Saarkalender für das Jahr 1928
Der Luftkrieg gegen das Saargebiet.
Die Angriffe auf Völklingen und Umgegend.
,. Die Not der schweren Zeit mit ihren harten seeliſchen und körperlichen Leiden ſteigt
im Gedenken an die Fliegerüberfälle wieder in der Erinnerung herauf; die düjſteren
Stunden ſind nicht vergeſſen in dem aufreibenden und haſtenden Leben, das uns heute
umfängt. Während aber Saarbrücken und die ihm benachbarten Ortjchaften des Saar-
reviers den unliebſamen Besuch schon im Auguſt 1915 zum erſten Male verzeichnen, bleibt
der Bevölkerung und den Betrieben der Völklinger Gegend dies Unheil bis Herbst 1916
erſpart. Es ist dies um so verwunderlicher, als die gewaltigen Völklinger Hüttenwerke
von vorneherein alles in größerem Maße erzeugten, was der Vaterlandsverteidigung
diente: Draht für die Stacheldrahterzeugung, Feldbahn- und sonstige Schienen für den
Verkehr hinter der Front, Infanterieſchutzsſchilde, Geschosse faſt aller Kaliber für leichtere,
miltlere und schwere Artillerie und Minenwerfer und vor allem faſt 80 Prozent des
geſamten Bedarfes an Pangzermaterial für die Stahlhelme. Zu diesem Zwecke waren
die Werksanlagen ſtark erweitert worden. Bei dieſen Erwägungen iſt es gut zu ver-
ſtehen, daß das Ziel der Gegner vor allem die Zerſtörung der Hüttenwerke und der
strategiſchen Bahnen anstrebte. Bei der bekannten Ritterlichkeit der westlichen Nachbarn
liam es ihnen gegen das Völkerrecht auch nicht darauf an, ihre Geſchoſſe auf offene Ort-
schaften zu schleudern und so ihr Rachegefühl und ihren Haß zu kühlen.
Der erſte Angriff auf Völklingen erfolgte in der Nacht vom 10. auf 11.
September 1916; 13 Bomben wurden ohne Schaden anzurichten abgeworfen, sic fielen auf
unbebautes Gelände. Bis zum 10. November waren dann wohl mehrere Fliegerbeſuche
§t, verzeichnen, ohne daß die Feinde Gelegenheit fanden, ihre unheilvollen Geschosse zu
jchleudern.
Am 10. November 1916, gegen !#12 Uhr vormittags, erfolgte dann der nächste Angriff
und zwar in zwei Abständen; es wurden 11 Bomben abgeworfen, ſieben in den Bereich
der Hiite und vier auf den Ort Wehr d e n. Der der Hütte entſtandene Schaden wurde
damals auf etwa 32 000 Mark geschätzt. Leider fand ein 16jähriger Hüttenangehöriger
namens B e ck e r den Tod; ein Monteur namens Tr e nz l e r wurde verletzt. Bei dieſem
Angrifs trat zum erſten Male die auf dem Weh r d en er Berg ſtationierte Ab weh r-
ba tt ri e in Tätigkeit.
Am 11. November 1916, nachmittags 3 Uhr, ertönte zum erſten Male die
Feuersi r ene, um die Völklinger und die Bewohner der umliegenden Dörfer auf die
Fliegergefahr aufmerkſam zu machen. Unmittelbar darauf erfolgte der Angriff durch den
Äbwurf von 22 Bomben. Getroffen wurden: die Keſsſelanlage der Benzolsabrik und
Benzolhaus Il, das Wasserbassſin beim Hauptbüro; daneben wurde noch ein Beamtenhaus
in Wehrden stark beſchädigt. Die Eisſenbahnwerksſtätte erhielt auch einen Volltreffer.
Mehrere Häuſer in der Bismarckſtraße wurden durch eine Bombe hart mitgenommen.
Allein der Schaden der Hütte wurde mit etwa 24 000 Mark angegeben. Die Haltung der
Bevölkerung erwies sich als muſterhaft, sie ertrug gefaßt und ruhig das Unheil. :
Bis zum nächsten Angriff erfolgte neunmal Alarm der vielfach gesichteten Flieger,
deren Hauptziel Saarbrücken zu bleiben ſchien. Unmittelbar nach dem Weihnachtsfeſte,
in der Racht vom 27. auf 28. Dezember 1916, kündete der dumpfe Donner von Saarkrücken
her auch Völklingen Unheil, das mit fünf Bomben begrüßt wurde, die großen Material-
schaden verursachten. Die Eiſsenbahnwerkstätte ſah der Wintermorgen als Trümmer-
haufen, ein Erfolg des Ueberfalls, der bitter zu beklagen blieb. Auch das Staatsbahngleis
ain Bahnhof in geringer Entfernung der Hüttenanlagen zeigte die verwüſtende Spreng-
kraft der Wurfgeschosse. : ; s ;
Die nächſten Monate ließen der Bevölkerung die erwünſchte Ruhe; wohl mahnten
die warnenden Sirenen 14 mal die Bewohner, ober erſt am 4. März 1917 erſchienen um
die Mittagszeit über dem Orte die blinkenden großen Sturmvögel und hatten gute Treffer
zu verzeichnen, ſo vornehmlich auf dem „Haideſtock“ (Gerhardſtraße) und an der Bahn-
itrecke Völklingen~Luisenthal. Völklingen hatie inzwischen eine zweite Abwehrbatterie
erhalten, Bous die erſte, die heftige Begrüßung durch die Verteidigung verhinderte
5 ») Der Saarkalender 1927 vehandelt die Fliegerangrifse auf die Stadt Saarbrücken und deren
nächſte Umgebung.
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