Saarkalender für das Jahr 1927.
heute etwa ein Dutzend halbnackter Tanz-
girls in einem Varieté. Gespielt wurde in
Saarbrücken meistenteils, wie man aus ein-
zelnen Notizen der alten Jahrgänge der
Saarbrücker Zeitung entnehmen kann, in
einem Saale des Wirtes Siebert am Schan-
zenberg.
Die jeweilige Schauſpielertruppe kämpfte
ſtets mit der Not, man zeigte den Künſt-
lern, die manchmal als ,bettelhaft“ bezeich-
net werden, wenig Entgegenkommen. Auf
ein sicheres Einkommen durften sie über-
haupt nicht rechnen, sie waren auf den Ertrag
ihrer Benefizvorſtellung angewiesen, wofür
die Zeitung jedesmal tüchtig klapperte. Den
Direktoren ging es nicht weniger übel. Sie
kamen auf manche drollige Idee, sich zu
helfen. Der Theaterdirektor Jupont
klagt 1846 erſt über ſchlechten Geschäfts-
gang, dann sitzt er völlig auf dem Trocke-
nen, und es erſcheint folgende Anzeige:
Theater-Actien-Ausgabe.
Es wird eine Anzahl von 3 bis 400 Actien
dem Publikum zur gefälligen Abnahme an-
getragen. Eine jede Actie koſtet Ein en
Thaler 15 Silbergroschen und
jeder Besitzer einer Actie hat das Recht, da-
für 6 erster Platz Billets oder 12 zweiter
Platz Billets zu begehren. . . . . Somit hat
keine Actie Verluſt, sondern die Billets ge-
bühren jeder ausgegebenen Actie, wofür
diese eingetauſcht wird.“ Ob das Experi-
ment glückte, konnte ich nicht ausfindig
machen. Die an sich ſo lebensfrohe Bevölke-
rung blieb zurückhaltend. Es nützte sicher
wenig, wenn ein Schauſpieler trotzalledem
bei der angeführten Koſt in der Einladung
zu seinem Benefiz „d en g e iſtv ollen
Geschmack eines verehrungs-
würdig kunſtliebend en Publi-
k u m s“ über den grünen Klee lobt. Die
Silbergroſchen saßen nur locker, wenn eine
„Dichtung“ nach dem damaligen Geschmack
die Herzen bewegte wie z. B. „Di e Fee
Amandalinda oder Harlekins
Abenteuer vor und nach ſeinem
To de. Große komiſche Panto- *
mime mit Tänzen un d Maſchin e-
rien in zwei Abteilung en.“ Schön
iſt auch der Titel „J < un d mein Gaul
o d er Abraham Hirſchels trau-.
riger Abſſchie d“.
Den Rahmen dieser Skizze würde es bei
weitem überschreiten, wollte man hier
Schritt um Schritt das Heben des künſt-
leriſchen Niveaus im einzelnen verfolgen.
„Laßt genug sein des grauſamen Spiels!“
Wie ein seiner Kraft ſich endlich bewußter
Riese ſprengten Bahnen und Induſtrie die
Fesseln kleinstädtisſcher enger Denkart. Zug
um Zug ging es der Höhe zu. Das Theater
folgte dem ſstürmiſchen Vorwärtsdrängen
und rivaliſiert mit dem Konzertsaal. Heute
dürfen wir auf die Leiſtungen beider mit
Stolz blicken, sie sind erfolgreiche Kämpfer
um die Erhaltung unſeres Deutſchtums ge-
worden und im Saargebiet zu einer Blüte
gelangt, deren sich lange nicht jede deutsche
Großstadt erfreut. Unsere höchſte Be-
drängnis in diesen Tagen ſchuf ersſt recht
in der Kunst ein Bindemittel, das uns über
alle äußeren Gegensätze die höhere Einheit
im deutschen Volkstum unauslöſchlich ein-
prägt und bewußt werden läßt. Ich ver-
geſſe nie den allgewaltigen Eindruck einer
Aufführung der „Meistersinger“ in unserem
Theater. Der Vorhang fällt. Ergriffen, voll
im Banne des Spiels und der Muſik er-
heben sich alle fast feierlich. Lautlose Stille
zuerst ringsum, dann aber bricht ein Jubel
los, ein donnernder, nicht endenwollender
Beifall. In die durch hartes Schicksal be-
drückten Seelen fiel das Licht der edlen
deutschen Kunst, die mit uns fühlt und zur
tgrjerften Wehr ruft für das Heiligste, das
aterland. ..
Zeitgemäße Reminiſzenzen.
Wie hören heute aus dem nahegelegenen
Forbach mitunter Stimmen, die nicht viel
freundnachbarliche Geſinnung verraten.
Wenn uns auch nichts daran liegt, welches
Echo unsere Abwehr fremder Annexions-
pläne jenseits der blau-weiß-roten Greng-
pfähle weckt, ſo wirkt es immerhin amü-
sant zu hören, daß in der Vergangenheit
und wohlgemerkt: frangösiſchen Vergangen-
heit ~ Ñ ganz andere Stimmen zu uns her-
übertönten. In Nr. 46 des „Saarboten“
(demokratiſche Zeitung) von 1849 leſen wir
eine bewegte Dankepiſtel des evangelischen
Pfarrers von Forbach an die „edlen Be-
chr. ror Sarhrutr. St. FP. qn.
beim Bau der evangeliſchen Kirche unter-
stützt und so benutzte der Pfarrer die Ge-
legenheit der Einweihung der Kirche, um
eine Dankes'chuld an die Unterstützungs-
ſpender abzutragen. – Das war 1849. Houte
weiß sich die französisch kommandierte
Presse Lothringens vor ſchmutzigsſtem Haſſse
gegen das Saargébiet kaum zu fassen. P.
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