Saarkalender für das Jahr 1927.
Der Luftkrieg gegen das Banargebiet
vom 2. Auguſt 1915 bis 6. November 1918.
Von A. 53.
„In wieviel Not hat nicht der gnädige Gott
über dir Flügel gebreitet.“
elche Fülle ſchmerzlicher Erinnerungen an ſeeliſche Qual umſchließen dieſe wenigen Worte; wieviel Trauer
ſteigt zurückſchauend erneut in uns auf, wenn das Saargebiet der düſteren Zeiten des jahrelangen Luft-
krieges gedenkt. Die in der Heimat Derbliebenen waren ſtündlich in quälender Sorge um die Lieben im
Kampfe mit mehr als der halben Welt. Dazu kamen in dem ſo karg bedachten, von landwirtſchaftlichen
Diſtrikten behördlich abgeſchloſſenen Grenzgebiet das aufreibende Mühen um das Notwendigſte zum Lebens-
unterhalt und die harte Prüfung, die nervenzerreibende Aufregung durch die ſchließlich Tag und Nacht erfolgenden
Bombardements. Den Gegner reizte zu ſeinen Ueberfällen das Saarland wegen ſeiner Nähe, es barg aber auch
eine Gefahr in beſonderem Maße als wichtiges Induſtriegebiet, als ein Zentrum der Herſtelung von Kriegs-
material jeder Art und Hauptknotenpunkt der Bahnen ganz Südweſt-Deutſchlands. Die Heimat bedeutete ſomit
für die Franzoſen ein Angriffsobjekt, deſſen CLebensadern, Eiſenhütten und Bahnen, sir mit aller Kraft zu zer-
ſtören ſtrebten. Welſcher Rachegeiſt riß ſie dabei nach eigenem Eingeſtändnis zu völkerrechtswidrigen Grau-
ſamkeiten gegen offene Städte und Dörfer hin. Hier zeigten sie ſich wieder einmal als die Barbaren in ihrer
Freude an ſinnloſer Zerſtörungswut. Und es zog damit eine Leidenszeit herauf, die wohl als eine der ſchwerſten
gelten darf, die das Schickſal unſerem deutſchen Grenzlande je auferlegt hat.
Jene ſchmerzbewegten Tage ſind ein Kapitel in der Geſchichte der alten deutschen Grenzbaſtei, das nicht der
Dergesſenheit anheimfallen darf und desſen gefahrvolle Stunden den Nachfahren wahrheitsgetreu zu überliefern
die Pflicht gebieteriſch fordert. Eine gütige Natur läßt uns Schweres bald vergeſſen, Leid verblaſſen, wie ſie
Freude lange nachklingen läßt und frohe Tage der Vergangenheit liebevoll golden übermalt. Daher genügten
ſchon wenige Iahre in den harten Bedrängniſſen der Nachkriegszeit, um es heute bereits zu einer ſchwierigen
Aufgabe, zu einer Geduldsprobe zu gestalten, eine zuverläsſige und ſachgemäße Darſtellung des Luftkrieges gegen
das Saargebiet notieren zu können.
Es hieß in mühevoller Arbeit unverdroſſen Material ſuchen, ſammeln, ſichten, bis allmählich Stein auf
Stein ſich zu einem klaren Moſaikbild fügte. Eine Hauptquelle bei Arbeiten ähnlicher Art, die Preſſe, ver-
ſagte hier. Sie ſtand unter strenger militäriſcher Zenſur und durfte u. a. über Fliegerangriffe bei Leibes
© Leben nur wortgetreu veröffentlichen, was ihr über dieſe Dorkommniſſe von der militäriſchen Behörde zu-
geſandt wurde. Nicht einmal die Angriffe in dem nächſtgelegenen Teile der Pfalz, in Lothringen oder im
Regierungsbezirke Trier durften irgendwie erwähnt werden. Nur bei dem erſten Bombardement, das auch
wohl die geſtrenge Zenſur überraſchte, wurde die Angelegenheit noch nicht ſo rigoros behandelt. Die Militär-
behörde machte, gewiß mit vollem Recht, darauf aufmerkſam, daß die Zeitungen mit wahrheitsgemäßen
Meldungen nur dem Gegner nügtliche Winke geben würden. Bei ſolcher Sachlage fchied die Preſſe als Unter-
lage der Darſtellung völlig aus. Private Aufzeichnungen, ſoviele ich auch in Händen hatte, waren einzeln
ſämtlich sehr lückenhaft und ungenau. Trotz dem anfänglich unentwirrbar erſcheinenden Knäuel von persön-
lichen Notizen, anderen schriftlichen Meldungen und mündlichen Erkundungen ließ doch hier Geduld das
Werk vollenden.
Sehr ſchwer hielt es auch, gute, zur Reproduktion noch brauchbare Bilder von den Zerſtörungen zu er-
halten. Photographiſche Aufnahmen waren auf das ſtrengſte unterſagt, Soldaten und Poliziſten wachten mit
wahrem Feuereifer auf die Durchführung dieſes militäriſchen Befehls. Nach langem Suchen half mir der
Zufall. Damals Knaben in einem Alter von 12 und 14 Jahren wußten die Gebrüder € i ch a < e r doch
eine Anzahl guter Bilder aufzunehmen, die ſie mir liebenswürdig zur Derſügung ſtellten.
Saarbrücken 251 mal bombardiert!
1915.
Im leichten Morgennebel des 9. Auguſt 1915 erreichten feindliche Flugzeuge unbemerkt das Saartal und
griffen vormittags in der Zeit von 8 Uhr bis 8.30 Uhr die Stadt an. Die erſte Bombe, die überhaupt bei
allen Angriffen das Gebiet der Stadt traf, ging, wie Augenzeugen meinen, hinter den Beamtenhäuſern auf
dem Kleinen Homburg nieder. Sie fiel ins Feld und richtete keinen Schaden an. Die Flieger kreiſten darauf
bei unſichtigem Wetter etwa über eine halbe Stunde über der Stadt und warfen 84 Bomben, von denen 61
explodierten und 23 später als Blindgänger entfernt werden konnten. Trotß aller Warnungen in der Preſſe,
bei Fliegergefahr ſofort die Straße zu verlaſſen, blieben die Maſſen auf den Bürgerſteigen und Plätzen der
Stadt und verfolgten den Lauf der Flugzeuge, die in bedeutender Höhe, nachdem der Nebel ſich gesenkt hatte,
wie ſilbecglänzende Rieſenvögel erſchienen. Die Fenſter, die Balkone waren anfänglich dicht von Neugierigen
beſeßzt. Niemand ſchien ſich der großen Gefahr bewußt zu sein, der er ſich damit aussſeßte. Als dann aber
die Bomben in großen Mengen mit dumpfem Krachen überall unter gewaltiger Sprengwirkung egxplodierten,
rannten alle ſchreiend in wilder Panik davon, um Schutz zu ſuchen. Einſchlag auf Einschlag erfolgte, die Häuſer
erbebten und durch den Luftdruck spritzte das Glas hunderter von Scheiben auf das Pflaſter. Die Flieger
ſelbſt wurden lebhaft durch Nlaſchinengewehre beſchoſſen, aber anscheinend ohne Erfolg, da die Flughöhe zu
groß war. Sie entfernten ſich in der Richtung nach der Pfalz und erſchienen kurz darauf in St. Ingbert,
das durch einen Abwurf von 20 Bomben erheblichen Materialſchaden erlitt. Dort forderte der Angriff 8 Tote,
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