Saarkalender für das Jahr 1926
Ein Zeitgenoſſe und Gegner Goethes in unſerer Heimat.
Von A. Müller.
Al.f dem Friedhof meines Heimatdorfes liegt zwiſchen neu angelegten Gräbern ein
alter Grabhügel. Bald ein Jahrhundert iſt über ihn hinweggegangen, doch immer noch
iſt die Stätte zu sehen, wo ein Zeitgenoſſe und überzeugter Gegner Goethes seinen
letzten Ruheplatz gefunden hat. Wohl hat Goethe in „Dichtung und Wahrheit“ unsrer
Heimat, des ſchönen und eigenartigen Saarlandes gedacht – und manche Schilderungen
ſind in den letzten Jahren auf Grund dieser Fahrt Goethes in unsern Heimatblättern
erſchienen – daß aber ein Zeitgenoſſe und scharfer Gegner Goethes in Wiebelskirchen
bei Neunkirchen sein Leben beſschloſſen hat, dürfte wohl weniger bekannt Fein.
Es ist der Pfarrer Johann Friedrich Wilhelm Puſtkucher-Glanzow. Mancher wird
sich noch ron der Schulzeit her an die Lesestücke erinnern können: ,Friedrich der Große
und sein Edelknabe“, „Ehre Vater und Mutter“ oder „Ein guter Sohn, der im Glücke
sich ſeiner geringen Eltern nicht ſchämte“. Besonders die Schlußworte des letztgenannten
Stückes, die Friedrich dem Großen in den Mund gelegt sind, verdienen der Erwähnung:
„Wer seine Eltern achtet, der iſt ein ehrenwerter Mann, wer ſsie gering ſchätzt, verdient
nicht, geboren zu sein.“ Diese Lesestücke sind der „Glaubens- und Sittenlehre Poſt-
kuchzen-Glanzows entnommen, die in der Hauptsache solche praktiſchen Beiſpiele enthielt.
Dr. Johann Friedrich Wilhelm Poſstkuchen-Glanzow ist 1791 in Detmold geboren und
wurde Pfarrer zu Lieme bei Lemgo. Er gehörte zu den Geistlichen, die Goethe ob seiner
freien Weltanschauung heftig bekämpften. Mancher Geiſtliche mußte seine XRenien ein-
"stechen, die die beiden Dichterfürſten in ihrem Muſenalmanach 1796 austeilten. Trotzdem
wagle es Puſtkuchen-Glanzow 25 Jahre später beim Erſcheinen von „Wilhelm Meiſters
Wanderjahre“ Goethe ſcharf anzugreifen und damit den Zorn und Spoit des Gewaltigen
aut sich zu lenken. Noch in demſelben Jahre erſchienen „Wilhelm Meiſters Wanderjahre“
von Puſtkuchen in Quedlinburg. Sie sind eine krittelnde und verzerrende Nachahmung
des Goetheſchen Werkes. Wenn der große Dichter in seinem Alter manche Schriften
seiner Gegner nicht beachtet, ja sogar nicht mehr gelesen hat, ſo hat ihn doch diese Tat
des Predigers aus Quedlinburg in Aufregung gebracht. Er läßt in den XRenien und
verwandten Gedichten seiner Entrüſtung freien Lauf und bezeichnet den Verfasser und
Verleger als Fälſcher und Falsſchmünzer. Es heißt da an einer Stelle:
„So iſt von Quedlinburg auch der
Falſchmünzer hoch zu preisen:
Gemünder Silber präget er,
Uns Korn und Schrot zu weisen. ;
Der Weihrauch, der Euch Göttern glüht,
Muß Priestern lieblich duften;
Sie schufen Euch, wie jeder ſieht,
Nach ihrem Bild zu ſchuften.“
?! kiten andern Gedicht muß Puſtkuchen den ganzen beißenden Spott über ſich
ergehen lassen:
„Was will von Quedlinburg heraus
Ein zweiter Wandrer traben!
Hat doch der Walfiſch seine Laus,
Muß ich auch meine haben.“ :
Goethe nennt Puſtkuchen den ,„Puſtrich“. Der ,Pfaffenkuchen puſtet“. Den ganzen
Streit über die Wanderjahre erörterte ein Profesſſor Schütz aus Halle in einem Artikel
in der Spenerschen Zeitung vom 12. Dezember 1822 und in einem 460 Seiten starken
zh. ; Goethe und Puſtkuchen oder die beiden Wanderjahre Wilhelm Meisters und
ihre Verfcſſer“.
Puſtkuchen-Glanzow hat bald darauf seine Pfarrstelle in Wiebelskirchen angetreten.
Nicht lange war es ihm vergönnt, in der dortigen evangeliſchen Gemeinde zu wirken;
ſchon im Jahre 1834, zwei Jahre nach seinem großen Gegner, iſt er dort geſtotrben. Seine
Grabſtätte iſt im vergangenen Jahre allen Beſuchern des Wiebelskircher Friedhofes
durch ein ſchlichtes Holzkreuz kenntlich gemacht worden. Wenn auch Pfarrer Puſtkuchen-
Glanzow keine große Rolle im Leben Goethes spielt, so verdient doch sein überzeugtes
und gewagtes Auftreten dem großen Dichter gegenüber gewürdigt zu werden.
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