Saarkalender für das Jahr 1927.
sollte, hat der Präsident gehalten. So wurde. im April 1920 ein sogialiſtiſcher Redakteur
vom franzöſiſchen Kriegsgericht wegen angeblicher Beleidigung der französischen
Truppen verfolgt mit ausdrücklicher Billigung des Präsidenten Rault. Auf die Beschwerde
beim Völkerbundsrat redete sich Rault damit heraus, daß er die unbedingte Pflicht habe,
darüber zu wachen, daß kein An griff auf das Prestige und die Ehre der
Truppen untern o mm en wer d e. Von den. ſaarländiſchen Gerichten setzte Rault
unbesehen voraus, daß sie den Attentäter „unzweifelhaft und mit Eklat“ freigeſprochen
hätten, wodurch eine neue Beleidigung den zur Aufrechterhaltung der Ordnung im
Saargebiet berufenen franzöſiſchen Truppen zugefügt worden wäre! Ein halbes Jahr
darauf, im Oktober 1920, fällte das „xufgehobene“ franzöſiſche Kriegsgericht hier in
Saarbrücken gegen einen Angeklagten in Contumatium wegen angeblichen Anſchlags
auf die „Sicherheit des französſiſchen Staates“ ein Urteil auf lebenslängliche Deportation
in ein befestigtes Lager! Der militärischen Willkür freien Lauf ließ Rault dann im
Auguſt 1920 gelegentlich des Beamtenſtreikes. Die Marokkaner veranſtalten Menſch-
jagden in den Straßen Saarbrückens und führten ihre Opfer gefesselt ab, ein ſkandalöses
Bild im Schutzgebiete des Völkerbundes! Erinnert sei auch daran, daß Rault den
100tägigen Streik der Saarbergleute dazu benutzte, die nach dem franzöſiſchen Etat für
u8! verzierte 3:51 der „Garnisontruppen“ wieder ſtark zu vermehren, so daß ſsie
wieder auf über tieg.
Die Provokationen und Ausschreitungen dieſer Truppen verſchärften den Wider-
ſpruch gegen die unberechtigte Anwesenheit der französiſchen Truppen im Saargebiet
noch mehr. Eine ganze Reihe weiterer Ausschreitungen, leichtfertiger Schießereien usw.
kamen noch hinzu. In einer Denkſchrift an den Völkerbundsrat sahen sich die politischen
Parteien genötigt, scharfen Einspruch gegen die ſchweren Uebergriffe des französischen
Militärs zu erheben und bie Regierungs - Kommission anzuſchuldigen, daß sie der
Bevölkerung einen Schutz hiergegen völlig verſage. An Opfer dieſer Ausſchreitungen
wurden aufgeführt u. a.: die Ermordung einer Lehrerin durch Marokkaner, nach vorauf-
gegangener Vergewaltigung, die Ermordung eines Arbeiters in Gersweiler, ebenfalls
durch Marokkaner, die Tötung zweier harmloſer Bürger bei den Teuerungsunruhen
und die Verletzung mehrerer Personen, die Ermordung eines Kaufmanns in Saar-
brücken, die Erſchießung eines Handwerkers in Sulzbach durch Soldaten usw. Eine
Kette von Bluttaten seitens französischer Militärpersonen, die der angeblich zum Schutze
der Personen und des Eigentums hier notwendigen französischen Garnison angehören.
Völlig versagt hat die Regierungs-Kommission in der Wahrnehmung der Interessen der
Hinterbliebenen dieser Opfer der militärischen Ausschreitungen. Unter nichtigen Vor-
wänden wurden Entſchädigungen seitens der französiſchen Militärbehörden verweigert.
Man vengleiche damit die ungerechte Buße für die Erſchießung des französiſchen: Obersten
durch. hit ene: Truppen, die der Stadt zwangsweiſe von der Besatzungsmacht
auferlegt wurde.
Unter der Präsidentschaft des Herrn Rault dachte die Regierungs-Kommission gar
nicht daran, durch Errichtung der örtlichen Gendarmerie die Voraussetzung zur Ent-
fernung des französischen Militärs aus dem rgebiet zu schaffen, ihr Ziel ging viel-
mehr ganz offensichtlich dahin, die Truppen hier dauernd zu stationieren, und die Mehr-
heit der Kommission arbeitet auch heute noch diesem Ziele zu. Im Oktober 1920 brachte
Herr Rault ganze 30 Mann der örtlichen Gendarmerie auf die Beine, die, wie er
berichtete, im Zusammenwirken mit der im Saargebiet vorhandenen Garnison aus-
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der politiſchen Parteien im Saargebiet und einen ausgedehnten Notenwechſel der
deutſchen Regierung war der Völkerbundsvat aber gezwungen, sich fast in jeder seiner
Sitzung mit dieser für das Saargebiet so bedeutſamen Frage zu befassen. Im Februar
1921 protestierte die deutsche Regierung zum erſten Male gegen die dem Versailler
Vertrage widersprechende Anwesenheit der französischen Truppen im Saargebiet. Sie
wies auch darauf hin, daß es mit dem Charakter eines Abſtimmungsgebietes unvereinbar
erscheine, in einem solchen Gebiete Truppen einer an der Abstimmung interessierten
Macht zu belassen, da dadurch die Freiheit der Abſtimmung in Frage gestellt und eine
der wesentlichſten Bestimmungen des Versailler Vertrages verlekt werde. Entsprechend
ſeinem ſchon im Jahre 1920 festgelegten Standpunkt, daß die Verwendung ausländischer
Truppen im Saargebiet nicht als eine dauernde Einrichtung der Verwaltung dieses
Gebietes angeſehen werden könne, sondern daß man auf sie verzichten werde, wenn der
Ausbau der lokalen Gendarmerie es gesſtatte, konnte der Völkerbundsrat an diesen
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