Saarkalender für das Jahr 1926
Die „Amrum“ lief am 16. Juni 1924 in früher Morgenstunde in den Hafen von
Sabang ein und bemerkte nicht weit von der Küſte ein großes modernes Schiff auf Strand
sitzen, das dabei war, seine Ladung in Leichter zu löſchen, aber keinerlei Signal zeigte, daß
es Hilfe gebrauche. Kurz vor Sabang kam der Hafenlotſe an Bord, der dann mitteilte,
daß es sich um den Pasſsagierdampfer „Saarbrücken“ vom Norddeutſchen Lloyd handle,
der sich auf seiner ersten Ausreiſe nach Oſstaſien befinde. Zwei große Dampfer hätten
bereits verſucht, die „Saarbrücken“ abzuſchleppen, jedoch ohne Erfolg.
Der Kapitän der „Amrum“ verſuchte ſofort, an Land weitere Einzelheiten über die
Strandung zu erfahren. Da gerade ein Boot zur „Saarbrücken“ hinüberfuhr, ging er
mit, um sich die Lage dort näher anzuſehen. Vom Kapitän der „Saarbrücken“ erfuhr er,
daß die „Saarbrücken“ bereits seit dem 12. Juni, alſo bald volle 4 Tage, auf einer bisher
“ unbekannten Korallenbank festſitze, auf die das Schiff ohne sein Verſchulden bei der
Ausfahrt aus Sabang geraten ſei. Die Paſſagiere waren dank der sofort vom Norddeutſchen
Llond getroffenen Maßnahmen ſchon mit anderen Dampfern weiterbefördert worden, man
hatte bereits damit begonnen, Ladung zu löſchen, um soviel wie möglich davon in Sicherheit
zu bringen und das Schiff für die weiteren Abſchleppverſuche leichter zu machen.
Mit der unter Seeleuten ſelbsſtverſtändlichen Hilfsbereitſchaft bot der Kapitän der
„Amrum.“ ſein Schiff zur Hilfeleiſtung an, das dafür wegen seiner flachen, wenig tiefgehenden
Bauart und weil mit zwei Schrauben verſehen, beſonders geeignet erſchien und für ſolche
Zwecke auch mit ſchweren Stahltroſſen ausgerüſtet war. Das Angebot wurde mit Freuden
angenommen, und der Kapitän der „Saarbrücken“ ging mit an Bord der „Amrum,“ um
die erforderlichen Maßnahmen zu beſprechen. Dies geſchah, und einige Stunden ſpäter
dampfte die „Amrum“ dem Strandungsplatz zu und ankerte zunächſt in der Nähe der
„Saarbrücken“, da mit dem Beginn der Abſchleppverſuche bis zum Eintritt der Flut in den
Abendstunden gewartet werden mußte, um genügend Wasser zu haben. Inzwiſchen wurden
nochmals alle für das Abſchleppen in Frage kommenden Einrichtungen und Gerätſchaften
einer eingehenden Prüfung unterworfen. Gleichzeitig wurde unter angeſtrengteſter Arbeit
der gesamten verfügbaren Schiffsbeſatzung ſo viel wie möglich von der Ladung der
„Saarbrücken“ auf die „Amrum“ übernommen, um den Tiefgang des geſtrandeten Schiffes
zu vermindern. Das Wetter war zum Glück günſtig, nur wurden dieſe Arbeiten ſehr
erſchwert durch eine ziemlich ſtarke Dünung.
Mit der in den Tropen gleichbleibenden Regelmäßigkeit ſete um 6 Uhr die Dunkel-
heit ein. Das Waſser begann mit Hochwasser zu steigen, und man konnte beginnen, die
Schlepptroſſen klarzumachen und die ſonstigen umfangreichen Vorarbeiten in Angriff zu
nehmen. Gegen 9 Uhr war volles Hochwasser. Die für die Verſtändigung vorher ver-
abredeten Signale wurden ausgetauſcht, und das Abſchleppmanöver fing an. Bald hatte
die „Amrum“ vollen Dampf und ſchleppte mit äußerſter Kraft, doch die „Saarbrücken“
ſaß so feſt auf den spitzen Korallenfelſen, daß sie nicht von der Stelle kam. Die „Amrum“
war während dieſer Zeit ständig in der Gefahr, durch den entlang der Küſte stark laufenden
Strom, in dem das Schiff nur ſchwer zu regieren war, ſselbſt auf die Riffe oder den Strand
abgetrieben zu werden und kam auch einmal mit den Schrauben in gefährliche Nähe der Anker-
ketten der „Saarbrücken“, was noch gerade durch geſchicktes Manövrieren verhindert
werden konnte. Man mußte weitere Verſuche an dieſem Abend aufgeben, weil die Flut
inzwiſchen verlaufen war und die Dunkelheit das Arbeiten in dem gefährlichen Fahr-
waſſer auch für das Hilfe bringende Schiff zu unsicher machte.
Früh am nächſten Morgen mit erneut einsetzender Flut war an Bord ſchon alles auf
den Beinen. Die „Amrum“ dampfte wieder auf die „Saarbrücken“ zu, brachte ihr Heck
ſo dicht wie möglich an das festſitzende Schiff heran und nahm durch Übernahme der
Schleppleine die Verbindung zwiſchen den beiden Schiffen wieder auf. Die See war abgesehen
von der noch laufenden langen Dünung ruhig. „Amrum.“ legte ſich mit beiden Bugankern
feſt vor Anker, und gegen 9 Uhr bei Hochwasser wurde mit dem Schleppen begonnen.
Die Troſſen kamen bald steif, und unter äußerſter Anſpannung der beiden Maſchinen wurde
mit „Volle Kraft voraus“ geschleppt. Angesichts der harten Notlage durfte man nicht
vor der Möglichkeit zurückſchrecken, eventuell durch allzu kräftiges Ziehen den ganzen
Boden der „Saarbrücken“, bei der durch die eigene Schwere bereits Felſenſpitzen durch
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