Saarkalender für das Jahr 1927.
meinem Ziele entfernt, als die Leine riß. Mit mir stürzte auch der Arzt, der, durch
Feuer bedrängt, sofort nachgeklettert war, ins Meer. Schwimmend sahen wir dann
noch die „Emden“ einige hundert Meter fahren und dann auflaufen. Mit aller Kraft
versuchten wir nunmehr unser Schiff wieder zu erreichen, wurden aber durch die Meeres-
ſtrömuag abgetrieben. Ein Glück war es für uns, daß wir faſt keinen Faden mehr
am Leibe halten, da wir Kleider und selbſt unsere Wäſche verwandt hatten, um kleinere
Geschoßlöcher zu verstopfen und dem eindringenden Wasser Einhalt zu gebieten. Der
ermattete Dr. Schwaabe hatle seinen linken Arm um meinen Hals gelegt, da es ihm
schon schwer wurde, sich über Wasſer zu halten. In einem Anfall von Verzweiflung
klammerle er sich plötzlich an mich, es gelang mir aber, mich wieder freizumachen und
ihn zu beruhigen. Die Strömung trug uns dem Lande zu, wir erreichten noch gemein-
sam die Brandung. Wie ich aber an den Strand gelangte, iſt mir nicht mehr erinnerlich,
denn ich fühlte mich einer Ohnmacht nahe. Als ich wieder zum Bewußtsein kam, fand
ich einige Meter von mir den Schiffsarzt noch bewußtlos. In der Ferne erblickte ich
die „Emden“ auf dem Riff. Von Hunger und Durst gequält, schleppte ich mich in
dieser Richtung vorwärts und traf zu meiner Freude einige meiner Kameraden, denen
es gelungen war, nach der Strandung des Kreuzers schwimmend das Land zu erreichen.
Unsere ersſle Sorge galt dem Schiffsarzt, den wir sofort an eine geschützte Stelle der
Insel trugen. Soviel wir uns auch um ihn bemühten, er starb nach einigen Stunden
und wurde von uns, so gut es eben möglich war, beerdigt. Am nächsten Tage erschienen
Rettungsboote der „Sidney“, die uns an Bord nahmen. Wir 45 Verwundete, kamen
auf ein Lazareltſchiff und fuhren nach Colombo (Ceylon), etwa 100 Unverwundete
wurden nach Malta auf einem englischen Kreuzer abtransportiert.
Nach anserer Wiederherstellung im Lazarett bezogen wir das schon von dem Buren-
kriege her berüchtigte Gefangenenlager bei Diatalaba. Dort ließen die Engländer einſt
ohne tatkräftige Hilfe 5000 Buren am Typhus untergehen. Die Tropenhitze setzte uns
hart zu, ein Leben ſchwer zu ertragen. Im Jahre 19817 wurden wenigstens die Ver-
sſtümmeltea erlöſt, man brachte sie auf ein Schiff, sie n'urden gegen kriegsuntauglich
gewordene engliſche Gefangene ausgetauscht. Es tauchten bald Gerüchte auf von
rebellischer Gesinnung der Inder, es mußte auch wohl eiwas Wahres an der Sache
sein, ta wir auf einem Dampfer in ein Konzentrationslager nach Auſtralien gebracht
wurden. Wir fanden da 5000 Zivilgefangene, denen man Hab und Gut in der gerühmten
Menſchlichveit geraubt und sie hier ins Elend gestoßen Hatte. Neben 45 Emdenleuten
konnten sie noch 50 Isingtau-Kämpfer begrüßen. Auch hier war der Aufenthalt reich
an Entkehrungen aller Art. Dazu wurde Land und Lager von einer bösen Epidemie
heimgesucht, die man uns gegenüber als ,,.schwere Grippe“ bezeichnete. Wer davon be-
fallen wurde, starb in kurzer Zeit, die Leichen wurden bald schwarz. Wir glaubten
daher an einen Pestausbruch.
Endlich, im Mai 1919, nahte das Ende unserer Leiden, es nahm uns ein Transport-
dampfer auf, um uns über Durban nach England zu bringen. Während der Ueber-
fahrt erlagen noch 21 Zivilgefangene der geheimnisvollen Krankheit. Auch einer
unserer Kameraden, ein liebenswürdiger Oſtpreuße, starb daran. Er sollte die Heimat,
nach der sein gutes Herz sich so sehr sehnte, nicht wiedersehen. An Quarantäne-Stationen
fehlte es nicht, bis wir an der holländischen Grenze in Friedrichsfelde bei Wesel die
deutsche Erde begrüßen konnten. Noch einmal ging es in die Quaranlänequal in Gries-
helm "s: Frankſurt zd dann sah ich nach einer Gesamtreiſsedauer von 68 Tagen die
alte liebe Heimar wreder.
Wie oft im Traume ſehe ich mich noch an Bord der „Emden“. Es iſt Abend, die
See ruhig. wir ſitzen dichtgeſchart rings um unsere Muiikkapelle, sie ſpielt die alten
deutschen Lieder, und wir singen mit. „Jn der Heimat isſt es schön, auf der Berge
lichten Höh'n“ erklingt es wehmutsvoll, feierlich hinaus in die Nacht. Wie Sturm-
gebraus — alle springen auf –~ ,die Wacht am Rhein“, die vaterländiſchen Klänge
rauschen weithin über das Meer der Tropen. Und dann ~ dann wieder sehe ich die
hohen Wasſerſäulen von feindlichen Granaten. Wir stehen im Kampf, komme was
wolle, über uns flattern zum Sieg oder Untergang die deutschen Farben. Nein, die
„Emden“ darf nicht vergefſen werden, ihre Kühnheit erregte die Bewunderung von
Freuad und Feind. Fortleben werden im deutschen Volke der Wagemut und die
Tapferkeit der Beſatzung. –
„Und ich war auch dabei!“
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