Saarkalender für das Jahr 1928
Das Weihnachtsgeſchenk.
Von Lisbeth Dill.
„Wann mir nur Eener ſahn dät, was
m’'r unserem Emilche diß Johr ſchenke
kint,“ sagte die Mutter, die sich erhitzt vom
Zimmetwaffelbacken und mehlbestäubt in
der Wohnstube am Kaffeetiſch niederließ.
Es war immer eine große Beratung in
ter Familie, jedes Jahr vor Weihnachten,
was man dem Emilichen schenken könnte.
Emilchen war kein Kind mehr, ſondern
lebte als Mutter von drei Söhnen hoch da
oben in Pommern, in Rügenwalde, wo
man niemals hinkam. Man beſaß von der
rp ; Gegeoy ur rage Uorſtztuggen vor
medrigen, ſtruppigen Wäldern und in der
Ferne einem Streifen Meer. Es gab keine
Berge dort und keine Flüsse, es war alles
eben und das Emilchen hatte ofl Hemm-
weh nach Saarbricke. Aber. die Reis war
zu weit. Und so blieb das Emilchen in
Pommern und die Saarbricker in Saar-
bricke. Aber zu Weihnachten suhren zwei
große Kiſten zwiſchen diesen auf der Land-
karte räumlich ziemlich weit entlegenen
Städten yin und her, die sich in Frankfurt
am Main kreuzten. Emilchens Kiſte ent-
hielt Selbstgeſchlachtetes. Emulchens be-
rühmten Bauchſpeck und ein felſenfeſtes
braunes Gebäck, das immer am längſten
auf den Tellern liegen blieb und das man
anscheinend in Pommern mehr ſrchätze.
„Sie han dort eemol e ganz annerer Ge-
ſchmack wie mir“, sagte die Mutltier.
In der Kiste aus Saarbricke befanden
ſich die Spezialitäten des Landes, Zucker-
zeug, Zimmetwaffele, Schokolademuſchele,
Zimmetplätzcher, Zimmetſterncher, Krleie-
plätzcher und Pefferniß, die der Mutter
immer etwas hart gerieten und mit denen
die pommerſchen Jungens vom Emilchen
nach den Spatzen ſchoſſen. Der Clou dieser
Kiſte aber beſtand aus einer ſaftigen
Fleiſchpaſtete. Aber diß Johr woollte die
Mutter durchaus etwas Abwechselung in
das Ganze bringen und man beſchloß, zum
Kröß zu gehen, um dort unter den Delika-
teſsſen etwas ganz Besonderes auszuſuchen.
Es war kurz vor Weihnachten und der
Laden war so voll Menſchen, daß man über
die vielen Köpfe hinweg nur die Kon-
sſervenbüchſen ſah und eine Reihe pommer-
scher Gänſsebrüſte. Während sie daſtanden
und warteten, bis die Reih an sie kam und
einer der vielbeſchäftigten Herren in den
weißen Kitteln und dem Bleistift hinterm
Dhr sie endlich fragte, was sie wünſchten,
hatte die Mutter ihren Entſchluß gefaßt.
Sie stieß den Vadder an, der den Hals
nach den Likörflaschen reckte, „Ernſcht, guck |
emohl, so e ſcheni Syhickgans, das wär doeh
ebbes fors Emilche . . .* Der Vadder war
auch ihrer Meinung. ,„S'is
annerſcht wie die alt Paſchtet . . .\
kauften die Spickgans, ließen sie sich ein-
wickeln, und die Kiſte mit der Spickgzans.
fuhr im strömenden Regen durch das Saar.
land an der Nahe herauf über den Rhein,
try: Liersch ZU] ee ur ..
„Diß Johr wärds nix mim Schnee“.
ſagte der Vadder, der seine Pfeife rauchend
am Fenster den Saarkalender vom vorigen
Jahr studierte .. . Indessen hatte auch
Sas Emilchen droben in Pommern seine
weihnachtlichen Vorbereitungen getroffe
und die elterliche Kiſte gepackt. Ais ſie den
Bauchſpecsk in die Kiſte verſenken wollte,,
fielen ihr die ſchönen Spickgärse ein, die
in der Räucherkammer hingen. „Das wär
doch emohl ebbes anneres for die‘, mei ne
sie zu ihrem Jüngsten, dem Quartane,,
Dem einzigen ihrer Söhne, der ſih noeh
zum Kiſtenpacken und Brothoien herbein.
ließ. Sie schickte ihn hinauf, ließ die dichſee
Spickgans holen und packte ſie zwischen
die Stollen. Es war eine Spezialität des
Landes, der Vadder würde sich freuen . . .
!’ Ind die Kiſte fuhr ab . . .
„Ei, du liewer Herrgott“, ſagte das Emile.
chen ein paar Tage ſpäter, als es die elter-
liche Kiste auspackte, „wo is dann die gutt
alt Paſchtet? Wo han sie die nur hinver-
ſteckelt?“ Sie ſsuchte vergebens unter den
zu Atomen verkrümelten Zimmetwaffen
und Kleienplätzſcher – nur die Pefferniß
waren ganz geblieben auf der weiten
Reiſe –. Ihr rundes Gesicht zog sich immer
mehr in die Länge, aber als sie eine fette
Spickgans aus dem weißen Pergament-
papier ſchälte, stieß sie einen Schrei aus ...
„O jesſes, e Gänſebruſcht! So han ich noch
vier drowe hänge! Jetzt is mir die ganz
Treid hin.“ Das Emilchen ſchluchzte. „Wie ,
sin die nur uff dene Gedanke komm! E
Gänsebruſcht! Mir so ebbes zu ſchicke, nach
Pommere. Wo se doch herkomme, die
Gäns . . . Nee, unſer Mudder wird alt ...“
Plötzlich siel ihr etwas ein. Die Tante
Villa, eine halbvergessene Kusine ihres oer-
sſtorbenen Mannes, die in ihrem Zäuschen
in Burgen an der Moſel lebte, war Weih.
nachten immer mutterseelenallen,. der
mußte man doch anſtandshalber etwes
schicken, obwohl man sie nicht kannte. Und
ſie tat die Spickgans in eine Schuhſchachtel
und sandte sie an Tante Billa . .. „Auf
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emohl ebbes_
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