben
revidiert und geſchieht Meldung, ob alle da sind. Habt Ihr alle genau verſtanden, dann
autwgrte! ausnahmsweise, wenn Ihr auch jetzt im Glied unter Gewehr steht, laut mit
„jawohl!“
„Jawoll, Herr Hauptmann,“ ſchallte es aus über hundert Infanteriſtenkehlen.
„Tretet - weg!“
. Schneidige Kehrtwendung auf jedem linken Stiefelabſatz, und die Kompanie ver-
krümelte sich, aufgeſtört wie ein Bienenschwarm.
Bevor die zehn Minuten vergangen, war jegliches Soldatengebein treu und brav auf
„ſeiner“ Stube. Die Stubenältesten stellten die Anwesenheit der Belegschaft fest, die ,„Ab-
kommandierten“, die Offiziersbursſchen, Ordonnanzen, der Schreiber auf dem Zahlmeiſter-
büro und ähnliches sogenanntes „Federvieh“ fehlten natürlich noch, was der Feldwebel,
der bald darauf durch alle Stuben eilte, als jelyſtyerſtändlich mit der Bemerkung feſtſtellte,
die würden alle ebenfalls nuchkommen, Befehl sei gegeben, und auch diese Leute trafen
daun Llkmwährich §in. um dem gleichen rätselhaften „Stubenarreſt“ wie wir alle im Kasern-
gebäude zu verfallen.
Die Zeit verſtrich. Man hörte aufgeregtes Herumſtapfen einzelner Personen auf dem
Korridor. Mutmaßungen wurden laut, was das alles zu bedeuten habe. Die Unteroffiziere
wußten ebensowenig Beſcheid wie die Mannſchaften. Die Mittagſstunde war überſchritten,
den Leuten knurrte der Magen, Befehl zum Essenholen kam nicht, und das Kommißbrot
mußte bei einigen als Lückenbüßer dienen. Die Lage war ktritiſch-geſpannt, ungemütlich.
Wieder verging eine Zeitſpanne. Es kam einem vor, als ob die Zeit überhaupt keine Rolle
mehr ſpiele und huldigte dennoch der Zuversicht, daß alles doch mal ein Ende haben müsse,
habe die Wurſt doch bekanntlich deren zwei.
Plötzlich wird die Tür aufgeriſſen. „Befehl vom Herrn Hauptmann: ,Einjährig-Frei-
williger M. auf die Kompanie-Schreibſtube mitkommen!“
Große Bewegung. Man hätte für meine Freiheit und sonstiges Wohlbefinden nicht
allzu hohe Wetten gewagt. Da mein militärisches Gewissen jedoch in Blütenweiße ſtrahlte,
schloß ich mich durchaus gefaßt dem Kompanieschreiber an und meldete mich auf der Schreib-
ſtube bei dem dort anweſenden Hauptmann Bauer vorſchriftsmäßig ,zur Stelle!“
„Hm, ja, ja, Freiwilliger, na, sagen Sie mal, Sie sind doch ein ordentlicher Soldat,
haben ein gutes Gewissen und sind doch, wie ich weiß, aus anständiger Bürgerfamilie, auch
aus Saarbrücken, wie ich, nicht wahr?“
„Aus St. Johann, Herr Hauptmann.“
„Na, das ist ja Nebensache! Hm, na ja, knöpfen Sie mal Ihren Waffenrock auf.“
Ich ſtarrte „den Alten“ an, als ob er plötzlich verrückt geworden wäre, jedoch –
Befehl iſt Befehl, und so öffnete ich denn einen Knopf nach dem andern, dem Feldwebel,
der in halber Rückenwendung an seinem Schreibtiſch ſtand, hilfeflehende Blicke zuwerfend.
welche dieſer aber bloß mit dienſtlicher Miene quittierte.-
„Na ſchön, Unterjacke iſt rein und praktiſch, – eine Weste tragen Sie nicht? Ist auch
besser, sich nicht zu verwöhnen. Knöpfen Sie die unterjacke auf, auch die Hemdbruſt.“